Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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nicht. Aber dem Her­zog fiel plötz­lich je­ner lan­ge ver­ges­se­ne Mit­tag in dem Wein­berg bei Tü­bin­gen ein, wo ihm gleich­falls der Löf­fel ge­fehlt hat­te, und zu­gleich auch wie­der Name und Woh­nung des bra­ven Wein­gärt­ners. Und er schick­te des an­dern Tags einen Bo­ten nach Tü­bin­gen in die Frosch­gass’ mit dem Be­fehl, ihm den Mann her­zu­brin­gen, wie er ste­he und gehe. Als der fürst­li­che Wa­gen in der schmut­zi­gen Frosch­gas­se er­schi­en, gab es dort einen mäch­ti­gen Schre­cken, und die Frau des Wein­gärt­ners, als sie hör­te, ihr Mann müs­se zum Her­zog, un­ver­züg­lich, wie er ste­he und gehe, da rang sie die Hän­de und jam­mer­te: O Ma’, was hoscht du don? Zum Her­zich muescht – ’s gôht um dein Kopf.

      Der Mann be­teu­er­te, dass er von gar nichts wis­se, und bat, man möch­te ihm we­nigs­tens Zeit las­sen, dass er sein bes­se­res Häs (Ge­wand) an­zie­he, aber er wur­de ohne wei­te­res in den Wa­gen ge­setzt und roll­te in hei­ßer Angst gen Stutt­gart. Dort führ­te man ihn gleich vor den Her­zog, der an der Ta­fel saß und der ihn auf dem lee­ren Stuhl an sei­ner Sei­te Platz neh­men und zu­grei­fen hieß. Je­ner zau­der­te: alle wa­ren mit Löf­feln ver­se­hen, nur er nicht. Wa­rum isst du nicht? frag­te der Her­zog streng. Der Mann be­kann­te, was ihm fehl­te.

      Weißt du nicht, wie man einen Löf­fel macht? herrsch­te der Her­zog den Er­schro­cke­nen an und mach­te dazu ganz be­son­de­re Au­gen. So will ich dir’s zei­gen.

      Bricht das Knäu­schen vom Brot, höhlt es aus und reicht’s ihm: So, jetzt lang zu und iss.

      Der Mann konn­te nichts sa­gen als: Oh, Herr Her­zich, send Ihr’s g’wä?

      Er wur­de fürst­lich mit Spei­se und Trank be­wir­tet und dann in Gna­den zu sei­ner Frau ent­las­sen, nach­dem der Her­zog zu­vor noch ihm und sei­nen Nach­kom­men Steu­er­frei­heit zu­ge­sagt hat­te für alle Zei­ten.

      *

      Uner­schöpf­li­chen Stoff bo­ten ihr die schwä­bi­schen Land­pfar­rer, un­ter de­nen da­mals noch die Son­der­lin­ge in Men­ge ge­die­hen. Ei­nem, der ein grund­ge­lehr­ter Theo­lo­ge und ein stil­ler Wei­ser, da­bei aber sehr un­prak­tisch war, wur­de jede Nacht von sei­nen selbst­ge­zo­ge­nen Gur­ken und Ret­ti­chen im Pfarr­gar­ten ge­stoh­len. Er frag­te einen Kol­le­gen, was er an sei­ner Stel­le tun wür­de. Ent­we­der die Die­be ver­kla­gen oder eine Fal­le auf­stel­len, mein­te die­ser. Der Pfar­rer ant­wor­te­te nach ei­ni­gem Be­sin­nen: Ich will sie lie­ber mit geis­ti­gen Waf­fen schla­gen. Und er leg­te ein Blätt­chen zu den Gur­ken ins Beet:

       Wer Ret­tich stiehlt und Gur­ken,

       Den rech­n’ ich zu den Schur­ken.

      Weil sei­ne Frau ihn je­doch er­in­ner­te, dass die Dieb­stäh­le des Nachts statt­fän­den und das Blätt­chen so­mit sei­nen Zweck ver­feh­len müss­te, stell­te der treff­li­che Mann im Ver­trau­en auf die Macht der Dicht­kunst eine La­ter­ne dazu, die her­nach den Die­ben das Ge­schäft er­leich­ter­te.

      Auch man­ches Stück­lein alt­schwä­bi­schen Aber­glau­bens wur­de uns durch Tan­te Ber­ta über­lie­fert, die zwar sel­ber auf­ge­klärt war, aber die Lie­be zum Volks­kund­li­chen be­wahr­te. So die schö­ne Ge­schich­te von dem Mann in Duß­lin­gen, der mehr konn­te als Brot es­sen. Wenn ir­gend­wo in der Nähe ein schwe­rer Dieb­stahl vor­ge­fal­len war, so wand­te man sich an ihn. Dann er­schi­en er mit sei­nem Räd­chen im Hau­se des Be­stoh­le­nen und setz­te das Zau­ber­rad – es war ei­nes von der Art, wie es die Mes­ser­schlei­fer mit sich füh­ren – in Be­we­gung. Und wie das Räd­chen lief, so muss­te der Dieb lau­fen, bald lang­sa­mer, bald schnel­ler. Erst war die Ge­schwin­dig­keit be­trächt­lich, dann hieß es: Jetzt geht’s den Berg hin­auf, da wol­len wir sach­te tun, dass er nicht so arg schnau­fen muss. So, jetzt ist er oben – nun saus­te das Räd­chen wie­der los, und der Dieb saus­te bergab, bis er im Täl­chen war. – Halt, jetzt muss er über den Bach, der kei­nen Steg hat – das Räd­chen deu­te­te vor­sich­tig die Stei­ne an, auf die er zu tre­ten hat­te, und ließ ihn dann wie­der Ga­lopp lau­fen. – Jetzt ist er schon in der Stadt – eben kommt er die Stra­ße her­un­ter­ge­rannt – da ist er am Haus! – Man hör­te drau­ßen ein Auf­schla­gen, und das Räd­chen stand still. Nach ei­ner klei­nen Pau­se ging der Zau­be­rer hin­aus und brach­te den au­ßen ab­ge­wor­fe­nen Ge­gen­stand.

