Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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noch schö­ner ver­kör­per­ten. Häu­fig ent­spann sich nun im Rate der Göt­ter ein Streit, wer denn ei­gent­lich ed­ler sei, Hek­tor oder Achil­leus, wo­bei Mama und Jo­se­phi­ne dazu neig­ten, dem tap­fe­ren und un­glück­li­chen Ver­tei­di­ger von Herd und Hei­mat den Preis zu ge­ben. Dies er­reg­te mei­nen stärks­ten Wi­der­spruch, denn die hö­he­re Na­tur des zar­ten und furcht­ba­ren Grie­chen­hel­den war mir un­wi­der­steh­lich auf­ge­gan­gen; sein frü­hes vor­be­stimm­tes Ster­ben­müs­sen er­füll­te mich mit un­säg­li­cher Tra­gik, in der schon der Schmerz um das kur­ze Da­sein al­les Schö­nen lag. Wo­ge­gen mir der Un­ter­gang Hek­tors nicht un­ge­rech­ter schi­en, als dass der Mond ver­blei­chen muss, wenn die Son­ne auf­geht.

      In ei­nem Win­kel des Obst­gar­tens hat­ten wir aus her­um­lie­gen­den Stein­bro­cken den großen Himm­li­schen einen Al­tar er­rich­tet, und ich nahm die­ses Spiel im stil­len ernst wie alle un­se­re Spie­le. Mama hat­te in der Ju­gend viel von re­li­gi­ösen Zwei­feln ge­lit­ten, bis die an­ge­bo­re­ne phi­lo­so­phi­sche Rich­tung über den gleich­falls vor­han­de­nen mys­ti­schen Hang den Sieg da­von­trug. Be­son­ders aus An­lass der Kon­fir­ma­ti­on und der ers­ten Kom­mu­ni­on hat­te sie schwe­re in­ne­re Kämp­fe zu be­ste­hen ge­habt. Um un­se­ren zar­ten Jah­ren ähn­li­che Qua­len zu er­spa­ren, war sie auf den Aus­weg ver­fal­len, uns die re­li­gi­ösen Be­grif­fe gänz­lich fern­zu­hal­ten, eben­so wie sie es mit dem Tode ge­macht hat­te. Aber die Emp­fin­dung ei­nes Gött­li­chen liegt doch von Hau­se aus in der See­le, we­nigs­tens lag sie in der mei­ni­gen. Also glaub­te ich an die Göt­ter Grie­chen­lands. Ich schlich mich öf­ter in der Mor­gen­stil­le zu un­se­rem Stein­al­tar, um Op­fer in Ge­stalt von Blu­men oder Kornäh­ren dar­zu­brin­gen und mich in die Be­trach­tung ei­nes großen er­ha­be­nen Seins zu ver­sen­ken. Na­tür­lich nahm ich die jun­ge Göt­ter­schar, de­ren Rol­len wir sel­ber spiel­ten, nicht all­zu ernst­haft, aber ihr Ober­haupt er­weck­te mei­ne Ehr­furcht. Ein Wel­ten­va­ter, Er­schaf­fer und Er­hal­ter al­les Seins war mir schon von der Schich­tung der Fa­mi­lie her eine na­tür­li­che und not­wen­di­ge Vor­stel­lung. Ihm galt mei­ne An­dacht. Mei­ne per­sön­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten brach­te ich nicht vor ihn, da­für stand er mir zu hoch. Die­se trug ich ja nicht ein­mal zu mei­nem ir­di­schen Va­ter, mit dem der Ver­kehr gleich­falls ein hö­he­rer, geis­ti­ge­rer war; sie gin­gen ein­zig und al­lein die Mut­ter an. Die­se stil­len Er­bau­ungs­stun­den wa­ren mein tiefs­tes Ge­heim­nis, im üb­ri­gen aber war un­ser Göt­ter­we­sen ruch­bar ge­wor­den, und im Dor­fe hat­te sich das Gerücht ver­brei­tet, hin­ter un­se­rer Gar­ten­mau­er wür­de Ab­göt­te­rei ge­trie­ben. Ein elf­jäh­ri­ges Bau­ern­mäd­chen aus dem Nach­bar­haus, das uns die Milch brach­te, frag­te mich ei­nes Ta­ges, ob wir denn nie et­was von un­se­rem Herrn Chris­tus ge­hört hät­ten. Ich ver­nein­te vol­ler Wiß­be­gier. Nun lud sie uns ein, uns nach­mit­tags auf dem Mäu­er­lein, das un­se­re Gär­ten trenn­te, ein­zu­fin­den; sie wer­de uns einen Korb voll ih­rer feins­ten Bir­nen, Gais­hirt­lein ge­nannt, mit­brin­gen un­ter dem Be­ding, dass wir auf­merk­sam an­hö­ren woll­ten, was sie uns zu er­zäh­len habe; un­se­rer Jo­se­phi­ne dürf­ten wir nichts da­von sa­gen, weil sie eine Hei­din sei wie wir. Sehr er­war­tungs­voll ka­men wir zur Stel­le, wo un­ser klei­ner Apos­tel uns nun voll rüh­ren­den Ei­fers, aber mit sehr un­zu­läng­li­chen Kräf­ten zu­nächst in die Schöp­fungs­ge­schich­te ein­führ­te. Das ver­trug sich noch so ziem­lich mit un­se­rer grie­chi­schen Vor­stel­lung. Als sie dann aber auch die Mys­te­ri­en der Men­sch­wer­dung und der Wel­ter­lö­sung er­klä­ren woll­te, ver­sag­te ihr geist­li­ches Rüst­zeug. Wir konn­ten uns Gött­li­ches nur im höchs­ten Glan­ze den­ken. – Wa­rum, warum ließ er sich das al­les ge­fal­len? – Geohr­feigt, ge­peitscht! Ein Gott! Wa­rum hol­te er kei­nen Blitz vom Him­mel? Un­mög­lich! Nein, da­ge­gen em­pör­te sich un­ser Ge­fühl.

