Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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Vö­gel im Kä­fig um­her­flat­ter­ten und un­ser Müt­ter­lein sich für uns und mit uns un­glück­lich fühl­te, weiß ich mehr aus den Be­rich­ten an­de­rer. Wohl er­in­ne­re ich mich, wie ich in der Däm­mer­stun­de zu­wei­len aus­brach und zu ei­nem rau­schen­den Wehr hin­rann­te, um mich durch über­lau­tes Schrei­en und Sin­gen in wil­den Rhyth­men, die nie­mand hör­te, von dem ein­ge­schlos­se­nen Drang zu ent­las­ten. Das al­ter­tüm­li­che, da­mals noch sehr stil­vol­le Stadt­bild ver­haf­te­te sich, nicht mit klar­ge­se­he­nen Ein­zel­hei­ten, aber als Stim­mungs­zau­ber in mei­ner See­le und wur­de spä­ter, als ich in der Frem­de leb­te, ein lie­ber Hin­ter­grund mei­ner Hei­mat­träu­me, in de­nen meist die bei­den Flüss­chen von Kirch­heim, die Lau­ter und die Lin­dach, plät­scher­ten. Die eine rausch­te rasch und trü­be da­her, die an­de­re aber recht­fer­tig­te ih­ren Na­men, denn sie war lind und rie­selnd wie die­ser, und in bei­den konn­te man ba­den.

      Bald da­nach sehe ich uns wie­der in ei­ner länd­li­chen Woh­nung vor der Stadt auf dem Wege nach der Teck, die mit ih­ren Alb­ge­schwis­tern ein­la­dend nie­der­sieht, in­mit­ten ei­nes von der Lau­ter durch­flos­se­nen Gar­tens mit Lau­be und Gar­ten­haus. Die Brü­der ge­hen zur Schu­le, ich wer­de al­lein zu Hau­se un­ter­rich­tet, aber der Lernei­fer hat merk­lich nach­ge­las­sen, weil der ge­wohn­te Wett­lauf mit Ed­gar ab­ge­stellt ist. Die­ser wur­de nun schon ein ganz ge­lehr­tes klei­nes Haus und pfleg­te mich we­gen mei­ner gräu­li­chen Feh­ler im la­tei­ni­schen Ar­gu­ment weid­lich aus­zu­la­chen, aber er gab mir von sei­ner jun­gen Weis­heit nichts ab. Mein gu­tes Müt­ter­lein stu­dier­te sei­ne la­tei­ni­schen Schul­hef­te nach, um mir dar­aus vor­wärts zu hel­fen. Mehr Freu­de mach­ten mir die le­ben­den Spra­chen, das Fran­zö­si­sche und das Ita­lie­ni­sche, das sie mir so ne­ben­her bei­brach­te, ich weiß selbst nicht wie. Aber ich hat­te gar kei­nen Ehr­geiz mehr und ver­träum­te am liebs­ten mei­ne Zeit im Gar­ten. Eine zah­me Els­ter war mei­ne Spiel­ka­me­ra­din, die mich über­all hin be­glei­te­te und mir die Haar­na­deln vom Kop­fe und mei­ne klei­nen Schmuck­sa­chen vom Hal­se stahl. Ge­le­sen wur­de über die Ma­ßen viel, mit aus­ge­spro­che­nem Für und Wi­der, Ein­drücke, für die das Kind na­tür­lich kei­ne Er­klä­rung hat­te, die sich aber beim spä­te­ren Le­sen im­mer wie­der­hol­ten. So ent­zück­te mich vor al­lem die Tu­ran­dot, die­se rei­zen­de Ve­rei­ni­gung von großem Schil­ler­schem Fal­ten­wurf mit leicht­be­weg­li­cher ita­lie­ni­scher Gra­zie. Die Vor­stel­lungs­wel­ten, die ich in den Bü­chern fand, wa­ren mir alle schon ge­läu­fig. Un­se­re Mut­ter leb­te und web­te in Hel­las und hat­te da­ne­ben einen star­ken Zug zur ro­ma­ni­schen Kul­tur. Der Va­ter wies auf deut­sches Volks­tum hin und hul­dig­te auf Spa­zier­gän­gen dem Ge­ni­us loci, in­dem er von den Sa­gen der Schwä­bi­schen Alb er­zähl­te. Da er aber meist eben­so still und wort­karg wie die Mut­ter leb­haft und mit­teil­sam war, ge­riet das Deutsch­tum zu­nächst in Nach­teil. Nur mit den alt­ger­ma­ni­schen Göt­tern wa­ren wir von klein­auf ver­traut und sie bil­de­ten bei ih­rer na­hen Ver­wandt­schaft mit den grie­chi­schen eine tief­sin­ni­ge Er­gän­zung zu die­sen.

