Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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her­aus­gab.

      In Frem­den­ko­lo­ni­en wech­seln Na­men und Ge­sich­ter schnell. Als ich die Le­bens­mit­te er­reich­te, war von dem hel­len Kreis, in den wir bei un­se­rer An­kunft in Flo­renz ein­tra­ten, fast nur noch das Hil­de­brand­sche Haus üb­rig. Gu­er­rie­ris, Gi­us­tis wa­ren frü­he weg­ge­zo­gen, und un­ter den Deutsch­bür­ti­gen hat­te das Ster­ben auf­ge­räumt. Den An­fang mach­te schon im Früh­jahr 1884 Theo­dor Hey­se, der Oheim des Dich­ters, der­je­ni­ge un­ter den Le­ben­den, in dem noch ein Ab­glanz der Tage von Wei­mar leib­haft um­ging. Wel­t­ab­ge­kehrt, in der Ar­mut und Ein­sam­keit ei­nes Wei­sen, bei Bü­chern und Ka­na­ri­en­vö­geln le­bend, war er den­noch so et­was wie ein heim­li­cher Kö­nig ge­we­sen, denn die Jün­ge­ren, die das Glück hat­ten, ihn in sei­ner Klau­se be­su­chen zu dür­fen, tru­gen die Auss­trah­lun­gen sei­nes noch un­ge­dämpf­ten Geis­tes durch die Aus­le­se der Ko­lo­nie. Hil­le­brand, den auf der Höhe des Man­nes­al­ters eine schlei­chen­de Krank­heit ver­zehr­te, schrieb ihm noch einen schö­nen Nach­ruf, der sein ei­ge­ner Schwa­nen­ge­sang wur­de, und folg­te ihm im Herbst des­sel­ben Jah­res. Die­sem leis­te­te Hom­ber­ger den glei­chen Lie­bes­dienst und teil­te sein Ge­schick, in vol­ler Kraft zu ster­ben. Auf dem Fried­hof Agli Al­lo­ri, so von al­ters her nach ei­nem ehe­ma­li­gen Lor­beer­hain ge­nannt, schla­fen alle drei un­ter schö­nen, von Hil­de­brand ge­schaf­fe­nen Ge­dächt­nis­ma­len.

      Das­sel­be Stück flo­ren­ti­ni­scher Erde nahm im Jahr 1891 den un­glück­li­chen Karl Stauf­fer auf, dem die­se Stadt zum künst­le­ri­schen und mensch­li­chen Ver­häng­nis ge­wor­den war. Sei­ne Tra­gö­die zit­ter­te lan­ge in den Her­zen nach, die sie aus der Nähe mit­er­lebt hat­ten. Dass in ihm auch eine dich­te­ri­sche Kraft un­ter­ging, die nie­mand ge­ahnt hat­te, mach­te mir den Vor­gang dop­pelt er­grei­fend. Bei mei­nem Bru­der Er­win, der sein Stu­dien­ka­me­rad an der Münch­ner Aka­de­mie ge­we­sen und der als Letz­ter bei dem Verzwei­feln­den aus­hielt, hat­te ich ei­nes Ta­ges durch Zu­fall in ei­nem zur Auf­be­wah­rung über­ge­be­nen und dann von bei­den Tei­len ver­ges­se­nen lo­sen Bün­del Stauf­fers Ge­dich­te ent­deckt und war von ih­rer wil­den Schön­heit und vul­ka­ni­schen Ur­kraft tief be­trof­fen ge­blie­ben. Ich woll­te ihm so gern ein Wort der Aner­ken­nung, der Be­wun­de­rung zu­kom­men las­sen, das ihm wohl­ge­tan, ihn viel­leicht – wer weiß? – noch für eine kur­ze Stre­cke durch den Glau­ben an sich selbst ge­stützt hät­te; aber sein schnel­ler Ent­schluss kam dem zu­vor. Ich trug es lan­ge wie eine un­be­zahl­te Schuld mit mir, dass ich nicht mehr zu dem Un­glück­li­chen selbst, nur noch zu sei­nen Ma­nen spre­chen konn­te:

       Ver­lor­ner Sohn der Kunst und Poe­sie!

       So wild dein Lied, doch hör­t’ ich Süß­res nie,

       Wie dei­ne Glet­scher­was­ser weiß und schäu­mend,

       Wie dei­ne Berg­seen Him­mels­bläue träu­mend.

       O wenn vom ei­ge­nen Bild der Ge­ni­us

       Sich schau­dernd wen­den und ver­zwei­feln muss!

       Ward ihm sein Kleid be­fleckt am Freu­den­mah­le,

       Ihn dul­dets nicht, es treibt ihn aus dem Saa­le.

       Seht, wie der Cor­so am Lun­gar­no braust!

       Ge­putz­te Kna­ben, schwach an Hirn und Faust.

       Von Tau­sen­den, die bes­ser nicht und rei­ner,

       Wer wiegt uns den Ver­lor­nen auf? Nicht ei­ner.

