Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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hin und sagt sto­ckend: »Ich muss den Kam­mer­ge­richts­rat wirk­lich spre­chen. Bit­te, bit­te doch!«

      Die Be­die­ne­rin hat bei der neu­er­li­chen Stö­rung die Stirn ge­run­zelt. Nur einen flüch­ti­gen Blick wirft sie auf das hin­ge­hal­te­ne Arm­band. Dann be­ginnt sie wie­der zu scheu­chen, mit ru­dern­den Arm­be­we­gun­gen und »Sch! Sch!«, und vor die­sem Scheu­chen flieht Frau Ro­sen­thal in ihr Zim­mer. Sie stürzt ge­ra­de­zu auf ih­ren Nacht­tisch zu, sie nimmt aus der Lade das ihr vom Kam­mer­ge­richts­rat ver­ord­ne­te Schlaf­mit­tel.

      Sie schüt­tet alle Ta­blet­ten, zwölf oder vier­zehn an der Zahl, in ihre hoh­le Hand, geht zum Wasch­tisch und spült sie mit ei­nem Gla­se Was­ser hin­un­ter. Sie muss heu­te schla­fen, sie wird heu­te den Tag ver­schla­fen … Dann wird sie abends den Kam­mer­ge­richts­rat spre­chen und hö­ren, was zu tun ist. Sie legt sich an­ge­klei­det auf das Bett, zieht die De­cke nur leicht über sich. Still auf dem Rücken lie­gend, die Au­gen zur De­cke ge­rich­tet, war­tet sie auf den Schlaf.

      Und er scheint wirk­lich zu kom­men. Die quä­len­den Ge­dan­ken, die im­mer glei­chen Schreck­bil­der, die von der Angst in ih­rem Hirn ge­bo­ren wer­den, sie ver­schwim­men. Sie schließt die Au­gen, ihre Glie­der ent­span­nen sich, wer­den schlaff, sie hat sich schon fast hin­über­ge­ret­tet in ih­ren Schlaf …

      Da ist es, als hät­te sie auf der Schwel­le zu die­sem Schlaf eine Hand zu­rück­ge­sto­ßen ins Wa­chen. Sie ist förm­lich zu­sam­men­ge­schreckt, solch einen Ruck hat es ihr ge­ge­ben. Ihr Kör­per ist zu­sam­men­ge­zuckt wie in ei­nem plötz­li­chen Krampf …

      Und wie­der liegt sie, die De­cke an­star­rend, auf dem Rücken, die ewig glei­che Müh­le dreht die ewig glei­chen Qual­ge­dan­ken und Angst­bil­der in ihr. Dann – all­mäh­lich – wird das schwä­cher, die Au­gen schlie­ßen sich, der Schlaf ist nahe. Und wie­der auf sei­ner Schwel­le der Stoß, der Ruck, der Krampf, der ih­ren gan­zen Kör­per zu­sam­men­zieht. Wie­der ist sie ver­trie­ben aus der Ruhe, dem Frie­den, dem Ver­ges­sen …

      Als sich das drei- oder vier­mal wie­der­holt hat, gibt sie es auf, den Schlaf zu er­war­ten. Sie steht auf, geht lang­sam, ein we­nig tau­me­lig, mit hän­gen­den Glie­dern an den Tisch und setzt sich. Sie starrt vor sich hin. Sie er­kennt in dem Wei­ßen, das vor ihr liegt, den Brief an Sieg­fried, den sie vor drei Ta­gen be­gann, der nicht über die ers­ten Zei­len hin­aus­kam. Sie sieht wei­ter: sie er­kennt die Schei­ne, die Schmuck­sa­chen. Dort hin­ten steht auch das Ta­blett mit dem ihr be­stimm­ten Es­sen. Sonst hat sie sich mor­gens völ­lig aus­ge­hun­gert dar­über­ge­stürzt, jetzt mus­tert sie es mit gleich­gül­ti­gem Blick. Sie mag nicht es­sen …

      Wäh­rend sie dort so sitzt, ist ihr dun­kel be­wusst, dass die Ta­blet­ten doch eine Ver­än­de­rung in ihr her­vor­ge­ru­fen ha­ben: wenn sie ihr auch kei­nen Schlaf schen­ken konn­ten, so ha­ben sie ihr doch die ja­gen­de Un­ru­he des Mor­gens ge­nom­men. Sie sitzt nur so da, manch­mal ist sie auch im Ses­sel bei­na­he ein­ge­nickt, dann fährt sie wie­der hoch. Ei­ni­ge Zeit ist ver­gan­gen, ob viel oder we­nig, das weiß sie nicht, aber ei­ni­ge Zeit von die­sem Schre­ckens­tag ist doch wohl fort …

      Dann, spä­ter, hört sie einen Schritt auf der Trep­pe. Sie fährt zu­sam­men – in ei­nem Au­gen­blick der Selbst­be­ob­ach­tung sucht sie sich dar­über klar­zu­wer­den, ob sie von die­sem Zim­mer aus über­haupt hö­ren kann, wenn je­mand auf der Trep­pe geht. Aber die­se kri­ti­sche Mi­nu­te ist schon wie­der vor­bei, und sie lauscht nur an­ge­spannt auf den Schritt im Trep­pen­haus, den Schritt ei­nes Men­schen, der sich müh­sam trepp­auf schleppt, im­mer wie­der in­ne­hal­tend, dann, nach ei­nem Hüs­teln, sich wie­der am Trep­pen­ge­län­der hoch­zie­hend.

