Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Die edelste unter ihnen war die Besitzerin eines benachbarten Kramlädchens, unsere geliebte »Tante Berta«, der ich schon in der Lebensgeschichte meines Vaters ein kleines Gedächtnismal gesetzt habe. Sie ist aus meinen Jugenderinnerungen schlechterdings nicht wegzudenken. Wie oft kam sie und holte uns Kinder zu langen Spaziergängen ab, um unsere getreue Josephine zu entlasten und meinem von ihr still verehrten Vater ein paar Stunden völliger Ungestörtheit zu verschaffen. Sie strickte von früh bis spät, im Stehen und Gehen, denn jeden Abend musste ein Paar Strümpfe fertig sein, womit sie ihren ganzen Bekanntenkreis beglückte. Sie sprach ein gebildetes, aber stark dialektisch gefärbtes Hochdeutsch, in dem sich viele altertümliche Wörter und Wendungen umtrieben, deren ich verschiedene später mit großem Vergnügen in Grimmelshausens Simplizissimus wiederfand. Für Stecknadeln gebrauchte sie stets das schöne, ausdrucksvolle Wort »Glufen«, das ich ihr zwar nicht nachsagte, weil es mir seltsam veraltet und zugleich erniedrigt klang, das ich aber ungemein gerne hörte. Ich dachte dabei immer an eine schöne altertümliche Fibula, obwohl das Wort jede Art von Stecknadeln bezeichnete. Man müsste in unserer heutigen Sprachnot Preise auf die Wiedereinführung solcher alten schönen Worte setzen. Wer wagt es und bürgert das prächtige Wort Glufen statt der farblosen Stecknadeln aufs neue in unserer höheren Schrift- und Umgangssprache ein?
Auf unseren Spaziergängen erzählte uns Tante Berta uralte Geschichten und Anekdoten, die von Geschlecht zu Geschlecht gingen und vielleicht niemals aufgezeichnet worden sind. So von der Bauersfrau, die im Sterben lag, aber gern noch abgewartet hätte, wie der »Gockeler« (Turmhahn) der ausgebessert werden sollte, glücklich von dem hohen Kirchturm heruntergebracht würde. Als es gar zu lange dauerte, fasste sie sich in Ergebung und sagte nur noch: Deant mir’s au nom verbiada (lasst mich’s hinüber wissen), wenn wieder ebber (jemand) stirbt, wia’s vollends gangen ischt. Oder von dem Gastwirt, der seine in den letzten Zügen liegende Frau pflegte, und als er durch das Klingeln der Gäste abgerufen wurde, ihr gemütlich die Hand gab mit den Worten: So, jetzt komm halt vollends gut ’nüber! Ferner von der Witwe des Musikanten, die der Leiche ihres Gatten folgte und plötzlich unter dem Wirtshaus, das der Schauplatz seiner künstlerischen Leistungen gewesen, in den lauten Klagegesang ausbrach: O, wie oft hast du da drinnen: Dideldum, Dideldum, Dideldum! (Dabei ging der Gesang in die Gebärde des Fiedelstreichens und Hüpfens über.)
In jener älteren Zeit, aus der ihre Geschichten stammten, scheint im Schwabenvolk überhaupt noch ein Nachklang der alten Totenklage erhalten gewesen zu sein, denn sie erzählte auch von einer Mutter, die ihrem Sohne ins Grab die fast homerische Klage nachrief: O du mei liebs Knechtle (für Kind), du Zuckerstengel, du siebenhemmeticher (der sieben Hemden besitzt), drei hosch g’het und viere hätt i dir no mache lau. Mit Vorliebe spielten ihre Geschichten auf dem Gottesacker, und sie liebte es, ihnen, auch wenn sie noch so schnurrig waren, etwas Schauriges beizumischen. Außerdem wusste sie aber auch eine Reihe richtiger Schwabenstreiche, von denen ich hier einige möglichst mit ihren Worten dingfest machen will, weil sie mir nirgends noch gedruckt begegnet sind:
Wie’s gemacht wird
Herzog Karl von Württemberg war ein großer Jagdfreund, wie auch in »Schillers Heimatjahren« zu lesen ist, und das Landvolk litt unter seiner Regierung schwer vom Wildschaden, gegen den es sich nicht wehren durfte, denn es war streng verboten, Wild abzuschießen. Ein Bäuerlein aber, dem wiederholt seine Rüben und Krautäcker abgefressen wurden, wusste sich zu helfen und legte in seinem Hof eine Hasenfalle an, die so kunstreich mit einer Glockenschnur verbunden war, dass, so oft einer vom Geschlecht Lampe sich fing, die Glocke von selbst das Zeichen gab. Dann ging das Bäuerlein hinaus und holte sich einen fetten Braten für die Küche. Der Mann aber hatte Feinde, und die verrieten dem Revierförster seine schöne Einrichtung.
