Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Die Briefe meiner Mutter! Es sei einmal an dieser Stelle davon die Rede. Unermüdlich spann sie damit ein Netz von Liebe über die darbende Welt. Jeder war ein Geschenk an den Empfänger, wie das Briefe immer sein müssten; wo sie eine einsame verkümmerte Seele wusste, dahin flog ein solches Geschenk; seitdem sie keinen Haushalt mehr zu führen und keine Kinder zu unterrichten hatte, blieb ihr ja Zeit in Menge. Es wäre falsch, diese Briefe geistvoll zu nennen, sie waren wogender Seelenstoff mit jeweils einem Blitz höheren Erkennens dazwischen. Mit klarster Schrift in engen Zeilen geschrieben, um möglichst viel auf eine Seite zu bringen, meist mit keinem anderen Datum als dem Wochentag, auf dem schlechtesten, billigsten Papier, das auf herumziehenden Karren zu finden war – nicht die Sparsamkeit allein, auch Rücksicht auf die armen Händler bestimmte die Wahl –, so gingen diese armgekleideten Apostel mit den ewigen Botschaften hinaus. Aber während die Damen der großen Welt ihre Nichtigkeiten mit der großen steilen Modehandschrift auf brettersteifes, mit Namenszug verziertes Leinen oder Bütten schrieben, dessen Gewicht nicht selten den Empfänger Strafgebühr kostete, zerfielen diese kostbaren Blätter oft schon nach einigen Jahren wegen Brüchigkeit des Papiers. Für ihre Kinder freilich waren diese Mutterbriefe auch verhängnisvoll, denn die Schreiberin tat sich keinen Zwang an, sondern schüttete alles aus, was sie bedrängte und was ihr durch den Sinn ging; man musste lernen sie richtig zu lesen. Wie viele bange Stunden haben mir diese geflügelten Boten in die Ferne gebracht, während die Absenderin die Lasten, die sie darin abgelegt hatte, bei ihrer großen Beweglichkeit oft schon selber gar nicht mehr spürte. Der einzige überlebende ihrer Söhne, Erwin, hat mit Bedauern alle diese Briefe vernichtet, weil sie ein falsches Bild von der Wirklichkeit gaben und mit allzu fantastischen Einfällen, nur den Eingeweihten auslegbar, durchkreuzt waren. Ich konnte mich zu dieser Opferung nicht entschließen. Aber ein Vers an sie, von meiner Hand geschrieben, den ich unlängst unter alten Papieren fand, rief mir diese Not lebhaft in Erinnerung:
Schütte dein Herz aus,
Aber verschütt’ es nicht,
Und was die Sorge spricht
Leg es als Scherz aus,
Dass aus den Blättern,
Wenn sie ein Ferner liest,
Mit deinen Lettern
Nur Freude fließt.
Offenbar war es eines der jährlichen Geburtstagsgedichtchen, womit ich irgendein kleines Geschenk zu begleiten pflegte, und in diesem Fall kann die Gabe nur in anständigem Briefpapier bestanden haben.
Als ich fünfzehn Jahre nach ihrem Tode zum ersten Mal wagte, ein Bündel ihrer Briefe zu öffnen, da flog die Tür auf und sie mit einem Jubelschrei an meinen Hals, und ich verstand wieder alle die Macht, die sie auf ihre Umgebung geübt hatte. Und zugleich füllte sich der Raum mit lauter vertrauten Gestalten, die mit dazu gehörten und eine stärkere Gegenwart besaßen als alle jetzt Lebenden. Da war es eine Pein, zu keinem von ihnen sprechen zu können, denn ach, sie wussten nur noch von ihren Tagen und nichts mehr von den meinigen.
1 Dass in einem anderen dieser Briefe Heyse irrtümlicherweise ein von Alfred schlecht bestandenes Examen dem aus jeder Prüfung mit Glanz hervorgegangenen Edgar zuschrieb, war ihr ein zweiter Stachel, für dessen Beseitigung ich zu sorgen versprach. Da es mir nicht vergönnt ist, ihre Wünsche zu erfüllen, lege ich zur Versöhnung ihrer Manen die Berichtigung an dieser Stelle nieder. <<<
Dreizehntes Kapitel – Wir begründen ein Weltbad
Mein Haus, mein Haus am Meer.
Auch heute türmen
Die Marmoralpen schimmernde Pastelle
In deinem Rücken auf und draußen breitet
Sich tiefblau, endlos die Tyrrhenerwelle.
Du träumst den Segeln nach die ferne streichen,
Und an den Zauberinseln hängt dein Blick,
Die mein Erinnern Tag und Nacht umflügelt.
Es kann der Wunsch, wie glühend er sie male,
Die Schönheit, die lebendige, nicht erreichen.
Dort über Serravezza flammt im Stein
Durch all das Weiß die offne rote Wunde,
Und Wälder legen kühlend sich hinein,
Doch in der Berge weißen Flanken schläft
Die ungeborne Welt der Kunst, und oftmals
Am Abend rottet wie von innrer Glut
Sich das Gestein, als rief’ es ungeduldig.
Es sinkt der Tag und wir sind unerlöst.
Glückseliger Strand, Gestade der Entrückten,
Schien wie der Ort, wo frei von irdischer Schwere
Die Helden und die Liebenden sich finden,
Wo fern der Zeit Achill und Helena
Im Schein versäumten Erdenglücks sich sonnen.
Ihr Sommer, deren Stunden leicht wie Träume
Der Himmlischen um unsere Stirn zerronnen!
In immer gleicher Fülle lebten wir
Unalternd, unsre Leiber waren Dinge
Aus Licht und Luft, die Sonne schien hindurch.
O Sonnenglühtrank,