Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

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Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke

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vielen tausend Ohren

       trank sie die Zeit und der Wind;

       aus den Ohren der Toren.

      Und dennoch: mir geschieht,

       als ob ich ein jedes Lied

       tief in mir ihm ersparte.

      Er schweigt hinterm bebenden Barte,

       er möchte sich wiedergewinnen

       aus seinen Melodien.

       Da komm ich zu seinen Knien:

      und seine Lieder rinnen

       rauschend zurück in ihn.

      Zweites Buch:

       Das Buch von der Pilgerschaft

       Inhaltsverzeichnis

      (1901)

      Dich wundert nicht des Sturmes Wucht, –

       du hast ihn wachsen sehn; –

       die Bäume flüchten. Ihre Flucht

       schafft schreitende Alleen.

       Da weißt du, der vor dem sie fliehn

       ist der, zu dem du gehst,

       und deine Sinne singen ihn,

       wenn du am Fenster stehst.

      Des Sommers Wochen standen still,

       es stieg der Bäume Blut;

       jetzt fühlst du, daß es fallen will

       in den der Alles tut.

       Du glaubtest schon erkannt die Kraft,

       als du die Frucht erfaßt,

       jetzt wird sie wieder rätselhaft,

       und du bist wieder Gast.

      Der Sommer war so wie dein Haus,

       drin weißt du alles stehn –

       jetzt mußt du in dein Herz hinaus

       wie in die Ebene gehn.

       Die große Einsamkeit beginnt,

       die Tage werden taub,

       aus deinen Sinnen nimmt der Wind

       die Welt wie welkes Laub.

      Durch ihre leeren Zweige sieht

       der Himmel, den du hast;

       sei Erde jetzt und Abendlied

       und Land, darauf er paßt.

       Demütig sei jetzt wie ein Ding,

       zu Wirklichkeit gereift, –

       daß Der, von dem die Kunde ging,

       dich fühlt, wenn er dich greift.

      Ich bete wieder, du Erlauchter,

       du hörst mich wieder durch den Wind,

       weil meine Tiefen niegebrauchter

       rauschender Worte mächtig sind.

      Ich war zerstreut; an Widersacher

       in Stücken war verteilt mein Ich.

       O Gott, mich lachten alle Lacher

       und alle Trinker tranken mich.

      In Höfen hab ich mich gesammelt

       aus Abfall und aus altem Glas,

       mit halbem Mund dich angestammelt,

       dich, Ewiger aus Ebenmaß.

       Wie hob ich meine halben Hände

       zu dir in namenlosem Flehn,

       daß ich die Augen wiederfände,

       mit denen ich dich angesehn.

      Ich war ein Haus nach einem Brand,

       darin nur Mörder manchmal schlafen,

       eh ihre hungerigen Strafen

       sie weiterjagen in das Land;

       ich war wie eine Stadt am Meer,

       wenn eine Seuche sie bedrängte,

       die sich wie eine Leiche schwer

       den Kindern an die Hände hängte.

      Ich war mir fremd wie irgendwer,

       und wußte nur von ihm, daß er

       einst meine junge Mutter kränkte

       als sie mich trug,

       und daß ihr Herz, das eingeengte,

       sehr schmerzhaft an mein Keimen schlug.

      Jetzt bin ich wieder aufgebaut

       aus allen Stücken meiner Schande,

       und sehne mich nach einem Bande,

       nach einem einigen Verstände,

       der mich wie ein Ding überschaut, –

       nach deines Herzens großen Händen –

       (o kämen sie doch auf mich zu).

       Ich zähle mich, mein Gott, und du,

       du hast das Recht, mich zu verschwenden.

      Ich bin derselbe noch, der kniete

       vor dir in mönchischem Gewand:

       der tiefe, dienende Levite,

       den du erfüllt, der dich erfand.

       Die Stimme einer stillen Zelle,

       an der die Welt vorüberweht, und

       du bist immer noch die Welle,

       die über alle Dinge geht.

      Es ist nichts andres. Nur ein Meer,

       aus dem die Länder manchmal steigen.

       Es ist nichts andres denn ein Schweigen

       von schönen Engeln und von Geigen,

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