Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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Haus in Be­stür­zung ver­setz­te und der warm­her­zi­ge Al­fred ihn vol­ler Schreck da oben su­chen ließ, ihm dann aber zu­sprach, sich schnells­tens aus dem Be­reich der Glut­strö­me in sei­ne Hei­mat­luft zu ret­ten.

      In die Tage von Vil­la­bru­na fiel eine ei­gen­tüm­li­che klei­ne Epi­so­de, die ich nicht mit Still­schwei­gen über­ge­hen will, weil sie für die ein­zig große Den­kart mei­ner Mut­ter kenn­zeich­nend ist wie nichts an­de­res. Ich er­hielt dort ei­nes Ta­ges von un­be­kann­ter weib­li­cher Sei­te aus ei­nem klei­nen ba­di­schen Städt­chen die An­fra­ge, ob ich die Toch­ter von Her­mann Kurz sei, die einst beim Stif­tungs­fest der Uni­ver­si­tät Tü­bin­gen als Muse den Fest­wa­gen ge­lenkt habe; man hät­te mir in die­sem Fal­le eine mich sehr nahe be­tref­fen­de Mit­tei­lung aus dem Le­ben mei­nes Va­ters zu ma­chen, wünsch­te aber vor­her zu wis­sen, ob mei­ne Mut­ter noch am Le­ben sei, um ihr ja kei­nen Schmerz zu be­rei­ten. Ich ging mit die­sem Brief ins Nach­bar­haus, wo Mama mit Al­fred bei­sam­mensaß, und las ihn vor. Hur­ra, wir ha­ben einen Bru­der! rief der ewi­ge Stu­dent er­freut. Ich mach­te ihn dar­auf auf­merk­sam, dass es sich um eine Schwes­ter, die Schrei­be­rin selbst, zu han­deln schei­ne, denn eine an­de­re Deu­tung ließ der Brief mei­ner An­sicht nach nicht zu. Macht nichts, Bru­der oder Schwes­ter, war die Ant­wort, das Er­eig­nis muss ge­fei­ert wer­den. Und als­bald stieg der Gute in sei­nen Kel­ler hin­ab (wozu er gern die Ge­le­gen­heit er­griff) und hol­te sei­ne letz­te Fla­sche Cham­pa­gner her­auf, um sie sel­ban­der auf das Wohl des neu­en Ge­schwis­ters zu lee­ren. Mama saß ver­klärt mit glän­zen­den Au­gen; kein klei­ner Ge­dan­ke kam in ihre See­le, wie dass der Ge­lieb­te ihr et­was ver­hehlt habe, oder gar ein Zug von weib­li­cher Ei­fer­sucht – nichts hass­te sie mehr als die­se: wenn eine ih­rer Freun­din­nen ihr über einen dunklen Punkt im Vor­le­ben ih­res Man­nes oder gar über ehe­li­che Flat­ter­haf­tig­keit klag­te, so wur­de sie ab­ge­fer­tigt mit der Mah­nung, auch an­de­ren Frau­en et­was zu gön­nen. Frei­lich ein Ge­dan­ke hät­te sie müs­sen stut­zig ma­chen: sie hat­te wäh­rend ih­rer Braut­zeit wie­der­holt mei­nen Va­ter be­fragt, ob er nicht, da er lang Jung­ge­sel­le ge­blie­ben, ir­gend­wo ein Kind be­sit­ze, sie wür­de es mit Freu­den über­neh­men und wie ein ei­ge­nes auf­zie­hen; er konn­te an der Zu­ver­läs­sig­keit ih­res Wor­tes nicht zwei­feln, denn sie hat­te an ei­nem un­ehe­li­chen Spröß­ling ih­res Er­zeu­gers nach des­sen Tode un­auf­ge­for­dert das glei­che ge­tan. Aber ihr Dich­ter hat­te im­mer mit Lä­cheln ver­si­chert, dass er nicht die­nen kön­ne. Doch an die­sen Wi­der­spruch konn­te sie jetzt nicht den­ken. Da war nur eins: ein Kind von ihm, ein un­be­kann­tes! Fünf hat­te sie be­ses­sen, ei­nes war ihr ge­nom­men, jetzt schick­te ihr eine gü­ti­ge Gott­heit spät noch den Er­satz. Sie fühl­te sich wie Sa­rah, die im höchs­ten Al­ter noch Mut­ter wird, und brei­te­te in­ner­lich schon weit die Arme aus, um das Ge­schenk­te zu emp­fan­gen.