      Die Kirch­hei­mer Zeit ist für mei­ne El­tern wohl die schwers­te ih­rer Ehe ge­we­sen; die Le­bens­aus­sicht war eine Zeit lang nach al­len Sei­ten ver­baut. Mei­ne Mut­ter fühl­te sich dort töd­lich ver­ein­samt; sie ver­miss­te nun auch die treue Hopf­sche Fa­mi­lie, bei der sie doch im­mer die ihr so nö­ti­ge An­spra­che ge­fun­den hat­te. Sie ar­bei­te­te sich ab, um ne­ben den häus­li­chen Ge­schäf­ten die Hö­schen und Jäck­chen ih­rer vier Bu­ben aus al­ten Män­ner­klei­dern zu­recht­zu­schnei­dern, eine Kunst, für die das Freifräu­lein von Brun­now nicht er­zo­gen war. Für mich sorg­ten zar­te Feen­hän­de, dass ich fast im­mer nied­lich ge­klei­det ging und ihr auch von die­ser Sei­te kei­ne Mühe mach­te. Des Abends las sie uns den He­ro­dot vor; ihre un­ge­heu­re Spann­kraft schnell­te gleich wie­der auf, wenn sie bei ih­ren Grie­chen war. Ne­ben­her er­schwang sie noch die Zeit, sich mit­ten im Kin­der­lärm schrift­stel­le­risch zu be­tä­ti­gen; sie hat­te kei­ne Spur von li­te­ra­ri­schem Ehr­geiz und woll­te nur zum Er­werb ein klei­nes Scherf­lein bei­tra­gen. So ent­stand ein Band Mär­chen, teils in Pro­sa, teils in Ver­sen, der ei­ni­ge Jah­re spä­ter (1867) bei Scho­ber in Stutt­gart er­schi­en. Sie sei­en um einen Ton zu hoch ge­grif­fen, sag­te mein Va­ter, der üb­ri­gens sei­nen Se­gen dazu gab, nach­dem sie die Scheu, ihm ihre Sa­chen zu zei­gen, über­wun­den hat­te. Die Er­zäh­lun­gen in Ver­sen ge­lan­gen ihr bes­ser, weil ihr die me­tri­sche Spra­che na­tür­li­cher und ein­fa­cher lag als der Pro­sa­ton. Da wir wie Ge­schwis­ter zu­sam­men­leb­ten, ließ sie mich Neun­jäh­ri­ge in eine auf Is­land spie­len­de Ge­schich­te auch ein paar ge­reim­te Zei­len hin­ein­pfu­schen. Als das fer­ti­ge Ge­dicht, das am Ende eine ge­wis­se Hast ver­riet, mei­nem Va­ter vor­ge­legt wur­de, schrieb er ne­ckend im glei­chen Vers­maß dar­un­ter:

       Und zap­pelnd und ver­zwei­felnd ei­len

       Zum letz­ten Zug die letz­ten Zei­len.

      So et­was kränk­te sie nicht nur nicht, son­dern sie freu­te sich, dem erns­ten, stil­len Mann, ne­ben dem sie im­mer wie ein über­le­ben­di­ges Kind er­schi­en, einen Strahl sei­nes al­ten Hu­mors ent­lockt zu ha­ben. Auch eine Er­zäh­lung aus dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg hat­te sie da­mals un­ter der Fe­der, die spä­ter gleich­falls ge­druckt wur­de. Da die Ver­fas­se­rin Men­schen und Din­ge we­nig kann­te, und mehr in der Idee als in der An­schau­ung leb­te, blie­ben ihre Ge­stal­ten et­was ab­strakt und farb­los. Sie war sich dar­über voll­stän­dig klar, ja sie un­ter­schätz­te ihre Be­ga­bung weit, da sie auch ihre Ver­se, zu de­nen ein in­ne­res Be­dürf­nis sie von klein­auf trieb, nicht als wirk­li­che poe­ti­sche Er­zeug­nis­se, son­dern nur als un­ent­behr­li­che in­ne­re Ent­las­tung gel­ten ließ. Mein Va­ter äu­ßer­te sich da­mals in sei­ner bild­li­chen Re­de­wei­se zu mir über ihre dich­te­ri­schen Ver­su­che:

      Ihre Muse ist ein ganz hüb­sches Kind, aber sie hat zer­ris­se­ne St­rümp­fe an.

      Als ich die­ses Ur­teil ein­mal ganz spät am Ende ih­rer Tage der in­zwi­schen acht­zig­jäh­rig Ge­wor­de­nen er­zähl­te, ant­wor­te­te sie lä­chelnd: Ich habe sie seit­dem ge­flickt. Es hat­te sei­ne Rich­tig­keit. Ihre Gabe, sich poe­tisch aus­zu­drücken, ent­wi­ckel­te sich mit den Jah­ren im­mer mehr, wie über­haupt ihre gan­ze Per­sön­lich­keit be­stimmt war, erst im höchs­ten Grei­sen­al­ter, das bei ihr noch im­mer quel­len­de Ju­gend war, eine süße duf­ten­de Rei­fe zu er­lan­gen wie eine al­le­re­dels­te Wein­sor­te. Da­mals war sie noch brau­sen­der Most und gär­te mit ih­ren Kin­dern um die Wet­te.

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