Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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in Flor kam, wo­von selbst arme alte Weib­lein nicht ver­schont blie­ben, wenn sie auf die neu­en Münz­sor­ten schimpf­ten. Ein Schmerz vor al­lem für die ech­ten Bis­mar­ck­ver­eh­rer, wenn sie den Gro­ßen ab­rücken sa­hen aus der Nähe des Un­er­reich­li­chen, der ei­ner Schmäh­schrift die ein­zig kö­nig­li­che Ant­wort wuss­te. Wir Kin­der schweb­ten im­mer in Sor­ge für un­se­re Mut­ter, de­ren un­be­dach­te Rede nie­mand hem­men konn­te, und wie schnell ist ein ra­sches Wort ver­dreht. Schon war sie durch ein ge­schäf­ti­ges po­li­ti­sches »Rep­til« (so nann­te man da­mals die Sy­ko­phan­ten) in Ber­lin an­ge­schwärzt wor­den; die Mög­lich­keit, dass sie in Ver­wick­lun­gen hin­ein­ge­ris­sen wer­den könn­te, de­ren Fol­gen bei ih­rem Na­tu­rell un­ab­seh­lich wa­ren, hat­te für uns alle et­was Un­heim­li­ches. So be­grüß­te ich dop­pelt den Ge­dan­ken ih­rer Aus­wan­de­rung. In Ita­li­en at­me­te man eine wei­te und freie Luft; und ihre Lie­be galt ja die­sem Lan­de von je. So kam Ed­gars Ruf noch zeit­ge­mä­ßer und lö­sen­der, als viel­leicht da­mals die Be­tei­lig­ten sel­ber wuss­ten.

      Mama ju­bel­te, dass ich nun wie­der da­bei sein wür­de, und er­war­te­te mich noch ein­mal zu Hau­se. Denn jetzt muss­te der Haus­halt auf­ge­löst, Müt­ter­leins einst so schö­ne und sti­lech­te, aber ver­wahr­los­te und in je­nen stil­lo­sen Jah­ren als »un­mo­dern« wir­ken­de Ein­rich­tung dem Auk­tio­nar über­ge­ben, der Rest ver­packt wer­den. Da uns al­le­samt das Geld fehl­te, war un­se­re Über­sie­de­lung das Ver­rück­tes­te, was es für eine bie­de­re bür­ger­li­che Den­kart ge­ben konn­te. Wir aber in un­se­rem Kin­der­sinn dach­ten nicht ein­mal an die Un­si­cher­heit, der wir auf dem frem­den Bo­den ent­ge­gen­gin­gen und dass wir uns mit dem Ver­schleu­dern des Mo­bi­li­ars die Rück­kehr ver­schlos­sen, wir dach­ten nur an die Herr­lich­keit des Sü­dens, die aus Ed­gars Brie­fen strahl­te, und glüh­ten dem Un­be­kann­ten ent­ge­gen. Oft ist mir spä­ter mein Drang nach Son­nen­län­dern und war­men Mee­ren ver­übelt wor­den wie eine Ab­kehr von Deutsch­land, und doch gibt es nichts Deut­sche­res als die­sen Drang, wie die Ge­schich­te be­weist. Wer im Bann­kreis des Ho­hen­stau­fen ge­bo­ren ist, sel­ber von schwä­bi­schem Ge­blüt und al­ler he­ro­i­schen Schön­heit ver­schwo­ren, der trägt den Zug nach dem Sü­den als sein Stau­fe­rer­be von Ge­burt in sich. Wenn His­to­ri­ker und Po­li­ti­ker, den öde­ren Spu­ren der Wel­fen nach­ge­hend, sich das nach­träg­li­che Wunsch­bild ei­nes von deut­schen Kö­ni­gen re­gier­ten Ostreichs auf­stel­len als Deutsch­lands grö­ße­res und käl­te­res Schick­sal, so steht das auf ei­nem an­de­ren Blatt. Die Ge­schich­te schafft nicht nur für po­li­ti­sche Zweck­mä­ßig­kei­ten, sie hat auch ihre Dichter­stun­den. In ei­ner ih­rer höchs­ten schuf sie die über­mensch­li­chen Maße des Stau­fer­ge­schlech­tes vom al­ten Rot­bart über den wel­ten­wei­ten Fried­rich bis zu dem Kna­ben Kon­ra­din, um den noch heu­te nicht nur die Deut­schen, son­dern auch die Ita­lie­ner trau­ern, ob­wohl er ih­ren Bo­den ja nur be­tre­ten hat, um dort zu ster­ben. Für kein an­de­res Ge­schlecht der Men­schen hat sie den Stoff so fein ge­nom­men, für kei­nes hat sie den Raum so weit vom Ok­zi­dent zum Ori­ent ge­brei­tet. Wer möch­te so poe­sie­los sein, die­se Ge­stal­ten, in de­nen sich deut­sche Grö­ße am un­wi­der­steh­lichs­ten aus­ge­prägt hat, in der deut­schen Ge­schich­te miss­en zu wol­len. – Es ist un­ge­recht, die son­ne­su­chen­den, wan­der­se­li­gen Schwa­ben­kin­der der Aus­län­de­rei zu be­zich­ti­gen, wenn sie sich von ih­rem Stern in die Frem­de ent­füh­ren las­sen. Sie sind die bes­ten Pio­nie­re des Deutsch­tums; mehr als an­de­re Stäm­me ha­ben die Schwa­ben das Zeug zur na­tio­na­len Zel­len­bil­dung in sich: wo sie sich nie­der­las­sen, da hal­ten sie zu­sam­men, und bald schließt sich ih­nen ein Kreis an­de­rer Deutsch­stäm­mi­ger an, de­nen sie zum Bin­de­mit­tel die­nen.

