Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Als die Freude meines jungen Verlegers und meine eigene auf dem Gipfel war, wurde dem Armen ein kalter Guß Wasser verabreicht. Auf der Königstraße in Stuttgart trat ihn, wie er mir betroffen mitteilte, ein »Herr I.« (den vollen Namen nannte er nicht) mit dem Vorwurf an, wie er so etwas Unmodernes wie die »Florentiner Novellen« habe drucken können; so groß wie sie als Fortsetzung der Tradition seien, so klein seien sie als modern. Der Einwurf machte ihm schwer zu schaffen und zerstörte sichtlich die Hälfte seines Glücks. Er knüpfte die ernstliche Mahnung daran, mich lieber doch zu ändern und von jetzt an in modernem Stil zu schreiben. Ich sagte zu mir selbst: Was ist modern? Das Wort kommt von Mode. Mode ist, was einen Tag glänzt und am nächsten alt wird. Und was ist Stil? Lässt er sich ändern? Mein Stil kommt aus meinem Blutkreislauf und dem Rhythmus meines Lebens. Ich werde ihn wohl behalten müssen, solange ich da bin. Dem Verleger gab ich – in anderer Fassung, versteht sich, – die Antwort Mörikes, als ihn ein Rezensent ermahnte, sich doch ja eine Tendenz zuzulegen, weil es anders nicht ginge: Will mir gleich einen Knopf in mein Sacktuch machen.
Aber im stillen wurmte mich’s doch gewaltig, dass mein Sosius, dessen Begeisterung ich für Kunstverständnis gehalten hatte, bei dem ersten Zwischenruf umgefallen war und sich einreden ließ, eine eben herrschende Stilform, die allerdings für die Darstellung von Berliner Hinterhäusern sich als die rechte erwies, könne ebenso auf italienische Fürstenhöfe des Quattro- und Cinquecento angewendet werden. Fiedlers, die sich damals in Florenz aufhielten, trösteten mich, die »Florentiner Novellen« würden noch lange gelesen werden, wenn von »Herrn I.« kein Lied, kein Heldenbuch mehr melden würde. Ich gab nun acht, ob vielleicht am schwäbischen Dichterhimmel ein Gestirn mit dem Anfangsbuchstaben I. aufsteige, entdeckte aber nichts dergleichen, und so schöpfte ich die Hoffnung, dass meine Freunde wohl recht behalten und die Konjunkturpropheten zuschanden werden dürften.
Auch eines Fehlurteils der offiziellen Kritik soll hier gedacht werden, das unzählige Male widerlegt, sich dennoch nicht nur in den Köpfen der Laien, sondern auch in Literaturgeschichten festgesetzt hat. Ich meine das immer wieder einmal auftauchende Missverständnis, das mich wegen der ähnlichen Stoffwahl eine Schülerin Konrad Ferdinand Meyers nannte, ohne zu beachten, dass ich durch meine florentinische Umgebung, in der ich wie gefangen saß, zu dieser Stoffwahl geradezu gezwungen war. Es half nichts, dass ich auf den großen Unterschied zwischen meinem angeblichen Vorbild und meinem eigenen Wollen hinwies: dass der Schweizer Dichter die Geschichte selber darstellte, während ich die Geschichte nur zum Rahmen für frei erfundene Gestalten und Vorgänge machte, die ich zu der Höhe des Geschichtlichen hinaufsteigerte. Es half auch nichts, dass ich wiederholt versicherte, die Renaissancenovellen C. F. Meyers gar nicht gekannt zu haben, als ich die meinigen schrieb (mit einer einzigen Ausnahme: der »Versuchung des Pescara«, die mir zu kurzem Durchblättern geliehen wurde, als ich schon am Abschluss meiner Sammlung stand). Wie viele auch nach mir zu Renaissancestoffen griffen, keinem wurde Abhängigkeit von dem Schweizer Erzähler nachgesagt, einzig die »Florentiner Novellen«, die so offenbar den Stempel ihrer grundverschiedenen Herkunft wiesen, hatten sich immer aufs neue gegen den Irrtum zu wehren. Ich darf es hier aussprechen: ich war niemands Schülerin, nur immer Schülerin der Natur und des Lebens. Wer dem Wildwuchs meiner Entwicklung gefolgt ist, wird dies ohne weiteres einsehen.
Das Wunderlichste bleibt der Umstand, dass niemand darauf verfiel, der Schweizer und die Schwäbin könnten aus der gleichen Quelle getrunken haben, einer Quelle, die stark und hell vor aller Augen sprudelte, der »Kultur der Renaissance« Jacob Burckhardts. So schwer fällt es der menschlichen Bequemlichkeit, eine aufgegriffene falsche Lehrmeinung selbstständig umzudenken. Nicht ein Schweizer Dichter hat die »Florentiner Novellen« beeinflusst, sondern ein Schweizer Denker gab mit seiner Stimmgabel den Ton an, worin für unsere Ohren zum ersten Mal die dämonische Größe jener Tage wieder aufklang. – Dass mir Gobineaus »Renaissance« erst viele Jahre später durch einen Freund, der mir das köstliche Buch schenkte, zu Gesicht kam, sei nebenher bemerkt: es erneuerte das alte Bedauern, damals in Tübingen den mir eigens zugedachten Besuch des Verfassers versäumt zu haben.
Höchst eigen und rührend war die Stellung meines guten Mütterleins zu den Geschöpfen meiner Einbildungskraft: sie nahm sie ganz und gar in ihr Herz und verkehrte mit ihnen wie mit lebenden Familiengliedern. So oft sie durch die Via della Vigna nuova ging, sah sie auf der Loggia dei Rucellai, die ihr wie in meiner Erzählung mit gelben Schlingröschen gleich denen unseres Gartens umrankt schien, die schöne Tochter des Hauses stehen, ihren Ritter vom Nordland erwartend. Ebenso zärtlich liebte sie den schönen jungen Kardinal Orsini aus dem »Heiligen Sebastian«, für den ich mir einzelne Züge von dem historischen Kardinal Ippolito de’ Medici lieh, den ich später in den »Nächten von Fondi« selber darstellte. So sehr liebte sie diese erfundenen Personen, dass sie sogar in ihre Seele hinein eifersüchtig wurde auf etwaige Nachfolger, die ihnen den Rang streitig machen könnten, und ungern die Bewerbungen verschiedener Verlage um ein neues Buch aus dem gleichen Stoffgebiet sah. Auch mir selber lag es gänzlich ferne, diesen Wünschen Rechnung zu tragen, denn ich wusste wohl, dass ich auf diese Weise zwar buchhändlerisch aber nicht künstlerisch weiterkommen konnte. Vielleicht war es doch eine Welle der Zeitströmung, die mich so weit streifte, dass ich mich gedrungen fühlte, meine nächsten Stoffe unter den Lebenden, den kleinen Leuten zu suchen, aus deren Mund der Naturlaut vernehmlicher klang als aus dem der Gebildeten. So entstand nach und nach der Band »Italienische Erzählungen«, der erst fünf Jahre später erschien als sein Vorgänger, zwar im gleichen Göschenschen