      Der gläu­bi­ge Ame­ri­ka­ner Ralph Wal­do Trim stellt in sei­nem »Neu­bau des Le­bens« die Fra­ge auf, was wohl ein na­tür­li­cher, sonst wohl­ge­bil­de­ter Mensch, der, wenn sol­ches mög­lich, ganz ohne Kennt­nis re­li­gi­öser Lehr­sät­ze auf­ge­wach­sen wäre, bei sei­ner ers­ten Berüh­rung mit dem Chris­ten­tum emp­fän­de. Und er kommt zu dem Schluss, dass der ge­mar­ter­te, ge­schän­de­te Hei­land ihm nur das tiefs­te Be­frem­den er­re­gen könn­te. Wir wa­ren da­mals in die­sem schier nicht aus­zu­den­ken­den Fall, und die arme Rike kam arg ins Ge­drän­ge, als sie uns das Un­fass­li­che fass­lich ma­chen woll­te. Sie schalt, wir schal­ten wie­der, und es ent­spann sich eine rich­ti­ge Dis­pu­ta­ti­on, die un­ser Vier­jäh­ri­ger durch die Fra­ge un­ter­brach: Ja, weißt du denn nicht, dass wir die grie­chi­schen Göt­ter sind? Da griff sie ent­setzt nach ih­rem leer ge­wor­de­nen Korb und glitt die Mau­er hin­ab, wir aber lie­ßen uns von der an­de­ren Sei­te er­schöpft ins Gras fal­len. Al­lein das Ge­hör­te be­gann doch in mir zu wüh­len, ich ging wie ge­wöhn­lich zur Mut­ter und ver­lang­te Re­chen­schaft über den ge­kreu­zig­ten Gott. Sie ant­wor­te­te, ich sei für sol­che Fra­gen noch zu jung, ich sol­le ru­hig wei­ter­spie­len; wenn ich ein­mal äl­ter sei, wer­de sie über das al­les mit mir re­den.

      Ich möch­te ja nun die An­sicht mei­ner Mut­ter über die­se Er­zie­hungs­fra­ge nicht ohne wei­te­res gut­hei­ßen. Schon weil man ei­nem Kin­de das künf­ti­ge Le­ben nicht leich­ter macht, wenn man es so streng von der Au­ßen­welt ab­sperrt, dass es nicht ein­mal die re­li­gi­ösen Vor­stel­lun­gen sei­ner Zeit­ge­nos­sen kennt. Aber ein Gu­tes war doch da­bei: dass mir spä­ter die un­be­greif­li­che Ge­stalt des Men­schen­soh­nes so ur­sprüng­lich und un­be­rührt von Phra­se und Her­kom­men aus den Evan­ge­li­en ent­ge­gen­trat, wie ihn die frü­hen christ­li­chen Jahr­hun­der­te ge­kannt ha­ben.

      Die Rike aber hat­te sich über uns im Dor­fe be­klagt, und ei­nes Ta­ges rück­te die länd­li­che Ju­gend mit Ste­cken und Stei­nen be­waff­net vor un­se­re Gar­ten­tür und for­der­te un­se­re Hei­den­schaft zum Kampf. Wir sa­hen von der Gar­ten­mau­er, dass sie uns an Zahl und Kör­per­grö­ße sehr über­le­gen wa­ren. Da­für aber wa­ren wir Göt­ter und Hel­den, sie nur Bau­ern­jun­gen. Schnell wur­den die Rüs­tun­gen an­ge­legt, und als wir hin­ter dem Pfört­chen auf­ge­stellt wa­ren, drück­te Ed­gar, der den Ober­be­fehl hat­te, auf die Klin­ke, wir an­de­ren stie­ßen mit un­se­ren gol­de­nen Spee­ren die Tür vollends auf. Die Rot­te stand einen Au­gen­blick sprach­los vor so viel Gold­pa­pier, und wir glaub­ten schon Sie­ger zu sein. Da pras­sel­te ein Re­gen von Stei­nen und Kas­ta­ni­en auf uns, ein lan­ger Lüm­mel ging mit ei­nem großen Ste­cken auf un­se­ren schmäch­ti­gen aber tap­fe­ren Füh­rer los; so­wohl der di­cke Ares wie Pal­las Athe­ne woll­ten ihm zu Hil­fe kom­men, da wur­de letz­te­re von hin­ten am Arm zu­rück­ge­zo­gen, denn die gute Jo­se­phi­ne war auf den Lärm her­zu­ge­stürzt. Sie ver­scheuch­te mit Dro­hun­gen die Gas­sen­ben­gel und führ­te Göt­ter und Hel­den ins Haus zu­rück.

      In je­nen Ta­gen gin­gen auch die gu­ten Hol­den noch leib­haft auf Er­den. Ich mei­ne je­nes jetzt un­ter­ge­gan­ge­ne Ge­schlecht frei­wil­li­ger Hel­fe­rin­nen, das, als man von or­ga­ni­sier­ter so­zia­ler Ar­beit noch nichts wuss­te, mit sei­ner Für­sor­ge je­den kin­der­rei­chen Haus­halt um­schweb­te. Es wa­ren

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