Begibt sich der Revierförster zu dem Übeltäter: Hanspeter, ich habe gehört, dass du dir eine Hasenfalle angelegt hast. – Jawohl, Herr Revierförster, antwortet der Bauer treuherzig. – Ja, weißt du nicht, dass du einen Diebstahl an unserem Herrn Herzog begehst und dass du in Strafe verfallen bist? – Ha, sell wär’! sagt der Hanspeter und versichert, dass er von keiner einschlägigen Verordnung wisse. Das scheint dem Förster sehr unglaubhaft und er setzt dem Erstaunten auseinander, dass Unkenntnis des Gesetzes auch gar nicht vor Strafe schütze. Während sie noch reden, klingelt es vom Hofe her und beide schauen auf.
Hören Sie’s, Herr Revierförster? sagt der Hanspeter mit seinem dummschlausten Gesicht. Da sitzt schon wieder einer und zeigt sich an. Jetzt kommen Sie nur mit, dann sehen Sie gleich selber, wie’s gemacht wird. Der Förster lacht sich ins Fäustchen, dass er nun beide zugleich in der Falle hat, den Hasen und den Bauern. Er folgt dem Mann in den Hof, verwundert über ein solches Maß von Dummheit. Dort zieht der Bauer Herrn Lampe bei den Löffeln aus der Falle, hält ihn vor sich und überschüttet ihn mit Schimpfreden: Meinst du, ich pflanz’ meine Krautköpf’ und meine Rüben für dich, du elender S . . hund! Wart, ich will dir Respekt einbläuen, dass du das Wiederkommen vergisst! Dies sagend, gerbt er dem Hasen das Fell, schüttelt ihn dann noch einmal an den Löffeln und sagt: So, jetzt lauf heim, sag’s dei’m Weib und deiner Freundschaft, was es da zu schmarotzen gibt. Damit lässt er ihn los, und mit einem Sprung ist der Hase verschwunden.
Sehen Sie, Herr Revierförster, sagt jetzt der Hanspeter profitlich, so wird’s gemacht. Der kommt nimmer, und er sagt’s auch den andern. Und der Herr Revierförster musste mit langer Nase abziehen.
Herzog Ulrichs Löffel
Ein andermal führte sie uns noch tiefer in Württembergs Vergangenheit zurück.
Als der vertriebene Herzog Ulrich flüchtig und unerkannt sein Land durchirrte, hielt er sich eine Zeit lang in der Nähe seiner guten Stadt Tübingen auf. Dort geriet er einmal um die Mittagszeit in einen Weinberg, wo eben ein Tübinger Wingerter (Weingärtner) mit seinen Leuten sich eine Schüssel voll Erbsenbrei schmecken ließ. Der Herr, der sehr hungrig war, trat bescheiden hinzu und grüßte den Mann in gutem Gôgendeutsch (Gôg, Spitzname der Tübinger Weingärtner). Der gab ihm den Gruß zurück und fragte leutselig: Witt mithalten?, was der Herzog dankend annahm. Na, so lang zu. – Aber der Herzog sah sich fragend um: die beiden hatten Löffel, er hatte keinen. Da lacht ihn der Weingärtner