Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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sie den Spie­ßern der schwä­bi­schen Klein­stadt, die ihr Kör­per­li­ches be­her­berg­te, nur An­lass zu spöt­ti­schem Mit­leid gab. Bis ihr Stern es will, dass sie ei­nem leib­haf­ten Welt­be­zwin­ger in die Au­gen schaut, und um die Grö­ße der Stun­de nicht zu über­le­ben, im Rausch der Selbst­ver­nich­tung un­ter den Hu­fen sei­ner Ros­se en­det. Eine Zeit lang trug ich sie mit mir, ohne dass es ihr ge­lang, ih­ren Mit­be­wer­bern im Cha­os den Rang ab­zu­lau­fen. Sie tauch­te nur wie die an­de­ren in mir auf und nie­der. Da ge­sch­ah es, dass sie ei­nes Ta­ges ganz plötz­lich durch eine Be­geg­nung zur Form ge­rann. Ich saß wäh­rend ei­nes kür­ze­ren Auf­ent­halts in Mün­chen ge­ra­de in der Stra­ßen­bahn, als ich un­ter den Mit­fah­ren­den eine selt­sa­me Per­sön­lich­keit ge­wahr­te, die mit ab­we­sen­der Mie­ne und mit Au­gen, die die Wirk­lich­keit nicht sa­hen, weil sie ihr of­fen­bar zu ge­ring war und vor ih­rem in­ne­ren Ge­sicht ein Hö­he­res stand, von al­len an­de­ren Fahr­gäs­ten weit ge­trennt er­schi­en. Es durch­zuck­te mich: Das ist Sie! Das ist Ze­no­bia! Und rich­tig: als der Wa­gen hielt, er­hob sie sich und grüß­te, ehe sie aus­stieg, ohne je­mand an­zu­schau­en, mit fei­er­lich-stum­men Ver­beu­gun­gen in der Run­de, dass alle An­we­sen­den lä­chel­ten. Im Wei­ter­fah­ren konn­te ich die Au­gen nicht von ihr ab­wen­den: denn, o Wun­der! da stand sie noch im­mer mit­ten in der Ma­xi­mi­lian­stra­ße ne­ben der Schie­ne – sie konn­te sich das leis­ten, denn was man heu­te Ver­kehr nennt, gab es ja noch nicht – und wie­der­hol­te ihre Knick­se in die lee­re Luft. Jetzt hat­te ich sie in der Tat mit ih­rem Auf­tre­ten am kur­fürst­li­chen Hof, so wie ich sie brauch­te, leib­haft vor Au­gen, die arme buck­li­ge Kai­se­rin, denn al­les Le­ben liegt in der Be­we­gung; den feh­len­den Bu­ckel, den klas­si­schen Kopf und was ihr sonst noch man­gel­te, um ganz mei­ne Ze­no­bia zu sein, er­gänz­te die Fan­ta­sie von sel­ber. Zu­rück­ge­kehrt, mach­te ich mich gleich an die Ar­beit und ver­ließ sie nicht, bis ich da­mit zu Ende war. Wäh­rend ich dar­über saß, er­hielt ich von Freun­des­sei­te eine Ein­la­dung nach Nea­pel, wo­hin ich noch nie ge­kom­men war und das mir da­nach noch lan­ge, lan­ge un­er­reich­tes Wunsch­ziel blei­ben soll­te; denn was hal­f’s, ich konn­te Ze­no­bia nicht im Stich las­sen. Nur ein­mal un­ter­brach ich das Schrei­ben: als Böck­lin starb und jün­ge­re Künst­ler mich ba­ten, für die zu ver­an­stal­ten­de Trau­er­fei­er das Car­men zu dich­ten.

      Die No­vel­le er­schi­en wie die meis­ten an­de­ren in Ro­den­bergs »Deut­scher Rund­schau«. Ich hat­te um die­se Zeit die Freu­de, die be­rühm­tes­te und zu­gleich be­schei­dens­te deut­sche Schrift­stel­le­rin und gü­tigs­te al­ler Kol­le­gin­nen, Ma­rie von Eb­ner-Eschen­bach, ken­nen­zu­ler­nen. Sie be­grüß­te mich gleich mit dem Na­men Ze­no­bia auf den Lip­pen. Die tra­gi­sche Fan­tas­tin, die aus ih­rer Nied­rig­keit die Au­gen zu dem Sie­ger von Aus­ter­litz zu er­he­ben wagt, hat­te es ihr, wie sie sag­te, an­ge­tan, und an dem nächt­li­chen, ei­nem flam­men­den Me­teo­re glei­chen­den Durch­zug des Im­pe­ra­tors rühm­te sie die ge­heim­nis­vol­le töd­li­che An­zie­hungs­kraft, die die arme Buck­li­ge in den Un­ter­gang zwingt, wie das Licht den um­schwir­ren­den Fal­ter.

      Wir sind ei­gent­lich alle sol­che Ze­no­bi­en, sag­te die Dich­te­rin sin­nend. Wer hat sich nicht schon in eine ganz nahe Be­zie­hung zu ei­nem un­er­reich­bar Gro­ßen hin­ge­träumt, mit dem uns un­ser Le­bens­weg nie zu­sam­men­füh­ren kann.

      Ja­wohl, sag­te ich, der Hel­den­ver­eh­rung mei­ner ei­ge­nen Ju­gend ge­den­kend, auch zu Längst­ge­stor­be­nen und zu sol­chen, die nie ge­lebt ha­ben.

