Der Buddhismus. Gottfried Hierzenberger
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In der ersten Nachtwache durchläuft er die vier Stadien der Meditation (dhyāna) und erreicht einen Zustand von absoluter Reinheit, Gleichgültigkeit und erwecktem Denken, dadurch erkennt er mit seinem Dritten Auge die Gesamtheit der Welt, ihr Werden und Vergehen und die karmatischen Zusammenhänge. In der zweiten Nachtwache hat er alle seine Vorexistenzen vor Augen und betrachtet auch die unendlichen Existenzen der Menschheit. In der dritten Nachtwache erlangt er schließlich die Erleuchtung oder Erweckung seines Selbst (bodhi), als er das Gesetz der zwölf »Entstehungen in gegenseitiger Abhängigkeit« (pratītyasamut-pāda) erfasst und zugleich die Bedingungen entdeckt, die imstande sind, diese Entstehungen (nidāna) anzuhalten.
Als es Tag wurde, besaß er die vier »Edlen Wahrheiten« (āryasatya), erkannte die fünf vergänglichen »Aggregatzustände des irdischen Lebens« (skandha) und war zum Buddha geworden – das heißt, er fühlte sich befreit von der ewigen Abfolge von Tod und Wiedergeburt (samsāra) und erlöst von jeder sinnlichen Leidenschaft, Werdelust und vom Nichtwissen. Durch diese Erleuchtung höheren Grades (abhisambodhi) bzw. durch höchste und vollkommenste Erleuchtung (anuttarâ samyaksambodhi) hatte er zugleich auch das nirvāna erreicht. Sieben Tage (nach anderen Überlieferungen vier oder sogar sieben Wochen) lang soll der Buddha unter dem Baum der Erleuchtung gesessen sein und die Seligkeit seiner Erlösung genossen haben. Er soll über diese Zeit gesagt haben: »Es gibt für mich nichts jenseits dieser Welt. Die Unwissenheit war verscheucht, Wissen hervorgeströmt. Die Dunkelheit war vergangen, Licht war aufgegangen.«
Auf dem Lehrweg
Dann hatte er noch eine letzte Versuchung Māras zu bestehen: Dieser suggerierte ihm, er könne sofort in das Parinirvāna (den Zustand des völligen Erlöschens seiner irdischen Strukturen) eingehen. Der Gott Brahmā aber beschwor ihn, was er gefunden habe, nicht für sich zu behalten, sondern »die Tore des Unvergänglichen für die, welche hören wollen, zu öffnen«. Der Buddha war sich zuerst im Unklaren, ob dieser schwierige Weg, den er selbst genommen hatte, für andere Menschen nicht zu schwer sein werde. Doch dann war er sich doch dessen gewiss, dass es genug Menschen gäbe, die der Erlösung fähig seien – besonders wenn sie gründlich in die Lehre eingeführt werden und in einer gut organisierten Glaubensgemeinschaft leben können. Und er entschloss sich – geleitet von den beiden Buddha-Eigenschaften Allwissenheit (sarvajnatā) und Mitleid (mahākarunā) –, die von ihm erkannte Wahrheit darzulegen und »das Rad der Lehre in Gang zu setzen« (Dharmachakrapravartanasūtra).
Der Ort dieses denkwürdigen Ereignisses, Bodh-Gayā in Ostindien, zieht noch heute unzählige buddhistische Pilger aus aller Welt an. Der Buddha wandte sich von da aus nach Benares und traf auf dem Weg dorthin den berühmten Asketen Upaka. Als dieser ihn aufforderte, sein Schüler zu werden, sagte Gautama zu ihm:
Für mich gibt es keinen Lehrer, keiner ist mir vergleichbar; in dieser Welt bin ich der einzige völlig Erleuchtete; ich habe die vollkommene und höchste Erleuchtung erlangt; in dieser Welt habe ich alles überwunden und bin allwissend; ich werde hier durch nichts befleckt. Nachdem ich mich von allem gelöst habe und ohne Begehren bin, bin ich befreit. Nachdem ich aus eigener Kraft die Erleuchtung erlangt habe, wen könnte ich da Lehrer nennen? Niemand ist so wie ich, keiner ist mir gleich; ich habe die Erleuchtung erlangt, indem ich mich selbst unterrichtet habe. Ich bin der Tathāgata, der Lehrer von Göttern und Menschen, allwissend und mit allen Kräften ausgestattet. In dieser Welt bin ich der Heilige; in den Welten der Götter und Menschen ist niemand mir überlegen; in den Welten mit all ihren Göttern habe ich Māra bezwungen, bin ich der Sieger … Jene, die die Zerstörung der Unreinheiten erreicht haben, sind Sieger so wie ich; ich habe alle bösen Dinge überwunden, darum bin ich der Sieger«. (Sanghabhedvastu)
Diese sehr hochmütig klingende Selbsteinschätzung spiegelt die über alle irdischen Ausmaße hinausgehende Erfahrung jener höchsten Erleuchtung, die dem Buddha zuteil geworden war, und setzt zum Verständnis bzw. zur Vermeidung von Fehleinschätzungen die Kenntnis des buddhistischen Menschen- und Gottesbildes voraus, das weder eine unsterbliche Seele noch unsterbliche Gottheiten kennt. Der Buddha, dem kurz zuvor die rechte Einsicht zuteil geworden war, durchschaut die Vergänglichkeit allen menschlichen Wissens und Mühens und auch die Kontingenz der Gottheiten und des Lebens in paradiesischen Welten, weil er Anteil an der höchsten Wahrheit (dem Absoluten) bekommen hat, vor der alles andere relativ wird und verblasst.
