Keltische Knochen & Gedelöcke. Wilhelm Raabe

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Keltische Knochen & Gedelöcke - Wilhelm  Raabe

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sämtlichen Genossen mit sich in den Abgrund reißen, und das ganze Nest wird zusammenfallen wie ein Kartenhaus, jedoch mit mehr Gepolter. Sehr richtig bemerkt Baedecker, daß in Hallstadt weder Pferd noch Wagen zu finden ist, und es kann einen nur wundern, daß der große Tourist hiesigen Orts danach gesucht hat. Ich erblickte nicht einmal einen Esel; als ich aber, vom Hospes auf den Mühlbach des Ortes aufmerksam gemacht, von zarter Hand zurechtgewiesen, an das romantische Wasser gelangte, stand Roderich von der Leine mit der Brieftasche in der Hand und dem Silberstift an den melodischen Lippen in einem dunklen Torbogen neben dem Gesprüh und Geplätscher, umgeben von einem achtungsvollen, aber erstaunten Kreis älterer und jüngerer Hallstädter von beiden Geschlechtern. Da ich weder ihm noch mir die Stimmung verderben wollte, so verschob ich die Besichtigung dieses berühmten Mühlbaches auf eine andere Stunde und ließ den Dichter für jetzt im unbestrittenen Besitz des Wasserlaufes; — man soll weder Diana noch den Poeten im Bade stören, so verlockend die Gelegenheit dazu sein mag.

      Scheu wich ich zurück und geriet auf Umwegen zu der neuerbauten Kirche der Protestanten, die ihren Zweck erfüllte und deren Entstehung nach langem Kampfe mich sehr befriedigen mußte, welche ich jedoch, da sie verschlossen war, links liegen ließ, um mich zu der katholischen Kirche zu wenden.

      Die katholischen Kirchen sind immer geöffnet, und den Weg zu ihnen findet man auch, wenn man ihn recht sucht, wozu Roderich von der Leine, oder wie ich ihn hier nennen darf, Krautworst aus Hannover, merkwürdige Belege aus seinem Erfahrungskreise liefern konnte.

      Treppen, Treppen, Treppen! Hinauf, hinunter, hinauf! Feuchte, mit üppigen, sehr gesunden Mauerpflanzen bedeckte Mauern, tröpfelndes überhängendes Gebüsch aller Art — ein Kirchhof mit prächtigem, beperltem Grün, alten und neuen Denksteinen, Kreuzen, verregneten natürlichen und künstlichen Blumen, Goldflittern und Bändern, ein Kirchhof mit Aussicht über eine niedere Mauer, ein Kirchhof mit einer Aussicht über den wunderbarsten See auf das „Tote Gebirge“! — ich freute mich, daß ich kein Gedicht zu machen brauchte und keinen Ruf aufrecht zu erhalten hatte, wie der Verfasser der Lebensblüten; sondern nach einem trunkenen Blick auf all die keusch vom Regen verschleierte Schönheit ruhig meinen Regenschirm und meine ästhetischen Fühlhörner einziehen konnte, um auch das Innere des trefflichen alten Kirchleins zu besichtigen. In welchem Jahre und von welchem Künstler der Altarschrein geschnitzt ist, weiß ich nicht, und es geht mich auch gar nichts an, und das alte Weib, welches davor kniete, ging’s ebenfalls nichts an. Ich setzte mich in einen dämmerigen Kirchstuhl und hörte dem Murmeln der Alten und dem Klingen der Tropfen draußen vor den Spitzbogenfenstern und dem Rauschen des Regens in den Bäumen zu und duldete es ohne Widerstreben, daß Zuckriegel und Krautworst in meiner Seele allmählich immer mehr zu mythischen Personen wurden, und ich selber ein Ding ohne Bedeutung für das reale Leben, die Geschäftswelt und die Schreibstube. Ich entschwand mir selber in dieser märchenhaften Minute, verwahre mich übrigens ernstlich gegen jeden Gedanken an Einschlafen; ganz genau und ohne jedes schreckhafte Auffahren wußte ich, was es bedeuten sollte, als die Alte nach beendigtem Gebet auf mich zu humpelte und mir die offene, knöcherne Pfote unter die Nase hielt. Ich habe es nicht geträumt, daß sie Dominika Schönrammer hieß und ihr Sohn Seppel Schönrammer, und daß sie mir zur Begründung ihres Anspruchs an mein gutes Herz und meinen Geldbeutel die ängstliche und tränenvolle Mitteilung machte, wie genannter Seppel augenblicklich nicht daheim, sondern drüben — hinter den Bergen, — drunten — in Italien sei, um dem Kaiser das Land zu verteidigen.

      Nun wußte ich auf einmal wieder, daß wir Achtzehnhundertneunundfünfzig schrieben, und daß ich nur deshalb Wien verlassen und mich in die Berge geflüchtet hatte, um den Jammer wenigstens stundenlang von der Seele loszuwerden. Dies liederliche Wien! bei allem Elend konnte es einem doch noch Spaß machen durch die Art, wie es sich unter den sich häufenden Kalamitäten zu trösten suchte. Während das junge kräftige Kind Italia seine Windeln sprengte und der alten grämlichen Wartefrau Austria das Saugfläschchen an die Nase warf, studierte Wien, bekanntlich nicht die sittlichste Stadt der Welt, die statistisch-moralischen Tabellen Frankreichs, zog Trost aus der Auflockerung aller sittlichen Bande in der gallischen Nation, und erwartete sein Heil von der Abnahme der Bevölkerung, welche unausbleiblich die Folge solcher greulichen Verderbnis war. Was für einen Orden jener kluge Mann erhalten hat, der zuerst dem denkenden Österreichertum dieses treffliche und einleuchtende Theorem in die Hände gespielt hat, kann ich leider nicht sagen. Verdient hat er einen.

