Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Isolde Kurz страница 220

Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

Скачать книгу

ihr das ein­tre­ten­de Ohrenklin­gen als eine herr­li­che, auf sie war­ten­de Fest­mu­sik. Un­ter sei­ner Sug­ge­s­ti­ons­kraft sah sie al­les, was er sie se­hen las­sen woll­te: sich selbst in wei­ße schlep­pen­de Sei­de ge­klei­det, mit Blu­men im Haar, an sei­nem Arm den Fest­saal be­tre­tend, wo Her­ren und Da­men sie an ge­schmück­ter Ta­fel be­grüß­ten. Auf ihre ängst­li­che Fra­ge, wie sie in die vor­neh­me Ge­sell­schaft kom­me, be­ru­hig­te er sie, dass ihre ei­ge­ne vor­neh­me Ab­kunft ent­deckt sei und ihr Va­ter nicht län­ger der arme Fuhr­mann, der er bis­her ge­we­sen, son­dern ein rei­cher Ma­jo­rats­herr, der jetzt sei­ne Be­sit­zun­gen zu­rück­er­hal­ten habe. Alle die­se ed­len Da­men und Her­ren sei­en nur zu ih­rem Empfang er­schie­nen. Er sel­ber, ihr Rit­ter, brach­te den ers­ten Trink­spruch auf Te­cla Van­da als Kö­ni­gin des Fes­tes aus und nö­tig­te ihr noch mehr von dem ver­wir­ren­den Ge­trän­ke auf, wäh­rend die Gäs­te sie mit er­ho­be­nen Glä­sern um­dräng­ten. Dem ar­men Kind schwank­ten die Sin­ne in ei­ner Ek­sta­se von Lie­be, Stolz und Se­lig­keit. Auch das plötz­li­che Schar­ren und Schnau­ben des Klep­pers im Stall, der nebst dem Fuhr­manns­kar­ren der ein­zi­ge Be­sitz des Hau­ses war, durf­te den se­li­gen Zau­ber nicht bre­chen: zwei Ros­se edels­ter Zucht, von ei­nem Pa­gen ge­hal­ten, stan­den im Hof und war­te­ten auf die schö­ne Rei­te­rin. Er hob sie aufs Pferd, be­stieg das an­de­re und führ­te sie in brau­sen­dem Ritt, der zu­letzt durch die Lüf­te ging, aus dem Fest­ju­bel, aus der Stadt und aus dem Le­ben hin­aus. Die Ein­bil­dungs­kraft und Dar­stel­lungs­ga­be die­ses Man­nes wa­ren so au­ßer­or­dent­lich, dass auch die An­ge­hö­ri­gen und eben­so er sel­ber von dem glei­chen Rausch er­fasst wur­den wie die arme Te­cla. Alle horch­ten sie atem­los auf den ver­hal­len­den Huf­schlag der Pfer­de und sa­hen die Rei­te­rin in den Lüf­ten ent­schwin­den. Noch im­mer wäh­rend er mir den Vor­gang mit man­cher­lei aus dem Zu­sam­men­spie­len von Traum und Wirk­lich­keit ent­sprun­ge­nen Ein­zel­hei­ten er­zähl­te, stand er völ­lig un­ter dem Ban­ne des Er­leb­ten und fand nicht Wor­te ge­nug, die ihn sel­ber über­ra­schen­de Wir­kung des plötz­li­chen Ein­bruchs der Fan­ta­sie in ein ganz un­be­bau­tes, bis­her nur von All­tag­s­ein­drücken er­füll­tes See­len­le­ben zu schil­dern. Ich sag­te, er habe eine Dich­tung ge­lebt, um die ihn ein Dich­ter be­nei­den kön­ne; ich wol­le jetzt ver­su­chen, ihr eine be­stän­di­ge­re Form zu ge­ben, da­mit sie die­sen Abend über­dau­ern kön­ne, und schrieb da­nach das Ge­dicht »Die Ka­val­ka­de«. Er hat­te mich noch ge­be­ten, Ed­gar ja nichts von dem Vor­ge­fal­le­nen zu sa­gen, denn er scheu­te sich mit sei­nen me­di­zi­ni­schen Flun­ke­rei­en im­mer ein we­nig vor des Freun­des stren­ger wis­sen­schaft­li­cher Sach­lich­keit. Aber ich kann­te die Dich­ter­see­le mei­nes Bru­ders bes­ser: der Ster­be­traum Te­clas tat es ihm eben­so an wie mir, als ich ihm die Sze­ne er­zähl­te.

      In den Weih­nachts­ta­gen schick­te mir Freund Car­lo ein fein­ge­sto­che­nes Kärt­chen, das ihm von den An­ge­hö­ri­gen ver­ehr­te Ster­be­bild Te­cla Van­das, und schrieb, dass er sie noch ein­mal ge­se­hen habe. In der Christ­nacht sei sie, um­ge­ben von Che­ru­bim, durch die Wol­ken vor­über­ge­braust und habe ihm einen Gruß her­ab­ge­winkt.

      Ich füg­te der fer­ti­gen Bal­la­de noch eine Stro­phe hin­zu, die ich ihm schick­te:

       In der Christ­nacht hört er’s noch ein­mal ziehn

       Durch die Lüf­te mit brau­sen­den Hu­fen:

       Die Ka­val­ka­de der Che­ru­bim,

       Draus hat ihm Te­cla ge­ru­fen.

