sich beim ersten Begegnen durch geheimen Zwang zusammengezogen fühlen, dass sie mitten in der Gesellschaft miteinander allein sind, eines auf das andere bezogen und doch gegenseitig nichts voneinander wissend. Was wir redeten, war gewiss nicht mehr als was gebildete Menschen bei der ersten Begegnung zu reden pflegen, aber ein herzerweiterndes beiderseitiges Wohlgefallen ging dabei spürbar hin und her und breitete sich zu einem allgemeinen Glücksgefühl aus, in dem die Erde als etwas ganz Vollkommenes erschien. Ich spürte wohl, dass ich nicht etwa einen bedeutenden oder besonders geistreichen Mann vor mir hatte, wohl aber eine Persönlichkeit von fester und gebietender Prägung, von der eine große Sicherheit und ungewöhnliche Anziehungskraft ausging. Mit der Liebenswürdigkeit des Südländers mischte sich in ihm der Ernst des Nordens, denn er war Lombarde. Wir sprachen beide den ganzen Abend nur miteinander, er kannte Deutschland, nannte mit Wohlgefallen meine Heimatstadt Stuttgart, und ich empfand es mit Stolz, die Tochter einer großen Nation zu sein, denn Deutschland stand damals auf der Höhe seines Glücks. Das ist das Wunder, dachte ich. Die andern rückten leise weg, um nicht dazwischenzutreten. Ab und zu kam der eine oder der andere meiner Kavaliere, dem ich einen Tanz versprochen hatte, dann begleitete mich der Ankömmling, den die Sporen am Tanze hinderten, zur Saaltüre und sah zu. Ich wurde aber immer schnell des Tanzens satt und kam zurück, um die unterbrochene Unterhaltung fortzusetzen, bis man uns ungestört beisammen ließ. Unerwartet und zu meinem hellen Schrecken bat mein Partner mit soldatischer Geradheit über den Tisch hinüber eine ihm befreundete vornehme Dame, mich für den nächsten Karneval zu sich einzuladen, was von ihrer Seite mit Herzlichkeit geschah und von ihrem Gatten noch dringender wiederholt wurde, mit dem Versprechen, alles zu meiner Annehmlichkeit dienende für mich tun zu wollen. Der Graf, so wurde mein neuer Bekannter angeredet, verstärkte die Anerbietungen, indem er sich für die ganze Zeit meines Aufenthalts mit allem, was in seinen Kräften stand, mir zur Verfügung stellte. Ich dankte lächelnd, wenn auch mit wehem Herzen, ich könne von Hause nicht abkommen. Das Märchen passte ja nicht in den wachen Tag. Es tue ihm leid, weil er nur wenige Tage bleiben könne, sagte er, indem wir unser Sondergespräch fortsetzten, aber er verstehe wohl mein Nein und dürfe es mir nicht vorwerfen. Er würde sich jedoch dadurch nicht abhalten lassen mich wiederzusehen, sondern im Winter Urlaub nehmen und selber nach Florenz kommen. Ich hatte aus der Haltung der Gesellschaft begriffen, dass ich einen Mann aus vornehmem Geschlecht und von glänzender Lebensstellung vor mir hatte, von dem ausgezeichnet zu werden für eine Ehre galt und der natürlich von vielen begehrt war; um so weniger schien mir bei der Kürze der Bekanntschaft ein Entgegenkommen am Platze. Ich musste an eine Häuslichkeit denken, in der sich wohl die völlig unkonventionellen Russen zurechtfanden, aber schwerlich ein Träger festen gesellschaftlichen und geistigen Herkommens. Dazu Mütterleins unbewachte Reden und Edgars plötzliche Ablehnungen, die häufig nur Folge überstarker beruflicher Nervenspannung waren, und es schrie aus meiner Seele nein und abermals nein. Ich hätte sagen müssen, dass unser Haus kein geselliges sei, weil mir ein Bruder an langem Leiden hinsterbe und meine Mutter keine Besuche empfange. Aber mir schauderte davor, die traurige Wirklichkeit in das Märchen hineinzuziehen, da sich doch beide niemals miteinander vertragen konnten; so ließ ich alles zu Boden gleiten. Nur nicht den Zauber brechen, nur nicht über das Wunder der Stunde hinausdenken. Aber wenn es zu Ende war, mit dem Sternenkleid aus dem Königssaal fliehen und dem Suchenden keinen goldenen Schuh, woran ich zu finden war, zurücklassen.
