Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Unsere in der Heimat zurückgebliebenen Bekannten, die unserem Aufbruch kopfschüttelnd als einem Rennen ins Unheil nachgeschaut hatten, stellten mit Erstaunen fest, dass vielmehr der Stern des Hauses im Aufstieg war. Es hatte bisher im weiteren Kreis der Familie ein alter Aberglaube geherrscht, der auf einige begabte, im Missgeschick untergegangene Vorfahren zurückging, als ob ihre Glieder weder Glück noch Stern hätten, und unseres Vaters hohes aber siegloses Ringen schien den Unglückspropheten recht zu geben. Aber in Edgars jungen Händen zerbrach der böse Bann, als er Mutter und Geschwister aus der heimischen Enge hinausführte in frisches Wasser. Dieses Florenz wurde ein Sehnsuchtsziel für viele, und der Reisestrom brachte bald den einen, bald den anderen Heimatgenossen, der sich an Ort und Stelle überzeugen musste, was aus uns geworden. Auch Besuche aus der Jugendstadt kamen, und da war es nun merkwürdig, wie alle mich von je schon richtig verstanden und ins Herz geschlossen haben wollten. Auch Taktlose waren darunter, die mir die alten Wunden aufrissen, indem sie, freilich mit Empörung, von den Gehässigkeiten erzählten, die immer noch gegen mich im Schwange seien. Sie erreichten damit das Gegenteil ihrer Absicht sich angenehm zu machen, denn sie stellten ihrem Zartgefühl ein schlechtes Zeugnis aus, und ich sorgte dafür, dass sie nicht eingeladen wurden. Leider fiel gerade in diese erste hoffnungsfrohe Zeit ein trauriger Schatten: das unerwartete Ende unseres guten Onkels Ernst, des einzigen Bruders meines Vaters, der meiner Mutter ein verständnisvoller Berater, uns Kindern ein treugesinnter Vormund gewesen war.
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Was den gesellschaftlichen Anschluss betrifft, so hatte ich in Florenz nicht wie in München den Vorteil, den neuen Verhältnissen allein gegenüberzutreten und meine Stellung unter den Menschen der eigenen Person zu verdanken. Die Begriffe des Landes gestatteten einem jungen Mädchen solche Freiheit nicht. Es wäre ein dauernder Gewinn für mich gewesen, zu dem berühmten literarischen Kreis der Donna Emilia Peruzzi, deren große Zeit nach der Verlegung der Hauptstadt freilich schon vorüber war, die aber noch immer bedeutende Menschen um sich sah, Zutritt zu haben. Aber Edgar hatte schon vor unserer Ankunft mit guten Empfehlungen dort Besuch gemacht, und der Ton der Gesellschaft hatte dem Leichtverstimmten, der niemals Zugeständnisse machen konnte, nicht gefallen; so hatte er in seiner herben Schwabenart, die er niemals ganz ablegen konnte, die Beziehungen gleich wieder abgebrochen, daher ich bei unserer Ankunft diese Tür, deren Bedeutung mir übrigens zur Zeit gar nicht bekannt war, schon verschlossen fand.
Den ersten Besuch machten wir mit einer Einführung von Heyse bei einem neapolitanischen Nobile, dem Cavaliere Vincenzo Giusti, in seiner Villa auf dem Romito, wo seine Frau, eine Landsmännin aus dem Schwarzwald, aber eine völlig südliche Schönheit, uns gastlich begrüßte. Dort fand meine erste Bekanntschaft mit dem für deutsche Begriffe äußerst fremdartigen italienischen Lebensstil und den noch halb in dem galanten 18. Jahrhundert stehenden Anschauungen der damaligen Gesellschaft statt, wo noch der Cavaliere servente, zwar nicht mehr unter diesem Titel, aber doch als unentbehrliches Zubehör des Hauses waltete, wo er der Dame zur Seite stand, die Empfänge leiten half usw. Herr Giusti war ein guter Kenner der deutschen Sprache und Literatur, er hatte viele Novellen von Heyse übersetzt und war eben mit einer solchen beschäftigt. Mich erstaunte er einmal durch die Bemerkung, dass im deutschen Roman die Liebe gar keine Rolle spiele. Ich antwortete, soweit meine Kenntnis des deutschen Romans reiche, sei vielmehr die Liebe ihr stehender Inhalt, wurde aber belehrt, dass Liebe zwischen Jüngling und Mädchen, wie der deutsche Roman sie darstelle, überhaupt keine Liebe sei: lieben, mit Leidenschaft lieben könne man nur die Frau eines anderen. Dies war mein erster rassekundlicher Unterricht in Sachen der Erotik, wobei mir der noch nicht geahnte Unterschied zwischen der deutschen und der romanischen Auffassung einer der tiefsten Menschheitsfragen aufzudämmern begann. In der Tat bildete in der Unzahl italienischer Romane, die mir damals zur Sichtung durch die Hände gingen, zumeist wie in der als Vorbild dienenden französischen Literatur der Ehebruch – nicht selten mit der Sühne durch Gattenmord – den unausweichlichen, immer aufs neue abgewandelten Inhalt. Oftmals habe ich die Wissenden gefragt, warum denn überhaupt in südlichen Ländern der Mann heirate, wenn er doch seine Frau für einen anderen nehme und seinerseits gleichfalls bei einem anderen zu Gast gehe. Die Antwort »um eine Familie zu haben«