Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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An jenem Sommer begegnete Freund Fasola vor dem Dorf einem Bäuerlein, das mit einem verdeckten Korb aus der Berggegend herunterkam und sich bei ihm nach dem Wohnsitz der Signora Nunzia erkundigte. Fasola, der von dieser Dame nichts gehört hatte, fragte seinerseits nach dem Zweck der Frage, da deckte der Landmann eine Birne von ungeheurem Umfang auf und sagte, diese Riesenfrucht sei in seinem Baumgut gewachsen, aber da oben könne sie niemand bezahlen, deshalb habe man ihm geraten, sie der Signora Nunzia unten am Strande zu bringen, das sei eine sehr großspurige und auf alles Außerordentliche erpichte Dame, die sie ihm gewiss abnehmen werde. Nun wusste der Frager Bescheid, riet jedoch dem Bäuerlein, sich das Suchen nach besagter Dame zu sparen und lieber ihm die Birne zu verkaufen, da auch er ein Liebhaber von großen Dingen sei. So kam die Luxustafel des Dichters an jenem Tage um eine Merkwürdigkeit. Ich erzähle den Spaß nicht des Spaßes halber, sondern als Warnung für die Ruhmgierigen: unten am Strand der Dichter Italiens, der »Poeta« – d. h. der einzige, der neben Dante mit dem großen P geschrieben wurde – und wenige Kilometer landeinwärts eine von Größensucht besessene Dame Nunzia! –
Die Duse! Nachdem ihr Name genannt ist, bleibe ich einen Augenblick stehen, ihr die gebührende Huldigung zu erweisen. In dieser Zeitgestalt hat die Jahrhundertwende ihren weiblichen Ausdruck gefunden wie in D’Annunzio ihren männlichen, auf dessen herrischen Ruf »Gioire!« sie mit dem verzückten Gegenruf »Servire!« Antwort gab. Arme, arme Duse! Williges Opfer letzter furchtbarster Hörigkeit!
Die Duse gehört nicht mehr in das Heldenzeitalter der italienischen Schauspielkunst, ein breiter Trennungsstrich schied sie von dem Tommaso Salvinis. Zwar hatte sie in ihren größten Augenblicken wie dieser noch den Urlaut und den jähen Ansprung der Leidenschaft, aber im übrigen spielte sie Nerven; der große Stil war durch den Zeitgeschmack zerfasert, aus ihren Rollen hatte sie ihn nicht lernen können. Was sie darstellen musste, war fin de siècle, Problematik, bürgerliche Dekadenz. Aber sie leerte ihre öden Rollen aus von dem Kitsch und tat Menschentum hinein, ihr ganzes gequältes Frauentum. Man muss sie gesehen haben, wie sie als Marguerite Gautier von ihrem Liebesnest Abschied nimmt, jeden Gegenstand, woran ein Glückserinnern hängt, noch streichelnd, hastig, fahrig wie ein hinausgejagtes Kind. Es konnte nichts Herzzerreißenderes geben. Dass sie sich spät noch an die Kleopatra wagte, kann nur ein Fehlgriff gewesen sein, und es ist mir lieb, sie nicht in dieser Rolle gesehen zu haben, wie sehr auch ihre Bewunderer sie priesen; für Shakespeare reichten ihre Maße nicht aus. Gewiss verfügte sie über alle Verführung und alle Gefährlichkeit der königlichen Kurtisane, aber Kleopatra war mehr als das, sie war auch eine Königin und eine politische Frau. Woher den großen weltgeschichtlichen Atem nehmen? Und wer besaß ihn unter den Zeitgenossen? Dagegen sah ich sie spät einmal in ihrem höchsten Glanze – in Goldonis »Locandiera«. Sie war zwar alles eher als das jugendlich mutwillige Geschöpf des Dichters, sondern ganz und gar ihre eigene Schöpfung: die reife, schon leise vom Altern gestreifte, aber desto berückendere, mit allen Wassern getaufte Frau, das Urbild italienischer Grazie und malizia. Man hätte müssen für das grüne Bürschlein bangen, das diese entzückende Schlange sich zum Gatten erkürt, wenn man überhaupt eine andere Gestalt auf der Bühne neben ihr gesehen hätte.
Ich hatte nur einmal die Freude, einige Worte mit Eleonora Duse zu wechseln, und zwar in Florenz bei einer Begegnung auf der Straße, wo meine Fili uns rasch bekannt machte. Sie klagte über den Ungeist ihrer Italiener, der aber der Ungeist der Zeit war. Ich antwortete zum Trost, jeder habe es mit seinen Landsleuten. O ich hab es schrecklich mit den meinigen, war die Antwort; sie fühlte sich trotz ihres Weltruhms um das Beste ihres Könnens verkürzt. Man musste sie sogleich lieben; es war um ihre wundervolle Persönlichkeit gar keine Theaterluft, nur die Ausströmung einer edlen, innerlich echten Frauennatur. Den Besuch, den sie uns, das heißt meiner kranken Mutter, die mit mir zusammenlebte, zugedacht hatte, aber ihrer Nerven wegen nicht ausführte, habe ich ihr viele Jahre später in Asolo zurückgegeben, als ich auf dem hochgelegenen Friedhof an der schrecklich lastenden Grabplatte stand, die keine Inschrift außer dem großen Namen trägt. Die Arme, als wäre ihr die Erde nicht schwer genug gewesen! An einem Haus in Asolo ist eine Gedenktafel zu lesen, die die große Künstlerin als drittgeborene Tochter von San Marco feiert, ein Gedanke, den die hochragende Burg der Caterina Cornaro, oberhalb der Häuserzeile, eingegeben haben mag. Der Stil verrät den Verfasser: es war das Letzte, was er der einstigen Freundin tat, ihr den klingenden Titel für ihren Einzug in die Unsterblichkeit finden.
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Jede Menschenseele scheint für eine bestimmte Jahreszeit vorzugsweise geschaffen, wo sie sich in den atmosphärischen Bedingungen am wohlsten fühlt. Die meinige war an den Sommer gebunden, an seine höchsten mittäglichen Gluten. Da kamen sie zu mir, meine Mittagsgespenster, um die Stunde, wo drinnen im Lande der Große Pan auf den glühenden Feldern schläft und alles Unsichtbare mächtiger wird. Der Strand, der unsere Häuser trug, war Schwemmland und hatte noch keine Geschichte wie die Städte und Städtchen und Burgen im Hinterland, die von historischen Erinnerungen strotzten. Hier konnten sich Böcklins Tritonen und handfeste Meerweiber in den Sturzwellen überpurzeln (was