Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

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Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke

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style="font-size:15px;">       und seine Scham errichte wie ein Tor

       in einem blonden Wald von jungen Haaren,

       und ziehe durch das Glied des Unsagbaren

       den Reisigen, den weißen Heeresscharen,

       den tausend Samen, die sich sammeln, vor.

      Und eine Nacht gib, daß der Mensch empfinge

       was keines Menschen Tiefen noch betrat;

       gib eine Nacht: da blühen alle Dinge,

       und mach sie duftender als die Syringe

       und wiegender denn deines Windes Schwinge

       und jubelnder als Josaphat.

      Und gib ihm eines langen Tragens Zeit

       und mach ihn weit in wachsenden Gewändern,

       und schenk ihm eines Sternes Einsamkeit,

       daß keines Auges Staunen ihn beschreit,

       wenn seine Züge schmelzend sich verändern.

      Erneue ihn mit einer reinen Speise,

       mit Tau, mit ungetötetem Gericht,

       mit jenem Leben, das wie Andacht leise

       und warm wie Atem aus den Feldern bricht.

      Mach, daß er seine Kindheit wieder weiß;

       das Unbewußte und das Wunderbare

       und seiner ahnungsvollen Anfangsjahre

       unendlich dunkelreichen Sagenkreis.

      Und also heiß ihn seiner Stunde warten,

       da er den Tod gebären wird, den Herrn:

       allein und rauschend wie ein großer Garten,

       und ein Versammelter aus fern.

      Das letzte Zeichen laß an uns geschehen,

       erscheine in der Krone deiner Kraft,

       und gib uns jetzt (nach aller Weiber Wehen)

       des Menschen ernste Mutterschaft.

       Erfülle, du gewaltiger Gewährer,

       nicht jenen Traum der Gottgebärerin, –

       richt auf den Wichtigen: den Tod-Gebärer,

       und führ uns mitten durch die Hände derer,

       die ihn verfolgen werden, zu ihm hin.

       Denn sieh, ich sehe seine Widersacher,

       und sie sind mehr als Lügen in der Zeit, –

       und er wird aufstehn in dem Land der Lacher

       und wird ein Träumer heißen: denn ein Wacher

       ist immer Träumer unter Trunkenheit.

      Du aber gründe ihn in deine Gnade,

       in deinem alten Glanze pflanz ihn ein;

       und mich laß Tänzer dieser Bundeslade,

       laß mich den Mund der neuen Messiade,

       den Tönenden, den Täufer sein.

      Ich will ihn preisen. Wie vor einem Heere

       die Hörner gehen, will ich gehn und schrein.

       Mein Blut soll lauter rauschen denn die Meere,

       mein Wort soll süß sein, daß man sein begehre,

       und doch nicht irre machen wie der Wein.

      Und in den Frühlingsnächten, wenn nicht viele

       geblieben sind um meine Lagerstatt,

       dann will ich blühn in meinem Saitenspiele

       so leise wie die nördlichen Aprile,

       die spät und ängstlich sind um jedes Blatt.

      Denn meine Stimme wuchs nach zweien Seiten

       und ist ein Duften worden und ein Schrein:

       die eine will den Fernen vorbereiten,

       die andere muß meiner Einsamkeiten

       Gesicht und Seligkeit und Engel sein.

      Und gib, daß beide Stimmen mich begleiten,

       streust du mich wieder aus in Stadt und Angst.

       Mit ihnen will ich sein im Zorn der Zeiten,

       und dir aus meinem Klang ein Bett bereiten

       an jeder Stelle, wo du es verlangst.

      Die großen Städte sind nicht wahr; sie täuschen

       den Tag, die Nacht, die Tiere und das Kind;

       ihr Schweigen lügt, sie lügen mit Geräuschen

       und mit den Dingen, welche willig sind.

      Nichts von dem weiten wirklichen Geschehen,

       das sich um dich, du Werdender, bewegt,

       geschieht in ihnen. Deiner Winde Wehen

       fällt in die Gassen, die es anders drehen,

       ihr Rauschen wird im Hin-und Wiedergehen

       verwirrt, gereizt und aufgeregt.

      Sie kommen auch zu Beeten und Alleen –:

      Denn Gärten sind, – von Königen gebaut,

       die eine kleine Zeit sich drin vergnügten

       mit jungen Frauen, welche Blumen fügten

       zu ihres Lachens wunderlichem Laut.

       Sie hielten diese müden Parke wach;

       sie flüsterten wie Lüfte in den Büschen,

       sie leuchteten in Pelzen und in Plüschen,

       und ihrer Morgenkleider Seidenrüschen

       erklangen auf dem Kiesweg wie ein Bach.

      Jetzt gehen ihnen alle Gärten nach –

       und fügen still und ohne Augenmerk

       sich in des fremden Frühlings helle Gammen

       und brennen langsam mit des Herbstes Flammen

      

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