      In un­ser letz­tes Obe­reß­lin­ger Jahr fiel die Auf­re­gung über einen un­heim­li­chen Fund in der Nach­bar­schaft. In ei­nem eben erst er­wor­be­nen Schup­pen grub der neue Be­sit­zer zwei mensch­li­che Ge­rip­pe, ein großes und ein klei­ne­res, aus der Erde. Al­les eil­te hin, sie zu se­hen, wir Kin­der na­tür­lich auch. Sach­ver­stän­di­ge er­klär­ten, dass die Kno­chen ei­nem etwa vier­zig­jäh­ri­gen Mann und ei­nem drei­zehn- bis vier­zehn­jäh­ri­gen Mäd­chen an­ge­hör­ten, und dass sie jahr­zehn­te­lang in der Erde ge­le­gen hät­ten. Äl­te­re Leu­te er­in­ner­ten sich auch ei­nes Man­nes, der vor vier­zig oder mehr Jah­ren mit sei­nem Töch­ter­chen aus Ess­lin­gen ver­schwun­den war und den man in Ame­ri­ka ge­glaubt hat­te. Der frü­he­re Be­sit­zer des Schup­pens, ein al­ter, rei­cher, als Men­schen­feind ver­schrie­ner Bau­er, der sich lan­ge Zeit ge­gen den Ver­kauf die­ses vom Nach­bar be­gehr­ten Grund­stücks ge­sträubt ha­ben soll­te, wur­de gleich nach der Ent­de­ckung vom Schla­ge ge­rührt. Dunkle Ver­mu­tun­gen span­nen sich um die­se Be­ge­ben­hei­ten, ohne Ge­stalt zu ge­win­nen, denn das Ver­bre­chen war ver­jährt, so­mit wur­de ihm nicht wei­ter nach­ge­forscht. Aber nun tauch­ten auf ein­mal an­de­re un­heim­li­che Ge­schich­ten auf, die uns Tan­te Ber­ta und Jo­se­phi­ne an den lan­gen Aben­den mit rau­nen­der Stim­me er­zähl­ten. Ich be­gann in je­dem fremd­ar­tig oder fins­ter aus­se­hen­den Men­schen, ob er nun schiel­te oder sonst fehl­ge­schaf­fen war, den ge­hei­men Tä­ter ir­gend­ei­ner grau­en­vol­len, un­auf­ge­deck­ten Tat zu ah­nen. Die gu­ten Hol­den zeig­ten da ihr Dop­pel­ge­sicht der wohl­tä­ti­gen Fee und der düs­te­ren Schick­sals­schwes­ter, in­dem sie im­mer mehr Grau­en in mei­ne Näch­te tru­gen. So­gar die alte Mär vom Kro­ko­dil von Ess­lin­gen er­wach­te wie­der, das sich in einen Kel­ler ver­irrt hat­te und die zum Wein­zap­fen hin­un­ter­ge­sand­ten Mäg­de rumpf und stumpf auf­fraß, ein leib­haf­ti­ger Nach­kom­me der al­ten Tat­zel­wür­mer. Vi­el­leicht lag es jetzt eben in dem uns­ri­gen und sperr­te den Ra­chen ge­gen Jo­se­phi­ne auf, denn sol­che Un­ge­tü­me le­ben be­kannt­lich ewig. Mit der Ver­nunft mach­te ich mich zwar äu­ßer­lich über den Aber­glau­ben lus­tig, aber die Un­ver­nunft glaub­te heim­lich doch. Mei­ne Schutz­her­rin Pal­las Athe­ne hat­te mir lei­der nur ihre Tap­fer­keit, aber nichts von ih­rer Weis­heit ein­flö­ßen kön­nen. Und auch die Tap­fer­keit ver­lieh sie mir nur für die kur­z­en Stun­den, wo ich mit ih­rem Wahr­zei­chen, Eu­len­helm und Gor­go­nen­schild, be­wehrt im Gar­ten toll­te. So ab­ge­schlos­sen hat­te man mich ge­hal­ten, dass ich nicht ein­mal ohne Furcht al­lein durch die Dorf­gas­sen ging. Man konn­te da ei­nem lan­gen, stroh­gel­ben Idio­ten be­geg­nen, der zwar nie­mand ein Lei­des tat, der aber ein so selt­sam lee­res Ge­sicht hat­te, dass es war, als ob ein see­len­lo­ser Ge­gen­stand auf zwei Bei­nen da­her­käme und einen an­schau­te ge­gen al­les Na­tur­ge­setz. Wenn ein sol­cher Blick mich

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