Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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und Kaf­fee tran­ken, in Ve­ne­dig, sah schwarz­ge­schnä­bel­te Gon­deln, die ich aus Ab­bil­dun­gen kann­te, und Mar­mor­pa­läs­te in fei­er­li­cher Pracht.

      In mei­ner Vor­stel­lung ist es in Obe­reß­lin­gen im­mer Som­mer ge­we­sen. Wie es mög­lich war, uns wäh­rend der lan­gen Win­ter­mo­na­te in den en­gen Räu­men zu hal­ten, ist mir nicht er­in­ner­lich. Un­se­re Leb­haf­tig­keit mag die dich­te­ri­schen Ge­bil­de, mit de­nen sich un­ser Va­ter trug, schwer ge­nug be­ein­träch­tigt ha­ben und war die Ur­sa­che, dass er den Tag über nur sel­ten das Kin­der­zim­mer be­trat, ja nicht ein­mal die Mahl­zei­ten mit der Fa­mi­lie teil­te. Des­halb tritt auch sei­ne Ge­stalt in mei­nen frü­hen Erin­ne­run­gen we­nig her­vor; sie wan­delt nur manch­mal ernst und ho­heits­voll über den Hin­ter­grund.

      O die Som­mer­se­lig­keit, als man sel­ber noch nicht hö­her war als die rei­fen son­ne­duf­ten­den Ähren, zwi­schen de­nen man sich durch­wand, um die blau­en Korn­blu­men und die flam­mend ro­ten Mohn­ro­sen her­aus­zu­ho­len. Wenn ich noch ein­mal nach­emp­fin­den könn­te, was das Kin­de­rohr bei den Schil­ler­schen Ver­sen:

       Win­det zum Kran­ze die gol­de­nen Ähren,

       Flech­tet auch blaue Zya­nen hin­ein –

      an Fül­le des Seins ge­noss! Die gül­de­nen Hal­me, das sat­te Blau und Rot der Blu­men sa­hen mich dar­aus noch schö­ner an, durch einen tie­fen Gold­ton aus der Far­ben­scha­le der Poe­sie ver­klärt. Da­mals wa­ren die Wor­te der Spra­che kei­ne rein geis­ti­ge Sa­che, es haf­te­te ih­nen noch eine köst­li­che Stoff­lich­keit von den Din­gen, die sie be­zeich­nen, an. Ich leb­te und web­te um jene Zeit in den Schil­ler­schen Bal­la­den. Die Göt­ter Grie­chen­lands, Die Kla­ge der Ce­res, Kas­san­dra und vor al­lem Das Sie­ges­fest wa­ren mir die liebs­ten. Ihr glo­cken­ar­ti­ger Klang be­zau­ber­te mich, wäh­rend ihre Ge­gen­stän­de mei­ne in­ne­re Welt be­völ­ker­ten. Selbst ein rein phi­lo­so­phisch ge­rich­te­tes Ge­dicht wie Das Ide­al und das Le­ben war mir schon in mei­ner Früh­zeit völ­lig ge­läu­fig und so­gar ganz be­son­ders teu­er. Das Ge­dank­li­che dar­in, das ich noch nicht mit­den­ken konn­te, emp­fand ich als ein dunkles pro­phe­ti­sches Rau­nen von hö­he­ren Din­gen, und es wirk­te poe­tisch, eben weil ich es nicht ver­stand. Zu­gleich hat­te es auch eine er­he­ben­de Macht, wie ein un­ver­stan­de­nes, aber gläu­big ver­ehr­tes Stück Sit­ten­ge­setz. Ich hü­te­te mich über­haupt, ein Ge­dicht zu zer­glie­dern oder auch nur ei­nem Wor­te nach­zu­for­schen, des­sen Sinn mir dun­kel war. Denn das hö­he­re Ah­nen lab­te mich viel mehr als ir­gend­ei­ne tat­säch­li­che Er­kennt­nis. In­dem mir sol­che Ver­se im Heran­wach­sen im­mer ge­gen­wär­tig blie­ben, be­merk­te ich es sel­ber nicht, wie ich all­mäh­lich in das rich­ti­ge Ver­ständ­nis hin­über­g­litt. Ich glau­be, dass un­se­re Mut­ter rich­tig ge­lei­tet war, als sie uns die Schil­ler­schen Ge­dich­te in ei­nem so frü­hen Le­bensal­ter in die Hän­de gab. Denn sie ver­brei­ten ne­ben ei­nem rei­chen sach­li­chen In­halt die hohe und rei­ne Luft, wor­auf es doch für die Kind­heit vor al­lem an­kommt. Her­nach mag sich das rei­fen­de künst­le­ri­sche Be­dürf­nis sei­ne Wei­de su­chen, wo ihm am wohls­ten ist. Dass mei­ne ers­te Welt eine so schö­ne und wei­he­vol­le war, ver­dan­ke ich die­sem Dich­ter vor­zugs­wei­se mit, ob­gleich er nicht ihr ei­gent­li­cher Schöp­fer, son­dern nur ihr Ver­meh­rer und Er­hal­ter ge­we­sen ist. Die frü­he­s­ten Ein­drücke ka­men mir aus den Ho­me­ri­schen Ge­sän­gen, die uns Mama, so­bald wir nur ge­läu­fig le­sen konn­ten, zu­nächst in pro­sa­i­scher Be­ar­bei­tung, in die Hän­de ge­ge­ben hat­te. Die grie­chi­sche Göt­ter- und Hel­den­sa­ge ver­band sich blitz­schnell und un­auf­lös­lich mit un­se­rer Vor­stel­lung. Der Olymp mit al­len sei­nen In­sas­sen thron­te leib­haf­tig in un­se­rem Gar­ten. Wir sel­ber üb­ten uns flei­ßig im Speer­wer­fen und Bo­gen­schie­ßen. In dem quat­schi­gen gel­ben Obe­reß­lin­ger Lehm bis an die Ell­bo­gen wüh­lend, bau­ten wir die hei­li­ge Tro­ja auf, schlepp­ten aus dem Röh­ren­brun­nen zahl­lo­se Was­serei­mer her­bei, um die Win­dun­gen des Ska­man­der­bet­tes zu fül­len. Dann ver­wan­del­ten wir uns selbst in Hel­den und Göt­ter, und um die Mau­ern Tro­jas wur­de mit Macht ge­run­gen. Ich trug wie die Brü­der Helm und Schild und Lan­ze aus Papp­de­ckel und Gold­pa­pier so­wie ein mit dem Me­du­sen­haupt ge­schmück­tes Pan­zer­hemd und warf den di­cken Al­fred, wenn er als Ares an­stürm­te, im Nah­kampf nie­der, wo­bei er vor­schrifts­mä­ßig brüll­te »wie zehn­tau­send Män­ner«. Die­ser schö­ne Kna­be, der sich sel­ber But­zel nann­te, war nach der Schil­de­rung mei­ner Mut­ter bis ins zwei­te Le­bens­jahr das put­zigs­te und lie­bens­wür­digs­te Kerl­chen ge­we­sen; nach ei­ner Kin­der­krank­heit aber hat­te ihn plötz­lich eine nicht zu bän­di­gen­de Wild­heit und Un­art be­fal­len. Von Feld und Wie­sen brach­te er aus dem Schatz der Bau­ern­spra­che nie ge­hör­te schnö­de Re­dens­ar­ten heim, die un­se­ren Ohren ganz bar­ba­risch klan­gen und bei de­nen man sich, da er sie nur ver­stüm­melt und dem Klang nach auf­fass­te, nicht ein­mal et­was den­ken konn­te.