      Aber Seppel? Seppel Schönrammer?! Können wir uns diesen Joseph Schönrammer entgehen lassen? Ein Kirchhof mit der Aussicht auf den Hallstädter See, eine arme, alte Mutter unter dem weinenden Himmel — eine bleiche, liebliche, ländliche Braut, welche die Stufen der Kirche emporsteigt, um der Jungfrau Maria eine geweihte Kerze zu bringen und der alten Mutter für das Leben des Sohnes bitten zu helfen, — — drei Seiten Manuskript, welche, die pekuniären Vorteile ganz beiseite gelassen, die Aktien unseres schriftstellerischen Verdienstes in jeder milden Frauenbrust hochsteigen lassen würden, — — o Roderich von der Leine, o Rodrigo, Rodrigo!

      Es ist traurig, nicht nur für die Damen, sondern auch für mich: eine novellistische Rührung kann an dieser Stelle nicht statuiert werden. Seppel schien den schmelzenden Gefühlen der Liebe bis dato gänzlich fremd geblieben zu sein; auf diesem „unberührten Klavier“ war der „erste einweihende Silberton“ noch nicht erklungen. Seppel Schönrammer ließ keine in Angst und Schmerz vergehende Braut hinter sich zurück; aber sakrisch geflucht hat er, als er mit Knappsack, Kuhfuß und Feldkessel ausziehen mußte, um das zu schützen, was andere zusammengeheiratet hatten. Böse Ahnungen in betreff des Feldkessels bewegten seine sonst sehr ahnungslose Brust; ach, sie erfüllten sich, der Blechtopf sollte leer bleiben wie Seppels Herz und Schädel und nur durch hohles Geklapper auf dem Tornister seine Unentbehrlichkeit zur Kriegsausrüstung des tapfren österreichischen miles impeditus auf dem Marsche wie in der Feldschlacht dartun.

      Wenn ich nun auch nicht hoffen darf, durch diese Episode meines Hallstädter Aufenthalts meine Leser und Leserinnen zu rühren, so rührte mich selber doch die Erzählung der Alten tief, und ich schenkte ihr einen von jenen Guldenzetteln, welche die Regierung, wenn auch nicht über den Bedarf, so doch über die Verabredung hatte drucken lassen.

      Mit den besten Wünschen für einander und den Joseph in der Lombardei nahmen wir Abschied; nach einem letzten Blick über die Mauer des Kirchhofs verließ ich ihn und stieg wieder abwärts dem Seeauer zu, getrieben von dem Bedürfnis, mich zu erkundigen, wie Zuckriegel während meiner Abwesenheit seines Daseins Last ertragen habe. Es regnete selbstverständlich ruhig weiter.

      Mein trefflicher Ortssinn, der mir nirgend so sehr zu statten kam wie in Hallstadt am Hallstädter See, führte mich ohne viele Umwege zum Wirtshaus zurück, und durch die bereits erwähnte Hinterpforte und den dunkeln Gang gelangte ich wohlbehalten zur Tür der Gaststube. Aber lauschend stand ich still; — Zuckriegel hatte drinnen die höchsten Register seiner Stimme gezogen, und eine andere Stimme sang die Antistrophe mit ihm zu gleicher Zeit, was von ausgezeichnet unharmonischer Wirkung war. Das Küchenpersonal drängte sich verschüchtert-exaltiert auf dem Gange; ich aber, der ich bereits wußte, daß unser Reisegenosse sehr gern und sehr leicht in einen Wortwechsel geriet, öffnete die Stubentür und trat ein. Starr, zweifelnd blieb ich auf der Schwelle stehen und sperrte den Mund auf, ohne die Türe zu schließen.

      Ich habe im Wiener Prater einen Tausendkünstler gesehen, der ein lebendiges Kaninchen an den Hinterbeinen packte, es in der Mitte durchriß und dem erstaunten und begeisterten Publiko nunmehr in jeder Hand ein lustig zappelndes Tierchen präsentierte. Ein ganz ähnliches Experiment schien mit dem Prosektor Zuckriegel vorgenommen worden zu sein; — er war zum zweitenmal in der Gaststube beim Seeauer vorhanden und — zankte sich bereits aufs heftigste mit seinem Doppelgänger. Das Buch vom deutschen Gaunertum war verächtlich zu Boden geworfen, ebenso zwei von den Stühlen, auf welchen der nicht nur große, sondern auch lange Mann seine Mittagsruhe gehalten hatte. Mit ihren Brieftafeln in den Händen gestikulierten beide streitende, hagerne, lederfarbene, grau in grau kolorierte Gesellen aufeinander ein und suchten sich gegenseitig zu überschreien. Der Fremde dampfte, wie Zuckriegel gedampft hatte, — ein Beweis, daß er vor noch nicht

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