      Die ster­ben­den Frau­en wa­ren über­haupt ein Son­der­fach, das die­ser wun­der­li­che Künstl­er­geist un­ter den Ärz­ten mit Vor­lie­be pfleg­te, denn er lieb­te die Frau­en, nicht nur die jun­gen und schö­nen, son­dern das gan­ze Ge­schlecht an sich. Ir­gend­ei­ner ar­men glück­lo­sen See­le die letz­te Stun­de zur schöns­ten ih­res Le­bens zu ma­chen, ihr den Über­gang durch die Fan­ta­sie zu ver­klä­ren, da­für er­fand er im­mer neue zärt­li­che For­men: die eine führ­te er im be­wim­pel­ten Boot hin­weg, die an­de­re ließ er in ei­nem glück­se­li­gen Wald­spa­zier­gang zu zwei­en, wo­für er ihr eine dich­te Moos­la­ge un­ter die Füße und Wald­kräu­ter un­ter das Kopf­kis­sen schob, die See­le ver­hau­chen. Sol­che Kräu­ter, in Wald und Wie­sen ge­pflückt, trug er im­mer frisch in der Ta­sche und er­quick­te da­mit den Schlaf sei­ner Fie­ber­kran­ken, dass sie das Bett ver­ga­ßen und sich in das Grün der Wäl­der und Fel­der hin­austräum­ten. – Mei­ne Bal­la­de »Pe­re­gri­nas Schlaf­lied«, zu­erst un­ter dem Ti­tel »Eutha­na­sia« in der »Ju­gend« ge­druckt, geht gleich­falls auf den Ein­fluss der von dem ärzt­li­chen Freun­de ge­üb­ten Eutha­na­sie zu­rück; sie ist dich­te­risch voll­kom­me­ner ge­ra­ten als die »Ka­val­ka­de«, weil sie kei­ne Züge der Wirk­lich­keit, die im an­de­ren Fal­le be­stim­mend wa­ren, mit­zu­füh­ren brauch­te.

      Es ver­steht sich, dass ein sol­cher Frau­en­lob nicht nur mit den ster­ben­den Frau­en sich ab­gab. Ihm ge­fie­len alle. Es gab für ihn ei­gent­lich kei­ne häss­li­che Frau. An je­der Vor­über­ge­hen­den ent­deck­te er eine Schön­heit, und wenn sie gar nichts für sich hat­te als einen an­mu­ti­gen Gang, so ent­zück­te ihn die­ser. Und es ver­steht sich eben­falls, dass ihm sei­ne Ge­füh­le noch feu­ri­ger zu­rück­ge­ge­ben wur­den, wor­aus sich die vie­len klei­nen Dra­men ent­wi­ckel­ten, aus de­nen er sich eben­so leicht wie­der her­aus­wi­ckel­te, denn in der Nähe sol­cher Na­tu­ren gibt es kei­ne Tra­gik. Man kön­ne die Frau­en nur ein Stück weit tra­gen, mein­te er, dann mach­ten sie sich al­le­mal schwer und man müs­se sie wie­der ab­set­zen. Wenn die also Ab­ge­setz­ten ihre Kla­gen er­ho­ben, so trös­te­te er sein Ge­wis­sen da­mit, dass sich doch eine jede frü­her oder spä­ter wie alle ihre Vor­gän­ge­rin­nen, wenn sie in ir­gend­ei­ne ernst­li­che Not ge­riet und ei­nes Hel­fers be­durf­te, wie­der an ihn wen­den wür­de, und nie ver­ge­bens. Man konn­te ihn dem Gös­ta Ber­ling ver­glei­chen, der an je­dem Fin­ger ein Frau­en­we­sen hän­gen hat und doch im­mer al­lein bleibt. – Ein­mal hat­te er sich auf Müt­ter­leins Zu­re­den zu ei­ner rei­chen Wit­we ent­schlos­sen. Al­lein er war so zer­streut, dass er die Ver­lo­bung ver­gaß und ohne es böse zu mei­nen der Braut kei­ne Zei­le mehr schrieb, bis sie die Ge­duld ver­lor und ihm sei­nen Ring zu­rück­schick­te, wor­über er sich freu­te wie über ein großes Ge­schenk. Den von ihr emp­fan­ge­nen, den er nicht ge­tra­gen hat­te, be­trach­te­te er bei die­ser Ge­le­gen­heit zum ers­ten Male ge­nau und fand, dass wer einen so prot­zi­gen Dia­man­ten schen­ke, ge­wiss kein gu­ter Mensch sei.

      *

      An ei­nem der glück­li­chen Som­mer von For­te – oder wa­ren es zwei? – er­schi­en auch D’An­nun­zio un­ter den Ba­de­gäs­ten. Er wohn­te auf ei­ner äl­te­ren land­ein­wärts ge­le­ge­nen Vil­la – mit der Duse, so hieß es, die aber nie zum Vor­schein kam –, und mit Pfer­den von edels­ter Zucht, so­wie eben­sol­chen Hun­den, ei­ner gan­zen Meu­te, die zu­wei­len mit ih­rem Ge­to­be den Über­gang über den Fi­u­met­to wehr­ten.

      Vor al­len an­dern Dich­tern je­ner Tage war er der wah­re Ex­po­nent und zu­gleich der groß­ar­tigs­te Aus­wuchs des Zeit­geis­tes. Sein bac­chan­ti­scher Ruf: Gioire! Gioire! (ge­nie­ßen!) schlug in der Ju­gend

Скачать книгу