      Zu­wei­len kam ein Kind aus be­freun­de­tem Hau­se mit sei­nen El­tern von Stutt­gart her­über und meng­te sich zit­ternd zwi­schen Lust und Grau­sen in un­ser wil­des Spiel. Es war ein zar­tes klei­nes, äu­ßerst wohl­er­zo­ge­nes Mäd­chen, des­sen kühns­ter Traum war, ein­mal mit uns »dre­ckeln« zu dür­fen: so nann­te man das Schaf­fen in dem feuch­ten Lehm, wo­nach man im­mer von Kopf zu Fü­ßen frisch ge­wa­schen wer­den muss­te. Dass wir die hei­li­ge Tro­ja bau­ten, war ihr zwar noch nicht auf­ge­gan­gen, aber die Sa­che hat­te auch so einen dä­mo­ni­schen Reiz. Be­vor sie kam, un­ter­zog Papa den rau­en But­zel ei­ner stren­gen Er­mah­nung, das klei­ne Mäd­chen ja nicht um­zu­wer­fen und ihr auch sonst kei­nen Scha­den zu tun. Dies hin­der­te den Wild­fang nicht, sich mit schreck­haf­ter Mie­ne vor ihr auf­zu­pflan­zen und drei pein­li­che Fra­gen an sie zu stel­len: Emy, kannst du grie­chisch? (Er hielt näm­lich die dia­lekt­freie­re Auss­pra­che un­se­res Hau­ses da­für.) – Kannst du mit dem Fuß an den Ohren krat­zen? – Sie beb­te, denn sie hat­te bei­des noch nicht ver­sucht. Aber nun kam schnell die drit­te Fra­ge: Kannst du grun­zen wie ein Schwein? Da­bei war­te­te er die Ant­wort nicht ab, son­dern gab als­bald sel­ber den be­zeich­ne­ten Ton von sich und mit sol­cher Stär­ke, dass die arme Klei­ne fast vor Schreck in die Boh­nen fiel.

      Bei sol­cher Ge­müts­art konn­te ihm nichts bes­ser pas­sen als den Ares zu spie­len. Ein an­der­mal aber muss­te er Hek­tor sein und sich von Ed­gar-Achil­leus fäl­len las­sen. Dass ihm bei un­se­ren Spie­len je­des Mal die Rol­le ei­nes Un­ter­lie­gen­den zu­fiel, wur­de mit ein Grund zu sei­ner im­mer wüh­len­den heim­li­chen Er­bit­te­rung ge­gen den äl­te­ren Bru­der und die Schwes­ter, vor der ich mich im Heran­wach­sen hü­ten muss­te, da er mich oft un­ver­se­hens mit sei­nem di­cken Kopf an­zu­ren­nen und um­zu­wer­fen such­te. Ed­gar, der Bast­ler, ver­fer­tig­te einen rich­ti­gen an­ti­ken Kriegs­wa­gen, an dem er vor­hat­te, den Hek­tor zu schlei­fen, al­lein die zwei Rä­der woll­ten nie so recht rol­len, da sie vom Drechs­ler als mas­si­ve, in der Mit­te durch­bohr­te Schei­ben ge­lie­fert wur­den. Da­ge­gen über­spann­te er mit Er­folg alte Zi­gar­ren­schach­teln mit Darm­sai­ten und ver­fer­tig­te Lei­ern dar­aus, auf de­nen die jun­ge Göt­ter­schar flei­ßig klim­per­te. Der vier­jäh­ri­ge Er­win fiel aber zu­wei­len aus der Rol­le,

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