      Was sie mir noch Gü­ti­ges über mei­ne Bü­cher sag­te, war für die al­lein und ab­seits Ste­hen­de eine große Wohl­tat. Ich be­kam ja lo­ben­de Kri­ti­ken ge­nug und auch man­che so­gar über­schweng­li­che Stim­me aus Le­ser­krei­sen zu hö­ren. Der fein­füh­li­ge Laie ver­steht wohl die Ein­ge­bung, die im­mer das We­sent­li­che bleibt, doch kennt er nicht die Wege des Zu­stan­de­kom­mens, und er soll sie nicht ken­nen, sie wür­den ihm den Ge­nuss nur ver­wir­ren. Aber ver­ste­hen­de Aner­ken­nung, die der äl­te­re Meis­ter dem jün­ge­ren ent­ge­gen­bringt, er­freut nicht nur, sie för­dert auch. Ich ver­trau­te ihr an, mit was für äu­ße­ren Hem­mun­gen mei­ne Ar­bei­ten zu rin­gen hat­ten. Die Ge­fei­er­te, von der ich an­nahm, dass ihre ge­sell­schaft­li­chen Vor­tei­le sie von vorn­her­ein je­dem Kampf ent­ho­ben ha­ben müss­ten, be­kann­te mir, wie schwer auch ihr der Weg zum Schaf­fen ge­macht wor­den sei, und dass sie noch im­mer ein un­ver­fäng­li­ches Stück Pa­pier ne­ben sich auf dem Schreib­tisch ha­ben müs­se, um es schnell auf ihr Ma­nu­skript zu de­cken, da­mit sie nicht beim Schrei­ben über­rascht wür­de. Weil sie mei­ne ver­meint­li­che Ge­lehr­sam­keit be­staun­te, er­zähl­te ich ihr, dass ich nie ein Schul­zim­mer be­tre­ten hat­te, dass mir kaum je­mals Fes­tes, Fer­ti­ges über­mit­telt wor­den war und dass ich mir mein biss­chen Ei­gen aus der All­ver­ket­tung der Din­ge sel­ber hat­te her­aus­klau­ben müs­sen. Sie war viel­leicht noch schlim­mer ge­fah­ren, da sie mit der üb­li­chen Kom­tes­sen­bil­dung ih­ren Weg be­gon­nen hat­te und erst spä­ter durch die Freund­schaft mit ei­ner ed­len Frau – Ida von Fleischl –, der­sel­ben, die auch die ein­sa­me Loui­se von François be­treu­te, in hö­he­re geis­ti­ge Wel­ten ein­ge­führt wor­den war. Jetzt hat­te sie einen bren­nen­den Ei­fer, Lücken aus­zu­fül­len, das in der Ju­gend Ent­gan­ge­ne nach­zu­ho­len, und um­gab sich mit Ge­lehr­ten, aus de­ren Wis­sen sie gläu­big und de­mü­tig schöpf­te, wäh­rend sie sel­ber be­saß, was kein Ge­lehr­ter ge­ben kann: die an­ge­bo­re­ne Wahr­schau in Din­ge und Men­schen.

      Von da an gab es so gut wie kei­ne tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten mehr, jede neue Er­fin­dung brach­te von sel­ber ihre Ein­klei­dung mit; dass es mir gar zu­letzt noch ein­fal­len könn­te, den In­halt ei­nes ge­schicht­li­chen Ro­mans in einen Wand­tep­pich zu pres­sen, das lag frei­lich noch in fer­ner Zu­kunft. Nur in ei­nem Fall woll­te und woll­te der im­mer neu­ge­such­te Wurf nicht her­aus­kom­men. Da war eine schon früh ge­plan­te Dop­pel­no­vel­le»Sol­leo­ne«, die ein Äu­ßers­tes an un­sicht­ba­ren Mit­teln ver­lang­te, um so in Er­schei­nung zu tre­ten, wie ich sie in­ner­lich sah: dass zwei zeit­lich und in­halt­lich weit aus­ein­an­der­lie­gen­de Men­schen­ge­schi­cke sich auf ei­nem Schnitt­punkt tref­fen, wo sie als dä­mo­nisch auf­ein­an­der wir­kend er­schei­nen müs­sen, enge ver­bun­den durch das Wal­ten ei­ner Ur­macht, der hoch­som­mer­li­chen Son­nenglut, von der die No­vel­le den Na­men hat. Die­ser Stoff, den die still­glü­hen­de Som­mer­land­schaft bei ei­nem Auf­ent­halt in den To­s­ka­ni­schen Hü­geln aus sich ge­bar mit Ge­stal­ten, die aus dem Bo­den ka­men, aber sich lei­se ins My­thi­sche färb­ten, brann­te durch Jahr­zehn­te in mir wei­ter, ohne zu er­kal­ten, weil er wie in ei­nem dau­ern­den Feu­er­ba­de lag, bis ich ihn mit dem letz­ten reifs­ten Kön­nen doch noch ins Da­sein zu er­lö­sen ver­moch­te. Das bei­na­he vier­zig­jäh­ri­ge War­ten kam ihm nur zu­gu­te; es streif­te Über­wu­chern­des ab, das mich ge­hin­dert hat­te, und gab Ge­le­gen­heit, dass ich einen Zeu­gen des tra­gi­schen Vor­gangs, der von ei­nem Strahl des töd­li­chen Gestirns mit­ge­trof­fen hin­siecht, im Welt­krieg still ver­schwin­den las­sen konn­te.

      *

      Wäh­rend ich an­däch­tig in mei­ner Töp­fer­werk­statt saß und aus dem mir an­ver­trau­ten Ton­klum­pen

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