      Mir hielt in­des­sen Phi­li­stäa noch ein Nach­spiel be­reit. Was fiel mir aber auch ein, dass ich vor dem Weg­zug noch dem Drän­gen der Tü­bin­ger Pro­fes­so­ren­schaft und dem da­mit ver­ein­ten mei­ner Mut­ter nach­gab, in­dem ich bei dem Fest­zug zur vier­hun­dert­jäh­ri­gen Stif­tungs­fei­er der Uni­ver­si­tät die Rol­le der Muse über­nahm, wo­für nur ich in Fra­ge kam, denn die Muse hat­te auf hoch­ge­türm­tem Fest­wa­gen ste­hend die Ro­sen­zü­gel der vier schwe­ren Ros­se und sich selbst im Gleich­ge­wicht zu hal­ten, was da­mals bei den noch mit­tel­al­ter­lich stei­len und höck­ri­gen Stra­ßen Alt-Tü­bin­gens kei­ne un­ge­fähr­li­che Auf­ga­be war, denn ein ein­zi­ger schlecht ab­ge­fan­ge­ner Stoß konn­te die Len­ke­rin häupt­lings aufs Stra­ßen­pflas­ter schmet­tern. Wie konn­te ich so harm­los sein zu glau­ben, ich wür­de mir durch mei­ne Ge­fäl­lig­keit, von der das Ge­lin­gen des Schau­zugs vor­zugs­wei­se ab­hing, den Dank und ein freund­li­ches An­den­ken mei­ner Mit­bür­ger ver­die­nen? Gera­de das Ge­gen­teil ge­sch­ah; als die Schau­lust be­frie­digt war, brach die Ver­ket­ze­rung schlim­mer aus als je. Das Ste­hen auf stei­lem Tri­um­phwa­gen mit dem Lor­beer um die Stir­ne war noch fre­vel­haf­ter als Rei­ten und Schwim­men und Grie­chisch­ler­nen. Zu dem Chor der Erin­nyen ge­sell­te sich der Pö­bel, der zwar schwer­lich wuss­te, was eine Muse ist, der aber aus der grie­chi­schen Ge­wan­dung et­was Heid­nisches her­aus­spür­te. Der Hass­ge­sang, der mich noch auf der Schwel­le der Hei­mat um­tön­te, reg­te in mir die Ent­rüs­tung über all die in Mün­chen schon halb­ver­ges­se­ne Un­bill wie­der auf: ich hat­te aus mei­ner Ar­mut her­aus der Stadt das schöns­te Mo­nu­ment ih­res Fried­hofs ge­stif­tet, dann hat­te ich ge­tan, um was ich ge­be­ten war, hat­te Ge­wand und Schmuck und Lor­beer­kranz, die man mir sand­te, ge­tra­gen und von mei­nem Hoch­stand her­ab mit stil­lem Ernst mei­ne Auf­ga­be als Ros­se­len­ke­rin ge­löst. Und nun die­ser Dank, die Ach­ter­neue­rung Phi­li­stä­as. Ich warf im Geis­te der Ju­gend­stadt den Hand­schuh hin. In das Rau­schen des Neckars – er rausch­te da­mals noch – sang ich zor­ni­ge Trutz­lie­der, die sich nur beim letz­ten Ab­schied ge­lin­de lös­ten. Den­noch wuss­te ich auf un­er­klär­li­che Art, dass dies nicht das letz­te Wort zwi­schen ihr und mir sein wür­de. Wo­her mir Ge­nug­tu­ung ho­len, auf wel­chem Weg, mit wel­chen Mit­teln, wuss­te ich nicht, aber ich hat­te die untrüg­li­che Ge­wiss­heit, dass sie mir wer­den wür­de. Es war wie­der wie so man­ches­mal ein Stück tröst­lich her­ein­ge­spie­gel­ter Zu­kunft. Das Ver­söh­nends­te soll­te mir von ei­nem Kin­de kom­men, ei­ner zar­ten neun­jäh­ri­gen Mäd­chen­blu­me aus der Men­ge der Zuschau­er, die der Muse auf dem Wa­gen ihr war­mes klei­nes Herz­chen für im­mer schenk­te und spä­ter all ihr hö­he­res Stre­ben mit die­ser Stun­de ver­band. Hät­te ich es zur Zeit schon ge­wusst, so wür­de es mich noch schö­ner ge­trös­tet ha­ben als die rüh­men­den Wor­te, mit de­nen mich mein al­ter Freund, der Äs­the­ti­ker Fried­rich Theo­dor Vi­scher, für die Schmäh­sucht Phi­li­stä­as schad­los hielt.

       Schon ist der Ort, an den mein Stern mich wies,

       Ein Sp­lit­ter vom zer­stück­ten Pa­ra­dies,

       Mit sei­nes Meers und Him­mels Sa­phir­rei­ne,

       Dem war­men Duft durch­sonn­ter Pi­ni­en­hai­ne,

       Der Rebe die von Baum zu Baum sich schwingt,

       Wie wenn sich Hand in Hand zum Tanz ver­schlingt,

      

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