Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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In dieser Zeit entdeckte er, wie leicht ein gut aussehender junger Mann der guten Gesellschaft Geschäfte machen kann, auch wenn er keinen Pfennig Geschäftskapital besitzt. Er makelte Häuser, besorgte Effekten, vermittelte Autos, schloss Lebensversicherungen ab, ließ sich Provisionen von rechts und von links geben. Sein glänzender, findiger, blitzschneller Kopf ließ ihn jede Gelegenheit zu guten Geschäften ausspähen, rasch handeln. Bedenkenlos benutzte er seine Gewalt über Frauen, es gab auch nicht viele Männer, die seinem Charme widerstehen konnten.
Aber mit den reichlich fließenden Einnahmen stiegen auch seine Bedürfnisse; immer lagen sie einen Schritt vor den Einnahmen, und seine Kasse war immer leer. Er aber wusste nur eines: Dass er dieses ihm allein zusagende Leben des Genusses um jeden Preis fortsetzen wollte, immer unbedenklicher wurde er in der Wahl der Mittel, die ihm Geld verschaffen mussten: Er stahl Autos von der Straße, vergriff sich sogar an den Handtaschen mit ihm tanzender Damen – kurz, er wurde ein Hochstapler und ein Dieb. Lange konnte das nicht gut gehen.
Ein erster Fall wurde vertuscht, da er doch der Sohn eines angesehenen Vaters war, ein zweiter brachte ihn ins Gefängnis und aus dem Gefängnis in dieses traurige Haus, in dem er schon sechs Jahre lebte.
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Sechs Jahre – ich wollte meinen Ohren nicht trauen! Dieser junge Mann lebte schon sechs lange Jahre in dieser trostlosen Umwelt, und er hatte sich alle Spannkraft und allen Zauber der Jugend bewahrt! Nichts von der hoffnungslosen Trauer, nichts von dem hässlichen Neid hier hatte auf ihn abgefärbt, wie ein flüchtiger Gast wirkte er, eben erst gekommen, schon wieder im Begriff zu gehen, allen Zauber blühender Welt um sich! Welche Kräfte mussten in diesem Hans Hagen wirken, welche unzerstörbaren Energien, dass ein Mann nach diesen sechs Jahren, nach acht Wochen scharfen Arrestes noch immer nichts von seiner Kraft verloren, noch immer den Schimmer der großen Welt mit sich trug! Es war mir ein Rätsel, ich war schon von ein paar Tagen Aufenthalt hier völlig zermürbt und niedergedrückt. Ich habe später lange über Hans Hagen nachgedacht, und ich glaube, ich habe die Gründe gefunden, die ihn so unverändert stark sein ließen.
Zum Ersten drang nichts tief in ihn ein, so konnte ihn auch nichts tief verletzen. Er lebte so auf der Oberfläche, seine glänzende Begabung lockte ihn hierhin und dorthin, immer betätigte er sich, aber nichts tat er. Er konnte alles, auch hier im Bau, den Wachtmeistern machte er »Fassonschnitt«, er schnitt ihnen die Haare auf eine ungewohnt kühne, elegante Art, er mauerte besser als ein Maurer, er gab Unterricht in Stenografie, Englisch, Französisch, Russisch, er arbeitete schwer in der Fabrik, er tischlerte und hatte auch schon die Schweine versorgt – er konnte alles, aber er konnte alles auf eine unverbindliche, schillernde Art, er war die Unzuverlässigkeit in Person, nichts haftete.
Aber der Hauptgrund seiner Unveränderlichkeit, seiner unbesiegbaren Jugend war der, dass er hier im Totenhaus eigentlich kaum anders lebte als draußen. Gewiss, die Umwelt hatte sich verändert, aber Hans Hagen nicht mit ihr. Wenn er draußen die Frauen bezaubert hatte, so hier die kranken Männer. Auch den Stumpfesten ließ er nicht außer Acht, er ruhte nicht, bis ein Schimmer seines Charmes ihn berührt hatte. Es war einfach lächerlich, wie sie alle aufblühten, wenn er mit ihnen sprach.
Ich sehe sie noch zusammenstehen: den fetten Mecklenburger Bauern Reddemin, den sie wegen Querulantentums in diesem Haus untergebracht hatten, Bezieher unwahrscheinlicher Fettpakete, und Hans Hagen, der sich einmal selbst in einem unbedachten Augenblick als »Tangojüngling« bezeichnet hatte. Gegensätzlicheres war schlechthin nicht denkbar. Es schien keine Brücke zwischen den beiden zu geben: dem flachen Genussmenschen und dem zähen, alten, fast siebzigjährigen Bauern mit dem Bullenkopf, den das unermüdliche Beharren auf einem vermeintlichen Recht in diese Mauern gebracht hatte. Und doch strahlte der alte, sonst so finstere Mann, da der Genießer mit ihm sprach; seine Augen funkelten, er lachte dröhnend, er klopfte dem anderen freundlich-hingerissen auf die Schultern.
Er war der wahre König dieses Hauses, der Hans Hagen, und die Verwaltung wusste das auch. Blindlings taten die Kranken, was er ihnen riet. Er schrieb ihnen nicht nur ihre Anträge und Gesuche, machte ihnen Hoffnungen auf Entlassung oder vertröstete sie, er begutachtete nicht nur als »ehemaliger Mediziner« ihre Schweinsbeulen und Arbeitsverletzungen und erzählte ihnen, welche Verbandmittel und Medikamente sie beim Arzt fordern sollten, er spendete nicht nur juristischen Rat wie der findigste Anwalt, nein, er zettelte auch kleine vorsichtige Verschwörungen an gegen die Habsucht der Kalfaktoren, die Tyrannei der Vorgesetzten, den schmutzigen Geiz der Verwaltung. Er hatte seine Hände in allem, und diese klugen sehnigen Hände konnten sehr erfolgreich sein; viel machte Hans Hagen der Verwaltung zu schaffen, dieser Totenkönig im Totenhaus.
Und wie ein König zog er seine Tribute ein – genau wie draußen. Genau, wie er draußen die Mädchen und Frauen bezaubert und unbedenklich jedes Geschenk von ihnen angenommen hatte, so machte er es auch hier. Ich habe nie gesehen, dass Hans Hagen etwas verlangte, um etwas bat. Das hatte er auch gar nicht nötig, seine Anhänger sorgten auch so für ihn. Ein Wachtmeister erzählte mir, dass, solange Hans Hagen in der Arrestzelle saß, ein ständiges Kommen und Gehen dort war, jeden unbewachten Augenblick lauerten sie ab, um ihm etwas zuzustecken. Ständig wurde an dem Spion geflüstert, dessen Scheibe man zerbrochen hatte, um ihm das kostbarste Gut in der Anstalt, Streichhölzer, hineinzureichen.
Lag ein anderer Kamerad im Arrest, so war er vergessen, niemand dachte mehr an ihn. Sein Wiederauftauchen wurde ebenso gleichgültig hingenommen wie sein Verschwinden. Nicht so bei Hans Hagen. Ich habe es selbst gesehen, oft und oft, wie sie zu ihm kamen, diese Ärmsten der Armen, die der Hunger in den Eingeweiden kniff. Ein Außenarbeiter brachte ihm eine Gurke, ein anderer eine Tasche voll Pellkartoffeln, hier ein Stückchen