Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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Hus­ten hör­te auf, er lag ganz still. Noch ein­mal frag­te sie: »Otto, schläfst du schon?«

      Und nichts, kei­ne Ant­wort. So la­gen sie bei­de sehr lan­ge still. Je­der wuss­te von dem an­de­ren, er schlief noch nicht. Sie wag­ten nicht, ihre Stel­lung zu än­dern, um sich nicht zu ver­ra­ten. End­lich schlie­fen sie bei­de ein.

      Anna war si­cher, dass es kei­ne Zei­tung ge­we­sen war. Es war zu viel Weiß auf dem Blatt, und die Schrift war grö­ßer als in ei­ner Zei­tung ge­we­sen. Was konn­te der Mann ge­le­sen ha­ben?

      Sie är­ger­te sich wie­der über ihn, sei­ne Heim­lich­tue­rei, all dies Verän­dert­sein, das so viel Un­ru­he und neue Sor­gen brach­te, zu all den al­ten hin­zu, die doch schon ge­reicht hat­ten. Trotz­dem sag­te sie: »Kaf­fee, Otto!«

      Bei dem Klang ih­rer Stim­me wen­de­te er sein Ge­sicht und sah sie an, ganz als sei er ver­wun­dert, dass er nicht al­lein sei in die­ser Woh­nung, ver­wun­dert, wer da mit ihm sprach. Er sah sie an, und er sah sie doch wie­der nicht an. Es war nicht sei­ne Ehe­ge­fähr­tin Anna Quan­gel, die er so an­sah, son­dern je­mand, den er ein­mal ge­kannt hat­te und des­sen er sich müh­sam er­in­nern muss­te. Ein Lä­cheln lag auf sei­nem Ge­sicht, in den Au­gen; über die gan­ze Flä­che des Ge­sichts war die­ses Lä­cheln aus­ge­brei­tet, wie sie es noch nie bei ihm ge­se­hen hat­te. Sie war im Be­griff zu ru­fen: Otto, ach Otto, geh doch nun nicht auch du von mir fort!

      Aber ehe sie sich noch recht ent­schlos­sen hat­te, war er an ihr vor­über­ge­gan­gen und aus der Woh­nung fort. Wie­de­r­um ohne Kaf­fee, wie­der muss­te sie ihn zum Wär­men in die Kü­che tra­gen. Sie schluchz­te lei­se da­bei: Was für ein Mann! Soll­te ihr denn gar nichts blei­ben? Nach dem Soh­ne auch der Va­ter ver­lo­ren?

      Quan­gel ging un­ter­des ei­lig auf die Prenz­lau­er Al­lee zu. Ihm war ein­ge­fal­len, dass er sich bes­ser vor­her solch ein Haus ein­mal an­sah, ob sei­ne Idee von ei­nem sol­chen Hau­se auch rich­tig war. Sonst muss­te er sich was an­de­res aus­den­ken.

      In der Prenz­lau­er Al­lee ging er lang­sa­mer, sei­ne Au­gen streif­ten die Hau­stü­ren, als such­ten sie et­was Be­stimm­tes. An ei­nem Eck­haus sah er die Schil­der von zwei Rechts­an­wäl­ten und ei­nem Arzt ne­ben vie­len Ge­schäfts­schil­dern.

      Er drück­te ge­gen die Haus­tür. Sie öff­ne­te sich so­fort. Rich­tig: kein Por­tier in solch ei­nem viel be­gan­ge­nen Hau­se. Er stieg lang­sam, die Hand auf dem Ge­län­der, die Stu­fen der Trep­pe em­por, eine ehe­mals »hoch­herr­schaft­li­che« Trep­pe mit Ei­chen­par­kett, von der aber vie­le Be­nut­zung und Krieg jede Spur des Hoch­herr­schaft­li­chen ge­nom­men hat­te. Jetzt sah sie nur schmie­rig und ab­ge­tre­ten aus, die Läu­fer wa­ren na­tür­lich schon längst ver­schwun­den, wahr­schein­lich bei Kriegs­aus­bruch ein­ge­zo­gen.

      Otto Quan­gel pas­sier­te ein An­walts­schild im Hoch­par­terre, er nick­te, lang­sam stieg er wei­ter. Es war nicht so, dass er etwa al­lein dies Trep­pen­haus be­nutzt hät­te, nein, im­mer­zu eil­ten Leu­te an ihm vor­über, ihm ent­ge­gen­kom­mend oder ihn über­ho­lend. Im­mer hör­te er Klin­geln ge­hen, Tü­ren schla­gen, Te­le­fo­ne läu­ten, Schreib­ma­schi­nen klap­pern, Stim­men spre­chen.