Er fühlte den Widerstand und schlug mir nun bei der nächsten Begegnung einen ihm befreundeten Salon in Florenz vor, wo viele angesehene Fremde verkehrten und wo ich mich leicht hätte einführen lassen können. Dort meinte er, würde sich bei seiner Hinkunft ein Wiederbegegnen am zwanglosesten einleiten lassen. Ich schwieg. Ich sah da keine Brücke und es gab auch keine. Vor allem war schon mein Stolz viel zu groß, um anders denn als gleiche vor einem Werber stehen zu wollen; ich glaubte ja auch gar nicht, dass ein Mann mich durch Namen und Stellung zu mehr machen könnte, als ich mich von Geburt aus fühlte. Und zu dem allem noch Mamas Abscheu vor dem Soldatenstand. Ich freilich dachte auf diesem Punkt wie auf so vielen Punkten anders: hatte doch sie selbst, die Soldatentochter, mir, o Widersinn! aus ihrem väterlichen Blut ein Wohlgefallen an militärischen Schauspielen, an Waffenübungen und Reiterzügen und eine wahre Lust an der Darstellung kriegerischer Abenteuer vererbt. Mehr Eindruck machte mir ein Wink der welterfahrenen Sonja: in der Uniform liege die Begrenzung, die das Wort selber aussagt. Die Begrenzung, das traf! Gebundenheit an unverwischbare Prägungen und nicht zu entwurzelnde Anschauungen, die den Einzelnen zur Gattung machen, war mir immer tief unheimlich. Wie viel besser der Wildwest und das Reiten auf Präriepferden, das einmal meine Jugendhoffnung gewesen war! Es machte mich wohl glücklich, meine alte Sehnsucht nach lebendiger hoher Kulturform und Schönheit auf dem klassischen Boden gestillt zu sehen und mich darin wie mitgeboren zu bewegen, aber es war nur eine Gastrolle die ich spielte; dauernd hätte ich nicht in ihren Bindungen und Schranken leben können. Dem Dichter ist das Gehen von Sphäre zu Sphäre nicht zu persönlichen Zwecken gegeben: er muss als Bruder neben dem König und dem Bettler stehen, von keiner Daseinsform sich verwirren lassen und in allen heimisch sein, er selber aber darf keinen Stand haben. Das lag mir im Gefühl, bevor es in mein Bewusstsein trat. Meist empfand ich mich ja nicht einmal als Zeitgenossin sondern als Bürgerin einer Welt, die erst kommen würde, wenn ich nicht mehr war. Aber vielleicht waren diese Tage doch die schönsten meiner Jugend, gerade weil sie so unwirklich waren, und ich sie so ganz nur als Poesie genoss, deren Erinnerung ich vor jeder späteren Dissonanz bewahren wollte. Wenn ich neben dem ritterlichen Mann durch die Säle ging an der spalierbildenden Jugend vorüber und uns ein Beifallsmurmeln durch die Reihen folgte, so freute ich mich, weil er es mitvernahm; und wenn die jungen Offiziere mit liebevoller Verehrung ihren früh zu hoher Stellung gelangten Kommandeur nannten, so freute ich mich wieder. Eines war es, was mich vor allem an der edlen Erscheinung anzog und was die innige Bezauberung nährte: dass in seiner Haltung nicht eine Spur von Leichtfertigkeit lag und mehr Ehrfurcht vor dem weiblichen Geschlecht, als ich sie sonst bei romanischen Männern gefunden hatte. Nur den augenscheinlichen Sinn, der sich hinter seinen Worten barg, musste ich mir gewaltsam fernhalten.
Noch erinnere ich mich einer gemeinsamen Meerfahrt am letzten Abend, wo der Liebenswürdige beim Aussteigen meine Hand festhielt und etwas abseits von den anderen schnell und dringend abermals die Frage stellte: Wo also sehen wir uns wieder?