Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser
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Murmann schwieg schon eine geraume Weile. Er wollte den Wachtmeister nicht in seinen Träumen stören. Plötzlich schien Studer das Schweigen aufzufallen. Er schreckte auf.
»Nur weiter, nur weiter… Ich hör schon zu…«
– Es scheine nicht, meinte Murmann, über was denn Studer so tief nachgedacht habe? – Er werde es ihm später sagen. Murmann solle jetzt die beiden Tage schildern, die Entdeckung der Leiche, die Untersuchung, die Flucht des Schlumpf…– Da sei nicht viel zu sagen, nicht mehr auf alle Fälle, als was in den Akten stünde. Studer solle einen Augenblick warten…
Murmann stand auf, um die Akten zu holen…
Die Stille im Zimmer war tief… Studer ging zum Fenster und öffnete einen Flügel.
Deutlich durch die Nacht drang ein Summen zu ihm.
Er kannte das Lied. Eine Kleinmädchenstimme hatte es gestern vor einem Zellenfenster gesungen:
»O, du liebs Engeli…«
Das Summen rieselte von oben durch das Dunkel. Frau Murmann sang ihr Kind in den Schlaf …
Der Landjäger kam zurück. Er trug lose Blätter in der Hand, setzte sich, breitete sie vor sich aus und begann zu sprechen. Studer stand am Fenster, gegen die Wand gelehnt.
– Der Cottereau – übrigens, wie habe Studer den Cottereau entdeckt? – Studer winkte ab: Später…
– Also der Cottereau sei in den Posten gestürzt gekommen und habe wirres Zeug durcheinandergeredet von einem Toten, der im Wald liege… Ein Ermordeter!…
»Ich hab' an den Regierungsstatthalter telephoniert, bevor ich aufgebrochen bin, und der hat versprochen zu kommen. Vor der Türe hab' ich den Gemeindepräsidenten Aeschbacher getroffen, der war vom Lehrer Schwomm begleitet. Das war nichts Merkwürdiges, denn der Schwomm ist Gemeindeschreiber. Die beiden haben sich aufgedrängt, der Aeschbacher hat sofort die Untersuchung in die Hand nehmen wollen… Da ist er aber schlecht angekommen. Ich laß mir nichts vorschreiben. Aber ich habe den Photographen des Dorfes beigezogen…«
– Sie seien dann zu fünft nach dem Tatort gegangen, der Präsident, Schwomm, der Photograph und er, Murmann… Cottereau habe sie geführt… Am Tatort angekommen, habe Murmann den Photographen angewiesen, ein paar Aufnahmen zu machen, und der Mann habe das ganz richtig gemacht.
Sicher, sagte Studer, »der hat gut gearbeitet. Hast du auch bemerkt, daß keine Tannennadeln auf dem Rücken des Rockes zu sehen waren?«
Murmann schüttelte den Kopf.
– Das sei ihm nicht aufgefallen. Aber wenn Studer es bemerkt habe, dann sei das ja die Hauptsache… Der Gemeindepräsident habe immer dreinreden wollen: das sei ein Mord, habe er gesagt, sicher ein Raubmord, und niemand anders habe ihn begangen als einer der Verbrecher, die der Ellenberger bei sich angestellt habe… Natürlich seien ein Haufen Leute bei der Entdeckung dabei gewesen, so daß es dem Statthalter nicht schwer gefallen sei, die Stelle zu finden. Sie hätten dann noch den Dr. Neuenschwander geholt, der den Tod festgestellt und den Witschi ins Gemeindespital habe bringen lassen. Murmann habe verlangt, die Sektion solle im Gerichtsmedizinischen Institut ausgeführt werden. Dr. Neuenschwander sei ärgerlich geworden, habe dann aber auch eingewilligt, nur habe er ein Protokoll aufgesetzt und es ›Sektionsprotokoll‹ getauft, auch mit einer Sonde die Schußwunde untersucht und dann in gelehrten Ausdrücken ihre mutmaßliche Stellung festgehalten…
»Die Taschen waren leer?«
»Ganz leer«, sagte Murmann. »Und das ist mir auch aufgefallen.«
»Warum?«
»Ich weiß selber nicht…«
»Aber an dem Tag soll der Witschi dreihundert Franken bei sich gehabt haben? Er hat doch Rechnungen einkassiert? Und von daheim noch Geld mitgenommen?«
