Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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üb­rig das mir al­lein ge­hör­te.

      Es ist eine ei­ge­ne Sa­che um ly­ri­sche Dich­tung, der Maß­stab gut und schlecht reicht für sie nicht aus. Viel schlech­ter als ein schlech­tes Ge­dicht ist ein un­nö­ti­ges. Je­des Ge­dicht, das ein­mal auf Men­schen­her­zen ge­wirkt hat, ist zu­vor schon im Be­dürf­nis da­ge­we­sen; wenn es nie­man­ds Be­dürf­nis war, so ist es bes­ten Fal­les ein Kunst­stück. Frei­lich muss das ech­te Ge­dicht aus der Wur­zel des Per­sön­li­chen ge­wach­sen sein, aber es muss sei­ne Blät­ter und Blü­ten weit hin­aus in die Lüf­te der All­ge­mein­heit brei­ten, nur noch durch ein lei­ses Aro­ma an sei­nen Ur­sprung er­in­nernd. Denn der Dich­ter muss Spre­cher sein für vie­le, er muss ih­nen das Wort, das sie su­chen, aus dem Mun­de neh­men, sie müs­sen sich in ihm er­löst füh­len. Am schöns­ten tön­te mir der Wi­der­hall aus ei­nem herr­li­chen eng­li­schen Ge­dicht mei­nes Freun­des Grant, worin er mei­ne Lie­der als die Sturm­vö­gel be­sang, die über dem Wo­gen­aufruhr schwe­ben und mit ih­ren Stim­men den Sturm durch­tö­nen; ich habe es lei­der bei ei­nem der un­zäh­li­gen Um­zü­ge mei­ner spä­te­ren Jah­re ein­ge­büßt zu­samt dem gan­zen Pack sei­ner durch­aus be­deu­ten­den Brie­fe. Ich muss mich an­kla­gen, die Re­li­qui­en die­ses mich so tief­lie­ben­den Freun­des, der sich im­mer müh­te mir hilf­reich zu sein, zu we­nig sorg­sam be­hü­tet zu ha­ben. Sei­nen Ma­nen möge es einen schwa­chen Dank be­deu­ten, wenn ich hier aus der Erin­ne­rung sei­ne Über­set­zung ei­nes klei­nen Lied­chens aus mei­ner Früh­zeit, das mit in die Samm­lung der »Ge­dich­te« ge­kom­men war, nie­der­le­ge.

       For tee

       What bro­ke sleeps ma­gic sphe­re asun­der,

       Whe­re love ap­pears?

       Why was my pil­low wet, I won­der,

       At dawn with tears?

       I know not to what pic­ture gro­wing

       Tat dream might be.

       I only know, tho­se tears were flo­wi­ng

       For tee, for tee!

      Was das klei­ne Lied bei dem Um­guss an Ein­fach­heit ver­lor, das hat es durch das schö­ne Bild von der ma­gi­schen Ku­gel an Schmuck ge­won­nen.

      An die­ser Stel­le sei ei­nes Un­fugs der Le­se­welt ge­dacht, ge­gen die von je die Dich­ter, aber ver­geb­lich, sich ver­wahrt ha­ben. Ich mei­ne die öde Sucht, aus dem Ge­dicht sei­nen Wirk­lich­keits­kern her­aus­zu­bre­chen, das was die Poe­sie aus der ir­di­schen Schwe­re in über­ir­di­sche Leich­tig­keit, in Glanz und Ton und Rhyth­mus ver­wan­delt hat, in sei­nen nun­mehr ver­brauch­ten, nicht mehr vor­han­de­nen Roh­stoff zu­rück­ver­wan­deln zu wol­len, da­bei die zärt­lichs­te, ver­bo­tens­te Stel­le des Dich­ters, wo die Ver­wand­lung vor sich geht, ver­let­zend. War da ein­mal Wirk­lich­keit? War es nicht im­mer Vi­si­on? Wen geht es an, wenn der Nächst­be­tei­lig­te es nicht mehr weiß? Die­se Poe­sie­lo­sen, die sich lie­ber mit Sta­tis­tik als mit Dich­tung be­fas­sen soll­ten, glei­chen sie nicht den Kin­dern, die ein emp­fan­ge­nes Ge­schenk bes­ser zu ge­nie­ßen mei­nen, wenn sie es in sei­ne Tei­le zer­bre­chen, um zu se­hen, wor­aus es ge­macht ist?

