Gesammelte Werke. Isolde Kurz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Isolde Kurz страница 220
In den Weihnachtstagen schickte mir Freund Carlo ein feingestochenes Kärtchen, das ihm von den Angehörigen verehrte Sterbebild Tecla Vandas, und schrieb, dass er sie noch einmal gesehen habe. In der Christnacht sei sie, umgeben von Cherubim, durch die Wolken vorübergebraust und habe ihm einen Gruß herabgewinkt.
Ich fügte der fertigen Ballade noch eine Strophe hinzu, die ich ihm schickte:
In der Christnacht hört er’s noch einmal ziehn
Durch die Lüfte mit brausenden Hufen:
Die Kavalkade der Cherubim,
Draus hat ihm Tecla gerufen.
Die sterbenden Frauen waren überhaupt ein Sonderfach, das dieser wunderliche Künstlergeist unter den Ärzten mit Vorliebe pflegte, denn er liebte die Frauen, nicht nur die jungen und schönen, sondern das ganze Geschlecht an sich. Irgendeiner armen glücklosen Seele die letzte Stunde zur schönsten ihres Lebens zu machen, ihr den Übergang durch die Fantasie zu verklären, dafür erfand er immer neue zärtliche Formen: die eine führte er im bewimpelten Boot hinweg, die andere ließ er in einem glückseligen Waldspaziergang zu zweien, wofür er ihr eine dichte Mooslage unter die Füße und Waldkräuter unter das Kopfkissen schob, die Seele verhauchen. Solche Kräuter, in Wald und Wiesen gepflückt, trug er immer frisch in der Tasche und erquickte damit den Schlaf seiner Fieberkranken, dass sie das Bett vergaßen und sich in das Grün der Wälder und Felder hinausträumten. – Meine Ballade »Peregrinas Schlaflied«, zuerst unter dem Titel »Euthanasia« in der »Jugend« gedruckt, geht gleichfalls auf den Einfluss der von dem ärztlichen Freunde geübten Euthanasie zurück; sie ist dichterisch vollkommener geraten als die »Kavalkade«, weil sie keine Züge der Wirklichkeit, die im anderen Falle bestimmend waren, mitzuführen brauchte.
Es versteht sich, dass ein solcher Frauenlob nicht nur mit den sterbenden Frauen sich abgab. Ihm gefielen alle. Es gab für ihn eigentlich keine hässliche Frau. An jeder Vorübergehenden entdeckte er eine Schönheit, und wenn sie gar nichts für sich hatte als einen anmutigen Gang, so entzückte ihn dieser. Und es versteht sich ebenfalls, dass ihm seine Gefühle noch feuriger zurückgegeben wurden, woraus sich die vielen kleinen Dramen entwickelten, aus denen er sich ebenso leicht wieder herauswickelte, denn in der Nähe solcher Naturen gibt es keine Tragik. Man könne die Frauen nur ein Stück weit tragen, meinte er, dann machten sie sich allemal schwer und man müsse sie wieder absetzen. Wenn die also Abgesetzten ihre Klagen erhoben, so tröstete er sein Gewissen damit, dass sich doch eine jede früher oder später wie alle ihre Vorgängerinnen, wenn sie in irgendeine ernstliche Not geriet und eines Helfers bedurfte, wieder an ihn wenden würde, und nie vergebens. Man konnte ihn dem Gösta Berling vergleichen, der an jedem Finger ein Frauenwesen hängen hat und doch immer allein bleibt. – Einmal hatte er sich auf Mütterleins Zureden zu einer reichen Witwe entschlossen. Allein er war so zerstreut, dass er die Verlobung vergaß und ohne es böse zu meinen der Braut keine Zeile mehr schrieb, bis sie die Geduld verlor und ihm seinen Ring zurückschickte, worüber er sich freute wie über ein großes Geschenk. Den von ihr empfangenen, den er nicht getragen hatte, betrachtete er bei dieser Gelegenheit zum ersten Male genau und fand, dass wer einen so protzigen Diamanten schenke, gewiss kein guter Mensch sei.
*
An einem der glücklichen Sommer von Forte – oder waren es zwei? – erschien auch D’Annunzio unter den Badegästen. Er wohnte auf einer älteren landeinwärts gelegenen Villa – mit der Duse, so hieß es, die aber nie zum Vorschein kam –, und mit Pferden von edelster Zucht, sowie ebensolchen Hunden, einer ganzen Meute, die zuweilen mit ihrem Getobe den Übergang über den Fiumetto wehrten.
Vor allen andern Dichtern jener Tage war er der wahre Exponent und zugleich der großartigste Auswuchs des Zeitgeistes. Sein bacchantischer Ruf: Gioire! Gioire! (genießen!) schlug in der Jugend