Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Danach ging ich an die »Humanisten«, einen Gegenstand, den ich längst schon liebend und weiterforschend mit mir herumtrug, seitdem ich durch Burckhardt jene von Rom und Hellas trunkenen Apostel des Geistes und der Schönheit kennengelernt hatte, die wie weiland die Kreuzritter zur Eroberung des Heiligen Grabes in die östlichen Lande zogen, um unter tausend Gefahren – friedliche, weichgewohnte Gelehrte die sie waren – die Herrlichkeiten des griechischen Genius für die Menschheit zu retten. Ich ersann mir ein sehr verwickeltes Gespinst um ein verlorenes, nur im Namen erhaltenes Werk des Cicero, sein heiteres liber jocularis, nach dem ich die florentinischen Gelehrten unter teils tragischen teils komischen Umständen mit glühendem Verlangen fahnden ließ, und brachte dieses Fahnden in Beziehung zu dem im Jahre 1482 stattgehabten Besuch des Grafen Eberhard von Württemberg und seines Gefolges am Hofe des Lorenzo Magnifico, weshalb ich die Erzählung ursprünglich »Die Schwaben in Florenz« betiteln wollte. Mit dem angeblichen Fund und der nachfolgenden gänzlichen Vernichtung des berühmten ciceronianischen Kodex führte ich auch den gelehrten Freund Wilhelm Hertz irre, der sich bei mir erkundigte, was es denn mit jener Entdeckung für eine Bewandtnis habe.
Diese Geschichte schrieb ich jedoch nicht in der Arnostadt, im eigenen Villino, das mir längst keine Sicherheit gegen häusliche Störungen mehr bot, sondern in Stuttgart, wo ich mich vorübergehend in einem stillen luftigen Zimmer an der Hölderlinstraße eigens zu diesem Zweck niedergelassen hatte. Es waren köstliche Frühlingstage; der lange nicht gesehene deutsche Lenz mit dem kindlich zarten Grün der Laubbäume und den jungen Fransen der Nadelhölzer setzte mich in einen Rausch der Heimatliebe, und diese Heimat im Geist mit meiner zweiten, der toskanischen, zu verbinden, war mir eine tiefe innere Befriedigung. Das Schwabenland feierte gerade ein dynastisches Fest; zu diesem Anlass dachte ich mit den »Schwaben in Florenz«, unter denen der gepriesenste Vorfahr des Herrschers obenan stand, dem Lande ein Gastgeschenk von besonderer Art zu bringen, und bot die Erzählung einer großen, in Stuttgart erscheinenden illustrierten Zeitschrift an. Aber die Wege der Schriftleitungen sind unergründlich; ich erhielt das Manuskript, das gerade das zeitgemäßeste war, was sich denken ließ, mit der trockenen Bemerkung zurück, dass der Gegenstand »zu weit abliege, um Interesse zu erwecken«. Nach diesem glanzvollen Fehlschlag versuchte ich es kein zweitesmal, die »Humanisten«, die jetzt ihren richtigen Titel bekamen, in einer Zeitschrift unterzubringen, sondern nahm sie mit mir nach Florenz, wo ich mich nunmehr unabgeschreckt an die letzte der vorgesetzten Aufgaben, den »Heiligen Sebastian«, wagte.
Nach dem Erscheinen der »Florentiner Novellen« wies mein Landsmann Ludwig Laistner in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« mit viel Gelehrsamkeit und Scharfsinn die Herkunft des Motivs dieser Novelle (Liebe zu einem Bild) aus dem Pantschatantra – den ich nicht kannte – nach und verfolgte seine Wanderungen durch die Jahrtausende bis zu seiner Wiedergeburt in meinem »Heiligen Sebastian«. So gelehrt war es in der Wirklichkeit nicht zugegangen; der Stoff war aus dem Leben, und auf dem kürzesten Weg, aus meinem eigenen, geholt. In meinen frühsten florentinischen Jahren, vor der Bekanntschaft mit Althofen, als ich mit dem Wunschbild der großen Griechenkunst im Herzen mich von dem niederländischen Realismus des Quattrocento angefremdet fühlte, war ich bei einsamen Streifen durch die Kunsttempel auf den heiligen Sebastian des Sodoma gestoßen und stand entzückt vor der lange gesuchten Wundererscheinung vereinigter Leibes- und Seelenschönheit. Lange Zeit galten meine Gänge in den Pitti einzig ihm. Der Adel des hinsinkenden, nur von den Stricken aufrecht gehaltenen Körpers, die Schönheit des Gesichts, die mehr einem Engel als einem Menschen zu gehören schien, und der feuchte, nach oben gerichtete Blick, das waren Dinge, die mich nicht losließen, die ich aber ganz still für mich behielt, damit mir nicht irgendein Krittler die Freude an den. Bild verdürbe. Ich konnte mir also leicht eine fromme junge Florentinerin aus den großen Tagen der Kunst vorstellen, die sich in das ebenso schöne Sebastiansbildnis eines von mir erfundenen Malers verliebt. Vertieft wurde diese Vorstellung durch ein liebenswürdiges kleines Erlebnis mit einer jungen, bildhübschen Pflegenonne von den englischen Blue sisters, mit der ich einmal gemeinsam bei einer Frischoperierten meines Bruders, die wir, weil nahe befreundet, als Gast im Hause pflegten, wachte. Die Liebliche erzählte mir in der stillen Nacht unter ihrem Nonnenschleier so recht zutraulich wie ein Backfisch dem andern von ihrer tiefen schwärmerischen Liebe zum heiligen Michael, dem herrlichsten der Erzengel, den sie sich zum Schutzpatron erbeten hatte: He is so very much like a man, you know. Die eingeflochtenen Sonette, die ursprünglich Terzinen waren, hatten gleichfalls zu meinem eigenen Gebrauch gedient, bis ich der Sitte jenes künstlerischen Zeitalters auf die Spur kam, neugeschaffene bewunderte Werke durch angeheftete anonyme Sonette zu feiern. Ich goss also die Terzinen in eine andere Form und gab ihnen die weibliche Hauptperson der Geschichte zur Urheberin. Auch die Bestürzung und ausweichende Scham des Künstlers vor seinem ersten starken Erfolg und vor dem Lob der mediceischen Tafelrunde hatte so etwas wie ein Gleichnis im eigenen damaligen Erleben, da ich sowohl in Deutschland wie in dem Freundeskreis von San Francesco, der an Erlesenheit kaum hinter dem mediceischen zurückstand, auf eine mich überwältigende Weise wegen meiner unterdessen erschienenen Gedichte gefeiert wurde. Und noch eine Parallele hatte ich in die Dichtung gebracht: ich litt von klein auf an einer gegenstandslosen, mir vielleicht schon angeborenen aber durch die Erziehung gesteigerten Gewissensangst: der Furcht, irgendeinmal ahnungslos einen Schritt zu tun, der für einen andern tödliche Folgen haben könnte, oder dass ich Zeugin eines Verbrechens werden müsste, ohne den Mut oder die Möglichkeit, dazwischen zu springen; Ängste, die mir oft genug die Nacht durch furchtbare Träume verdüsterten. Von dieser Zwangsvorstellung entlastete ich mich einigermaßen, indem ich sie in dem unglücklichen Maler vergegenständlichte, der ungewollt seinen schönen, ihm zum Rivalen gewordenen Bruder an die Mörder verrät und unwissentlich