       Du Flücht­ling, schlumm­re un­ter Lor­beer­laub,

       Wo größ­re Grö­ße, größ­re Schuld zu Staub.

       Ein brü­der­lich Asyl sind die­se Schol­len.

       Die Muse weint. – Was kannst du wei­ter wol­len?

      Wie ich nach dem er­schüt­tern­den Aus­gang mich um die Her­aus­ga­be der in mei­ner Hand zu­rück­ge­blie­be­nen Stauf­fer­schen Ge­dich­te be­müh­te und wie die­se Be­mü­hun­gen an den Be­denk­lich­kei­ten der Fa­mi­lie Stauf­fer schei­ter­ten, habe ich in mei­nen »Flo­ren­ti­ni­schen Erin­ne­run­gen« er­zählt. Da­selbst konn­te ich aber zu der un­ter­des­sen von Otto Brahm ge­druck­ten klei­nen Aus­wahl, die nicht durch­weg das Be­deut­sams­te ent­hielt – die­ses war ihm viel­leicht gar nicht zu Ge­sicht ge­kom­men –, noch ei­ni­ge be­son­ders merk­wür­di­ge Er­gän­zun­gen nach­tra­gen.

      In den neun­zi­ger Jah­ren lich­te­te der Weg­zug Er­wins den Fa­mi­li­en­kreis. Er war der­je­ni­ge un­ter den Brü­dern, der nie­mals Zwist oder Ängs­te in das Zu­sam­men­le­ben brach­te und der Ver­wick­lun­gen im­mer zart und scho­nend bei­leg­te. Aber die­ser von Na­tur Froh­sin­nigs­te war mit den Jah­ren fast so ernst und schweig­sam ge­wor­den wie sein Va­ter. Durch den lan­gen Auf­ent­halt in Ita­li­en von dem deut­schen Kunst­markt ab­ge­schnit­ten, kos­te­te es ihn schwe­ren Kampf, sei­nen frü­he ge­grün­de­ten Haus­stand durch­zu­brin­gen, bis er durch die Pro­fes­sur an der Münch­ner Aka­de­mie wie­der in fri­sches Fahr­was­ser kam und sein na­tür­li­ches Wachs­tum vollen­den konn­te. – Mün­chen be­sitzt auf sei­nen öf­fent­li­chen Plät­zen so vie­le Wer­ke sei­ner Hand, die von der Rein­heit und Höhe sei­ner Kunst­ge­sin­nung und von dem Adel sei­nes We­sens zeu­gen, dass ich von dem Künst­ler Er­win Kurz nicht zu spre­chen brau­che, nur von dem Bru­der, der wie ein si­che­rer Pol in der Un­ru­he der Fa­mi­lie stand. Die­ses Ele­ment des Frie­dens fehl­te fort­an un­se­rem flo­ren­ti­ni­schen Le­bens­kreis.

      Und nun stand auch Grant auf der Ver­lust­lis­te; er war in deut­scher Erde schla­fen ge­gan­gen. Grant litt und ver­ging an ei­ner Zei­trich­tung, die das Ei­gen­tüm­li­che sei­ner Be­ga­bung nicht durch­drin­gen ließ; er war aus gan­zem Her­zen Ro­man­ti­ker, zart und glü­hend, leb­te in Lied und My­the, und der Zeit­ge­schmack for­der­te einen Rea­lis­mus, den er sich nur wi­der­stre­bend ab­ge­wann und der ihm kei­nen Dank ein­brach­te, weil er bei al­ler Fein­heit der Be­hand­lung doch nicht aus sei­nem In­ners­ten drang. – Dann riss Kon­rad Fied­ler, der Freund Hil­de­brands und Marées’, der auch der mei­ni­ge ge­wor­den war und der durch sei­ne all­jähr­li­chen Be­su­che in Flo­renz zum ei­ser­nen Be­stand des Krei­ses ge­hör­te, durch sei­nen jä­hen Tod eine brei­te Lücke. Lang­sam be­rei­te­te sich auch Böck­lin zur Über­fahrt nach je­ner stil­len In­sel, die er uns so oft ge­malt hat. Er wur­de lan­ge in der Stadt nicht mehr ge­se­hen, aber er leb­te noch, alt und müde ge­wor­den, in das ers­te Jahr des neu­en Jahr­hun­derts hin­ein. Le­bens- nicht schaf­fens­mü­de, denn auf sei­ner schö­nen, spä­ter­wor­be­nen Be­sit­zung in San Do­me­ni­co mal­te er im­mer wei­ter, was er dem kör­per­li­chen Ver­fall noch ab­rin­gen konn­te, mit Far­ben, die im­mer lei­den­schaft­li­cher, im­mer drän­gen­der wur­den, je mehr sein Tag sich neig­te. Am Mor­gen des 16. Ja­nu­ar 1901 schloss ihm Ed­gar, der ihn durch zwei Jahr­zehn­te als Arzt und als Freund be­treut hat­te, die Au­gen, jene au­ßer­or­dent­li­chen

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