Keltische Knochen & Gedelöcke. Wilhelm Raabe
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„Grade wie ich!“ knurrte Zuckriegel, der die verdrießliche Nase wieder in seinen Avé-Lallemant gesteckt hatte.
„Gott, o Gott, ach woll es wenden,
Gott, Erbarmen habe du!
Sende mir in diesem Trübsal
Einen deiner Engel zu!“
„Mir auch! ich bitte dringend!“ seufzte Zuckriegel.
„Goldgelockt, mit blauen Augen,
Schlank und weiß von Angesicht
Laß ihn sein, um mich zu trösten; —
Flügel, — Flügel braucht er nicht.“
„Ich aber könnte sie gebrauchen!“ seufzte Zuckriegel.
„Von dem Dome summt die Glocke,
Und die frommen Christen schleichen
Durch den Schmutz der Stadt zur Messe;
Gott, o Gott, laß dich erweichen!“
„Was solch ein Mensch doch alles verlangt. Selber kennt er kein Mitleid,“ brummte Zuckriegel.
„Einen Engel send hernieder
Oder einen Sonnenstrahl,
Lasse mich nicht untergehen
Hier in dieser Jammerqual!“
„Auch mich nicht; ich flehe inständigst darum!“ sagte Zuckriegel; der Dichter aber machte uns darauf aufmerksam, daß sein Gedicht durch feine Einschnitte gegliedert sei, daß nunmehr eine neue Bilderreihe anhebe. Er fuhr fort:
„Bläulich ringelnd, sanft verwehend
Schwindet der Zigarre Duft;
Unablässig rieselt’s nieder,
Und ich schnappe wild nach Luft.“
Zuckriegel ächzte: „Ich nicht weniger.“
„Aus dem Fenster halben Leibes
Häng’ ich jetzt und hör’ die Tropfen
Drunten in der engen Gasse
Auf die Regenschirme klopfen.“
Zuckriegel wußte ganz genau, auf was er am liebsten klopfen würde.
„Und das Auge schläfrig müde,
An dem Hause gegenüber,
Von dem Keller bis zum Dache,
Kriecht’s hinauf und senkt sich wieder.“
Zuckriegels Auge kroch auch unheilverkündend an dem Poeten in die Höhe und senkte sich erst wieder, als jener weiter sprach:
„An des Metzgers Tür dem Hammel,
Ausgeweidet, halbzerfetzt,
Ach, wie gleicht ihm schauderhaftig
Meine arme Seele jetzt!“
Zuckriegel brummte: „Ein schauderhaftiger Vers, sonst aber der einzige, der bis jetzt meine ganze Billigung hat.“ Laut rief er: „Herr Krautworst, ich mache Ihnen mein Kompliment über Ihre Kenntnis des menschlichen Innern. Bitte, tragen Sie die letzten Reime noch einmal vor; — wem glich Ihre arme Seele in jenem denkwürdigen Moment und Seelenzustande?“
„Abteilung drei!“ sagte Roderich von der Leine, den Prosektor verachtend.
„Hinter hohen Spiegelscheiben
In dem blanken Messingbauer
Kreischt ein grüner Papageie
Und erweckt mir neue Schauer.“
„Aber es scheint doch eine gute Schule gewesen zu sein!“ akkompagnierte Zuckriegel.
„Eine Dam in rotem Sammet
Füttert ihn mit Zuckerbrocken.
Merci! kreischt er, klettert, flattert: —
Alle meine Pulse stocken;
Denn ein neues Bild ist er mir
Aus dem wildbewegten Leben;
Denn mit Flattern, Mercisagen
Hab’ auch ich mich abgegeben.“
Die Verachtung Zuckriegels stieg zu einem solchen Grade, daß er sie während der folgenden Verse nur noch durch Gesten, die nahe an Verrenkungen grenzten, auszudrücken vermochte.
„Und ’ne Dam in rotem Sammet
Reicht’ auch mir einst Süßigkeiten;
Merci! merci! rasend werd’ ich,
Denk’ ich heute jener Zeiten.
O du grüner Papagoye
In dem blanken Silberringe,
Häng dich auf an deiner Kette:
Sauer werden süße Dinge.“
„Sehr!“ seufzte Zuckriegel und fügte mit wahrhaft sezierenden Blicken hinzu: „Ja, wenn er sich nur hängen wollte!“
„Vierte Abteilung!“ sagte der Dichter.
„Und von neuem schläfrig gähnend,
Heb’ ich jetzt die Augenlider;
Hoch und höher schweift das Auge,
Nah dem Dache haftet’s wieder.
Nah dem Dache — Gott, was seh’ ich?
Gott, o Gott, kann’s möglich sein?
In des Regens trostlos Plätschern
Schießt ein Sonnenstrahl herein!
Nah dem Dach ein offen Fenster,
Ganz von Bohnenblüt umwoben!
Gott, o Gott, du hast gerettet!
Dank dir, Dichtergott dort oben!“
„Meine Komplimente an ihn,“ grunzte Zuckriegel, „aber er hätte etwas Besseres tun können.“
„Nah dem Dach ein offen Fenster,
Und darin ein Engelsköpfchen,