      Jetzt hört sie nicht nur, jetzt sieht sie auch. Sie sieht Sieg­fried ganz deut­lich, wie er sich da durch das noch stil­le Trep­pen­haus in ihre Woh­nung hin­auf­schleicht. Sie ha­ben ihn na­tür­lich wie­der miss­han­delt, um sei­nen Kopf lie­gen ein paar has­tig ge­schlun­ge­ne Bin­den, die schon wie­der durch­blu­tet sind, und sein Ge­sicht ist wund und fle­ckig von ih­ren Faust­schlä­gen. So schleppt sich Sieg­fried müh­se­lig die Trep­pen hin­auf. In sei­ner Brust krächzt und or­gelt es, in die­ser Brust, die von ih­ren Fuß­trit­ten ver­letzt ist. Sie sieht Sieg­fried um den Trep­pen­ab­satz her­um ent­schwin­den …

      Eine Wei­le sitzt sie noch so da. Be­stimmt denkt sie an gar nichts, auch nicht an den Kam­mer­ge­richts­rat und das mit ihm Ver­ein­bar­te. Son­dern sie muss da oben in die Woh­nung – was soll Sieg­fried den­ken, wenn er sie leer fin­det? – Aber sie ist so schreck­lich müde, und es ist fast un­mög­lich, aus dem Ses­sel hoch­zu­kom­men!

      Dann steht sie doch wie­der da. Sie nimmt das Schlüs­sel­bund aus der Hand­ta­sche, greift nach dem Sa­phi­r­arm­band, als sei es ein Ta­lis­man, der sie be­schüt­zen kann – und lang­sam und tau­me­lig geht sie aus der Woh­nung. Die Tür fällt hin­ter ihr zu.

      Der nach lan­gem Be­den­ken von sei­ner Be­die­ne­rin doch end­lich ge­weck­te Kam­mer­ge­richts­rat kommt zu spät, um sei­nen Gast von die­sem Aus­flug in eine zu ge­fähr­li­che Welt ab­zu­hal­ten.

      Der Rat steht einen Au­gen­blick in der lei­se wie­der ge­öff­ne­ten Tür, er lauscht nach oben, er lauscht nach un­ten. Er hört nichts. Dann, als er doch et­was hört, näm­lich den ra­schen, ener­gi­schen Schritt von Stie­feln, zieht er sich wie­der in sei­ne Woh­nung zu­rück. Aber er ver­lässt den Aus­guck an der Tür nicht. Soll­te es doch noch eine Mög­lich­keit ge­ben, die­se Un­se­li­ge zu ret­ten, er wird ihr doch noch ein­mal trotz al­ler Ge­fahr sei­ne Tür öff­nen.

      Frau Ro­sen­thal hat es gar nicht ge­merkt, dass sie auf der Trep­pe an je­mand vor­über­ging. Sie hat nur den einen Ge­dan­ken, mög­lichst rasch die Woh­nung mit Sieg­fried zu er­rei­chen. Aber der HJ-Füh­rer Bal­dur Per­si­cke, der eben zu ei­nem Mor­ge­n­ap­pell will, bleibt völ­lig ver­blüfft, mit of­fe­nem Mun­de auf der Trep­pe ste­hen, als die­se Frau, ihn fast an­sto­ßend, an ihm vor­über­geht. Die Ro­sen­thal, die ta­ge­lang ver­schwun­de­ne Ro­sen­thal, an die­sem Sonn­tag­mor­gen un­ter­wegs, in ei­ner dunklen ge­stick­ten Blu­se ohne Ju­dens­tern, ein Schlüs­sel­bund und ein Arm­band in der einen Hand, mit der an­de­ren sich müh­sam am Trep­pen­ge­län­der hoch­zie­hend – so be­sof­fen ist die Frau! Am frü­hen Sonn­tag­mor­gen schon so be­sof­fen!

      Ei­nen Au­gen­blick steht Bal­dur noch so da, in völ­li­ger Ver­blüf­fung. Aber als Frau Ro­sen­thal um die Trep­pen­keh­re her­um ver­schwun­den ist, keh­ren sei­ne Ge­dan­ken wie­der in ihn zu­rück, und sein Mund schließt sich. Er hat das Ge­fühl, jetzt ist der rich­ti­ge Au­gen­blick ge­kom­men, jetzt darf er nur nichts falsch ma­chen! Nein, dies­mal wird er die Sa­che al­lein er­le­di­gen, we­der die Brü­der noch der Va­ter noch ein Bark­hau­sen sol­len sie ihm ver­sau­en.

      Bal­dur war­tet noch, bis er si­cher ist, dass Frau Ro­sen­thal jetzt schon die Quan­gel’­sche Woh­nung er­reicht hat, dann geht er lei­se in die el­ter­li­che Woh­nung. Dort schläft noch al­les, und das Te­le­fon hängt auf dem Flur. Er hebt ab und dreht die Schei­be, dann ver­langt er einen be­stimm­ten Ap­pa­rat. Er hat Glück: trotz des Sonn­tags be­kommt er die Ver­bin­dung und auch den rich­ti­gen Mann. Er sagt kurz, was zu sa­gen ist; dann

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