      Ich schrieb zu­rück, dass ich al­ler­dings die­sel­be sei und dass ich bit­te, sich mir ganz frei und rück­halt­los an­zu­ver­trau­en. Mei­ne Mut­ter lebe und zwar mit mir; sie sei die groß­her­zigs­te al­ler Frau­en und die zärt­lichs­te al­ler Müt­ter, jede Erin­ne­rung an mei­nen Va­ter sei ihr hei­lig und sie habe in ih­rem Her­zen auch für das Au­ßer­ge­wöhn­li­che Raum; die Schrei­be­rin dür­fe über­zeugt sein, dass, was im­mer sie zu sa­gen habe, eine herz­li­che und ver­ständ­nis­vol­le Auf­nah­me fin­den wer­de. Die Rück­ant­wort brach­te eine wun­der­li­che Er­nüch­te­rung, schon durch die An­re­de »Lie­be Cou­si­ne« in Ver­bin­dung mit der Mit­tei­lung, dass und wie­so wir ent­fern­te Ver­wand­te sei­en (was na­he­zu alle Würt­tem­ber­ger un­ter­ein­an­der sind). Dann kam die Ent­hül­lung von dem ehe­ma­li­gen Ver­löb­nis mei­nes Va­ters mit der Mut­ter der Schrei­be­rin, das an dem Nein des er­hoff­ten Schwie­ger­va­ters schei­ter­te. Die Toch­ter schi­en zu glau­ben, dass die Auf­lö­sung des Ver­hält­nis­ses mei­nen Va­ter auf lan­ge Zeit hin­aus eben­so un­glück­lich ge­macht habe wie ihre Mut­ter. Sol­cher Fäl­le hat­ten sich je­doch in sei­nem Le­ben eine gan­ze Rei­he er­eig­net: so oft sich ein Mäd­chen­herz dem schö­nen und glän­zen­den jun­gen Dich­ter zu­wand­te, war er be­reit, den Herd zu grün­den; die be­tref­fen­den Schwie­ger­vä­ter aber fan­den, dass der Brenn­stoff un­ge­nü­gend sei, und die Töch­ter ent­sag­ten. So ging es auch mit der schö­nen Lina: sie hei­ra­te­te auf vä­ter­li­chen Be­fehl einen un­ge­lieb­ten Mann, mit dem ihr We­sen sich nicht ver­stand, und siech­te ne­ben ihm hin, im­mer des schö­nen ver­sag­ten Glückes ge­den­kend. Es wa­ren die pas­si­ven Frau­en­tu­gen­den des Ge­hor­chens und Ent­sa­gens, wozu das vo­ri­ge Jahr­hun­dert die hilf- und wil­len­lo­se Weib­lich­keit er­zog. Die arme Glück­lo­se war au­gen­schein­lich von fei­ne­rem Holz als ihre Vor­gän­ge­rin­nen, sie trug den Pfeil le­bens­lang im Her­zen und zog sich die Toch­ter zur Ver­trau­ten her­an, da­mit sie ihr trau­ern hel­fe. Ein rüh­ren­des klei­nes Idyll aus bie­der­mei­er­li­cher Enge, aber nicht ohne eine lei­se Ko­mik im Ge­gen­satz zu der all­um­fas­sen­den Men­sch­lich­keit mei­ner Mut­ter, die etwa an Fürs­ten­hö­fen des Mit­tel­al­ters, wo man die na­tür­li­chen Kin­der mit der näm­li­chen Sorg­falt ne­ben den ge­setz­li­chen auf­zog, ih­res­glei­chen fand. Welch ein Ab­stand zwi­schen die­sen bür­ger­li­chen Hau­stöch­ter­lein, die nichts ver­stan­den als ko­chen und nä­hen, und doch nicht wag­ten, das un­si­che­re Los des Ge­lieb­ten mit ih­rer Für­sor­ge zu be­glei­ten, und sei­nem Freifräu­lein, für die es Him­mels­glück be­deu­te­te, dass sie ge­wür­digt war, sei­ne Ent­beh­run­gen und Ge­fah­ren zu tei­len. – Was ich je­ner ar­men Wehr­lo­sen aber wahr­haft übel­nahm, war, dass sie auch spä­ter als Wit­we nie­mals dar­an dach­te, dem Schwer­ge­prüf­ten ein Zei­chen ih­res An­den­kens, wenn auch nur ein ar­mes Ver­giss­mein­nicht, das ihm viel­leicht ein au­gen­blick­li­ches Lä­cheln ab­ge­won­nen hät­te, zu­kom­men zu las­sen. Auch ihre Toch­ter er­zog sie nicht zu feu­ri­ger Be­geis­te­rung für den ver­kann­ten Dich­ter, nur zur Mit­kla­ge über ihr ei­ge­nes ver­fehl­tes Los. So ver­dien­te sie auch im Grund nichts Bes­se­res, als dass mein Va­ter sei­nem Ju­gend­freund Kaus­ler ge­gen­über den gan­zen Fall mit der Be­mer­kung ab­tat, es sei der dümms­te von al­len Poe­ten­strei­chen ge­we­sen.

      Ich über­ließ die Fort­set­zung des Brief­wech­sels mei­ner Mut­ter und zweifle nicht, dass ihre spen­den­de Schrei­be­hand auch über die­se Kluft eine Brücke ge­schla­gen ha­ben wird.

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