– Von daheim habe er sicher kein Geld mitgenommen, darauf möchte er, Murmann, schwören. Aber hundertfünfzig Franken habe er wohl gehabt, er habe Rechnungen einkassiert, und die Bauern, bei denen er gewesen sei, hätten telephonisch die Sache bestätigt…
»Weiter!« sagte Studer. Er hatte eine Brissago angezündet…
– Der Statthalter sei ein schüchternes Mannli, erzählte Murmann, und habe immer dem Aeschbacher zugestimmt. Der habe betont, es handle sich um einen Mord, und das sei Murmann merkwürdig vorgekommen. Er für sein Teil sei sicher, daß Witschi sich umgebracht habe…
»Nicht gut möglich«, sagte Studer. »Der Assistent im Gerichtsmedizinischen hat's mir vordemonstriert. Es müßten Pulverspuren vorhanden sein. Zugegeben, der Witschi hatte lange Arme, aber stell' dir einmal vor, wie er hätte die Waffe halten müssen…« Er trat ins Lampenlicht, nahm den Browning vom Tisch, prüfte, ob er gesichert sei (das Magazin war zwar leer, aber… ) und hob ihn dann… Studer versuchte jene Stellung nachzuahmen, die ihm der italienische Assistent vordemonstriert hatte. Da sein Arm ziemlich dick war, gelang es ihm nicht.
Murmann schüttelte den Kopf. Witschi sei gelenkig gewesen, so daß eine Möglichkeit immerhin vorhanden sei…
»Erzähl' weiter!« unterbrach ihn Studer.
– Es sei nicht mehr viel zu erzählen. Auf Befehl des Statthalters habe er, Murmann, am Nachmittag noch die Arbeiter vom Ellenberger einem Verhör unterworfen. Aber es sei nichts dabei herausgekommen. Er sei dann zu den Witschis gegangen, habe aber nur den Sohn daheim angetroffen. Der habe nichts sagen wollen… Schließlich habe der Armin gemeint, er habe gehört, der Vater sei im Wald ermordet worden, aber das sei Sache der Polizei.
»Nun bin ich doch stutzig geworden. Ich hab' doch am Morgen extra den Photographen hinaufgeschickt, damit er die Familie auf den Todesfall vorbereite… Und denk' dir, da sagt mir der Bursch, es sei eigentlich ein Glück, daß der Vater tot sei, sonst hätt' man ihn doch in der nächsten Zeit administrativ versorgt…«
»Und die dreihundert Franken?«
»Ich bin dann zum Bahnhofkiosk gegangen und hab' die Frau Witschi ausgefragt. Die hat mir erzählt, ihr Mann habe am Morgen hundertfünfzig Franken mitgenommen. Ich hab' wissen wollen, warum er so viel Geld mitgenommen hat. Aber sie hat nur immer behauptet, ihr Mann habe das Geld gebraucht. Sonst hat sie nichts sagen wollen. Und dann hat die Frau Witschi weiter gesagt – genau wie ihr Sohn – mit ihrem Mann sei es nicht mehr zum Aushalten gewesen, er habe immer mehr und mehr gesoffen und der Aeschbacher habe gemeint, man müsse ihn versorgen. Sie habe dem Wendelin kein Geld mehr gegeben, aber der Ellenberger, der habe immer ausgeholfen, sich Schuldscheine ausstellen lassen… ja, hab' ich gemeint, aber die hundertfünfzig Franken, die der Witschi mit auf die Reise genommen habe, woher denn die seien? Da hat sie gemerkt, daß sie sich widersprochen hat, hat zuerst etwas gestottert, der Mann habe sie notwendig gebraucht, und darum habe sie ihm das letzte Geld gegeben, dann hat sie nichts mehr sagen wollen…«
Du meinst also, der Witschi hat die dreihundert Franken für irgend etwas gebraucht?«
»Ja, schau, das wär' dann ganz einfach. Der Witschi erschießt sich im Wald. Er hat den Schlumpf an die gleiche Stelle bestellt, sagen wir um elf Uhr. Der Schlumpf muß den Browning holen, denn wenn die Waffe neben der Leiche bleibt, wird niemand an einen Mord glauben. Der Schlumpf soll die Waffe beiseite schaffen und, wenn es nötig ist, sich anklagen lassen, dafür bekommt er dreihundert Franken und dann wird ihm versprochen,