Diese Stelle ist daher zum Verständnis des wahren Buddhismus sehr wichtig und bietet auch Ansätze und Möglichkeiten zur Selbstkritik von Buddhisten, die immer wieder gegen eine Reduzierung der Lehre des Buddha auf das »allgemeine religiöse Niveau« aufgetreten sind. Das Problem besteht darin, dass die übliche Verehrung der Götter, die gewohnte Frömmigkeit (und sei sie noch so tief) und ein Übersehen der Grunderkenntnis des Buddha von der totalen Relativität und Vergänglichkeit alles Irdischen (auch von als unvergänglicher Wahrheit definierten Lehrsätzen = Dogmen) zu fatalen Missverständnissen und Verkürzungen und damit zur Selbsttäuschung über das tatsächlich Erreichte führen können und daher immer in Frage gestellt werden müssen.
So wird es auch verständlich, dass sich der Buddha und die geistigen Spitzen des Buddhismus immer geweigert haben, inhaltliche Aussagen über Metaphysisches (das Nirvāna, Gott, die unsterbliche Seele des Menschen, die Ewigkeit des Heiligen usw.) zu machen und dass dies zu fatalen Missverständnissen geführt hat – z. B. das Nirvāna als nihilistische Konzeption. Wenn der Buddha über das Wesen des Nirvāna keine Aussagen machen will oder in Bilder (Gleichnisse) ausweicht, muss man das ernst nehmen und offen lassen, darf keinesfalls daraus eine »Nichtung« z. B. im Sinne Martin Heideggers machen! Das würde das vom Buddha Gemeinte gründlich missverstehen. Anhand der folgenden zwei Beispiele kann das noch besser veranschaulicht werden:
Ebenso wie alle Mangofrüchte an einem Stamm, der sie trägt, dasselbe Schicksal erleiden wie dieser Stamm, wenn er abgebrochen ist, so hat auch der Körper des Tathāgata abgebrochen, was zum Dasein führt. Solange sein Körper existiert, können Götter und Menschen ihn sehen. Nach der Auflösung des Körpers am Ende seines Lebens können Götter und Menschen ihn nicht mehr sehen. (Digha-Nikâya I, 46)
Ebenso wie die Flamme, die, vom Wind berührt, zur Ruhe geht, nicht mehr zu sehen ist, so tritt auch der Weise – befreit von ›Name und Form‹ oder von den ›fünf unreinen Daseinsgruppen‹ – ein in die Ruhe, ist für niemanden mehr zu sehen … Ihn, der die Ruhe erlangt hat, kann kein Maß messen; von ihm zu sprechen, dafür gibt es keine Worte. Was der Geist erfassen kann, verschwindet. So bleibt jeder Weg zu einer Erörterung verschlossen. (Suttanipâta 1074ff)
Auf diesem Hintergrund bekommt auch der unmittelbar nach dem Tod des Buddha einsetzende Reliquienkult – der nicht zuletzt zur Entwicklung der architektonisch phänomenalen Stupas geführt hat, die teilweise zum Weltkulturerbe gehören – einen negativen Anstrich. Er widerspricht auch der ausdrücklichen Anordnung, die der Buddha noch zu Lebzeiten – wohl in weiser Voraussicht dessen, was die Nachwelt mit seinen sterblichen Überresten treiben wird – gegeben hat, an die man sich aber nicht hielt:
Verschwendet eure Zeit nicht damit, meinem Leichnam zu huldigen, sondern arbeitet mit aller Sorgfalt und allem Fleiß an eurem eigenen geistigen Wohl. Es gibt, Ānanda, unter den Adligen, Brahmanen und Haushaltern weise Männer, die dem Tathāgata ergeben sind; sie werden dem Leichnam des Tathāgata