      Aber da­zwi­schen kam im­mer wie­der ein Au­gen­blick, da Otto Quan­gel das Trep­pen­haus ganz für sich al­lein hat­te oder doch sei­nen Trep­pen­ab­schnitt für sich al­lein, wo al­les Le­ben sich in die Bü­ro­räu­me zu­rück­ge­zo­gen zu ha­ben schi­en. Das wäre dann der rich­ti­ge Au­gen­blick ge­we­sen, es zu tun. Es war über­haupt al­les rich­tig, ge­nau wie er es sich ge­dacht hat­te. Ei­li­ge Men­schen, die ein­an­der nicht ins Ge­sicht sa­hen, schmut­zi­ge Fens­ter­schei­ben, durch die nur ein grau­es Ta­ges­licht si­cker­te, kein Por­tier, über­haupt nie­mand, der an dem an­de­ren In­ter­es­se nahm.

      Als Otto Quan­gel im ers­ten Stock­werk das Schild des zwei­ten An­walts ge­le­sen hat­te und durch eine deu­ten­de Hand da­hin be­lehrt wor­den war, der Arzt woh­ne noch eine Trep­pe hö­her, nick­te er zu­stim­mend. Er mach­te kehrt, er kam eben ge­ra­de vom An­walt, er ging aus dem Haus. Un­nö­tig, sich dort wei­ter um­zu­se­hen, ge­nau das Haus, wie er es brauch­te, und von sol­chen Häu­sern gab es Tau­sen­de in Ber­lin.

      Der Werk­meis­ter Otto Quan­gel steht wie­der auf der Stra­ße. Ein dunk­ler jun­ger Mann mit sehr wei­ßer Ge­sichts­haut tritt auf ihn zu.

      »Herr Quan­gel, nicht wahr?«, fragt er. »Herr Otto Quan­gel aus der Ja­blons­ki­stra­ße, nicht wahr?«

      Quan­gel knurrt ein ab­war­ten­des »Nu?«, ein Laut, der bei­des, Zu­stim­mung wie Ab­leh­nung, be­deu­ten kann.

      Der jun­ge Mann nimmt ihn für Zu­stim­mung. »Ich soll Sie von der Tru­del Bau­mann bit­ten«, sagt er, »dass Sie sie ganz ver­ges­sen. Ihre Frau möch­te die Tru­del auch nicht mehr be­su­chen. Es ist nicht nö­tig, Herr Quan­gel, dass …«

      »Be­stel­len Sie«, sagt Otto Quan­gel, »dass ich kei­ne Tru­del Bau­mann ken­ne und nicht an­ge­quatscht zu wer­den wün­sche …«

      Sei­ne Faust trifft den jun­gen Mann di­rekt an der Kinn­spit­ze, der sackt zu­sam­men wie ein nas­ser Lap­pen. Quan­gel geht acht­los durch die Leu­te, die zu­sam­men­zu­lau­fen be­gin­nen, hin­durch, di­rekt an ei­nem Schu­po vor­bei, auf die Hal­te­stel­le der Elek­tri­schen zu. Die Bahn kommt, er steigt ein, fährt zwei Hal­te­stel­len weit. Dann fährt er in der Ge­gen­rich­tung zu­rück, dies­mal auf der Vor­der­platt­form des An­hän­gers. Es ist, wie er ge­dacht: der größ­te Teil der Men­schen hat sich in der Zwi­schen­zeit ver­lau­fen, zehn, zwölf Neu­gie­ri­ge ste­hen noch vor ei­nem Café, in das man den An­ge­schla­ge­nen wohl ge­schafft hat.

      Er ist schon wie­der bei Be­sin­nung. Zum zwei­ten Mal in­ner­halb zwei­er Stun­den hat Karl Her­ge­sell sich ei­ner amt­li­chen Per­son ge­gen­über aus­zu­wei­sen.

      »Es war wirk­lich nichts, Herr Wacht­meis­ter«, ver­si­cher­te er. »Ich habe ihn wohl un­acht­sam auf den Fuß ge­tre­ten, und er schlug gleich zu. Kei­ne Ah­nung, wer das war, ich hat­te mei­ne Ent­schul­di­gung noch nicht raus, da schlug er schon zu.«

      Wie­der darf Karl Her­ge­sell un­an­ge­foch­ten ge­hen, kein Ver­dacht be­steht ge­gen ihn. Aber er ist sich klar dar­über, dass er sein Glück so nicht wei­ter auf die Pro­be stel­len darf. Er ist zu die­sem Ex-Schwie­ger­va­ter Otto Quan­gel auch nur des­we­gen ge­gan­gen, um we­gen Tru­dels Si­cher­heit klar­zu­se­hen. Nun, was die­sen Otto Quan­gel an­geht, so darf er wohl un­be­sorgt sein. Ein

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