      So las ich ir­gend­wo von By­ron, dass ihn ein­mal ein Un­be­ru­fe­ner nach dem Ur­bild sei­ner Thy­r­za ge­fügt habe – der schöns­ten, ge­lieb­tes­ten Ge­stalt sei­ner Lie­der, die er aus dem frü­hen Grab in den kris­tal­le­nen Sarg sei­ner Dich­tung ge­ret­tet hat. Und der Dich­ter, hieß es, sei in fas­sungs­lo­se Er­re­gung ge­ra­ten – um die tote Ge­lieb­te, mein­ten die All­täg­li­chen. Nein, nicht um die Ge­lieb­te, die längst durch sei­ne Ge­dich­te in ein über­ir­di­sches Ge­bil­de ver­wan­delt ist, wo­vor er in An­dacht und se­li­gem Schmer­ze kniet, wie er vor nichts Ir­di­schem kni­en kann. Dass sie kom­men, das Un­be­rühr­ba­re stumpf und täp­pisch mit Fra­gen be­tas­ten: Wer war sie? Wie hieß sie? Wer die El­tern? Und wür­de der Dich­ter sie zur Lady By­ron ge­macht ha­ben, vor­aus­ge­setzt, dass ihre Mit­gift aus­ge­reicht hät­te, um sei­ne Schul­den zu zah­len? Das muss­te ihn au­ßer sich brin­gen – sei­ne Wu­t­an­fäl­le wa­ren ja be­kannt, und ge­wiss war kei­ner ge­rech­ter. Das Äu­ßers­te aber, was See­len­ro­heit ver­moch­te, wur­de ei­nes Ta­ges in Tü­bin­gen an dem kran­ken, wehr­lo­sen Höl­der­lin ver­übt, als ein Häuf­lein Stu­den­ten bei ihm ein­drang und ihn schlank­weg nach Dio­ti­ma frag­te. Nach Dio­ti­ma! Und kein Wun­der ge­sch­ah, um die Zun­ge des Fra­gers zu läh­men. Der Un­glück­li­che muss­te sich sel­ber schüt­zen; und er fand da­für nur die un­er­hör­te Form, dass er einen ge­mei­nen Dia­lekt, den er ge­wiss nie zum Ge­brauch ge­spro­chen hat, in dem sich nur die Ro­heit der Fra­ge spie­gel­te, zwi­schen sich und den Fra­ger schob, ihn mit ei­ner Flut von wir­rem Un­sinn über­spru­delnd, um da­mit die schnö­de Neu­gier aus dem Tem­pel sei­nes Hy­pe­ri­on hin­weg­zu­trei­ben.

      Soll­te nicht um je­des Hei­lig­tum der Dich­tung eine »Zone des Schwei­gens« vor­ge­schrie­ben sein wie um das Grab Dan­tes in Ra­ven­na? Man hat im Lauf des Le­bens zu so­viel Un­leid­li­chem schwei­gen ge­lernt; sol­che Din­ge aber, die im­mer wie­der­keh­ren und ge­ra­de die zar­tes­ten Her­zen aufs tiefs­te ver­let­zen, müs­sen ein­mal ge­rügt wer­den.

      Ich stand jetzt al­lein Aug in Auge mit dem un­sicht­ba­ren ge­flü­gel­ten Freund und ver­lang­te sonst wei­ter nichts vom Le­ben. Er mach­te mich glück­lich und un­glück­lich, je nach­dem es ihm ein­fiel, wie es ein ir­di­scher Ge­lieb­ter an sei­ner Stel­le auch ge­tan hät­te. Ich nann­te ihn mei­nen »An­de­ren«. Er war der Hel­fer und Trös­ter, der große Leid­ver­wand­ler, aber er war auch der Ei­fer­süch­ti­ge, Viel­ver­lan­gen­de, der mich ganz für sich al­lein woll­te. Wenn ich ihn beim Glü­hen der Esse am stärks­ten in mir fühl­te, ka­men Au­gen­bli­cke, wo die ir­di­sche Brust das Glück nicht mehr hal­ten konn­te und ich ins Freie stür­zen muss­te, da­mit die Fi­bern nicht ris­sen. Dann wie­der quäl­te er mich durch sei­ne sich über­stür­zen­den, durch­ein­an­der­ge­wür­fel­ten Ein­fäl­le, die ich nicht schnell ge­nug zu Pa­pier brin­gen, ent­wir­ren konn­te, oder er sand­te sie mir zu in Au­gen­bli­cken, wo ich durch­aus ver­hin­dert war sie auf­zu­fan­gen, etwa an ei­nem Rei­se­tag, im Au­gen­blick des Auf­bruchs mit Mama, die sich beim Rei­sen über die Ma­ßen auf­zu­re­gen pfleg­te. Wenn ich aber nur einen Sei­ten­blick auf die Ver­lo­ckun­gen des Le­bens fal­len ließ, so ver­schwand er. Und als­bald ver­losch al­ler Da­seins­glanz, die Son­ne ohne ihn war kei­ne Son­ne mehr. Erst wenn ich dann ge­nug gedarbt hat­te, kam er wie­der und be­warf mich mit Blu­men. Am we­nigs­ten ver­trug er sich mit mei­nem ar­men Müt­ter­lein, das ihn doch schon vor mei­ner Ge­burt für mich her­be­schwo­ren hat­te. Er ent­floh, wenn sie ein­trat. Sie lieb­te zwar glü­hend die Ge­stal­ten, die ich schuf, und nahm sie wie En­kel­kin­der an ihr Herz, aber das Wer­den­de zu scho­nen und zu för­dern war ihr nicht ge­ge­ben. Wie gut sie die Ein­ge­bung, das ei­gent­lich Dich­te­ri­sche mit­emp­fand, so sehr fehl­te ihr der Sinn für die Aus­ge­stal­tung, für das Hand­werk­li­che, das Rin­gen um Maß und Ei­n­ord­nung und die letz­te Fei­le. Wenn sie mich ein an­ge­fan­ge­nes Ma­nu­skript ver­wer­fen oder vie­le Blät­ter ei­nes lau­fen­den in den Pa­pier­korb wan­dern sah, weil ent­we­der an ei­ner Stel­le die Lö­sung nicht

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