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       Mor­gen kön­nen wir’s nicht mehr,

       Da­rum lasst uns heu­te le­ben –

      der Him­mel wie­der hell und der müt­ter­li­che Puls in Ruhe. Das Schöns­te war je­des Mal nach aus­ge­tob­tem Sturm die ers­te Mor­gen­frü­he, wenn der tol­le Kra­ken sich wie­der in sein Bet­te zu­rück­ge­zo­gen hat­te und nur noch in nach­ko­chen­dem Groll mit dem Schwanz die Küs­ten­bö­schung schlug, wäh­rend der wie­der­be­ru­hig­te See­wind die ge­ball­ten Schaum­flo­cken wie lau­ter klei­ne wei­ße Mäu­se am Ufer hu­schen ließ. An den feuch­ten Abla­ge­run­gen konn­te man se­hen, wie weit das Meer bei Nacht her­aus­ge­tre­ten war. Jede an­ge­rausch­te große Woge hin­ter­ließ einen fei­nen brau­nen Tang­strei­fen, einen hin­ter dem an­de­ren, oft mit zier­vol­len, dem reichs­ten Spit­zen­werk glei­chen­den Zeich­nun­gen ge­säumt. Denn die Na­tur mag nicht ger­ne et­was un­ge­schmückt las­sen, auch nicht die Aus­brü­che ih­rer Wut, und oft­mals habe ich mir einen Zeich­ner zur Stel­le ge­wünscht, der die Ge­duld hät­te, alle die­se köst­li­chen Mus­ter für Sti­cke­rei­en und an­de­re kunst­ge­werb­li­che Ar­bei­ten fest­zu­hal­ten. Zu­wei­len auch war der feuch­te­re Sand am Was­ser hin mit ei­nem ge­flamm­ten oder ge­wäs­ser­ten Mus­ter in groß­ar­ti­gen Li­ni­en wie ein moi­rier­ter Sei­den­stoff ge­zeich­net, ein Be­weis, dass der mensch­li­che Geist auch nicht das kleins­te Ne­ben­ding er­fin­den kann, wozu die Vor­la­ge nicht in der Na­tur vor­han­den wäre.

      Da fand man auch ne­ben den wüs­ten, an weiß­um­wall­te Grei­sen­köp­fe er­in­nern­den Qual­len, die das Meer nach sei­nen nächt­li­chen Be­su­chen in Men­gen aus­speit, noch reich­li­cher als jetzt die man­nig­fach ge­form­ten und ge­färb­ten Mu­scheln, ge­wun­de­ne, ge­rief­te, glat­te, dar­un­ter die ganz dün­nen, zart­wan­di­gen, ro­sa­ro­ten, die sich in Blu­men­scha­len zu Ro­set­ten ord­nen lie­ßen, und das al­ler­lie­bens­wür­digs­te Ge­bil­de, die wei­ßen glöck­chen­ar­ti­gen, die sich mas­sen­haft an Holz­stück­chen an­sam­meln, wo sie große Sträu­ße bil­den, und die bei dem Strand­volk den poe­ti­schen Na­men mughet­ti del mare (Maiglöck­chen des Mee­res) die­ser täu­schen­den Ähn­lich­keit we­gen füh­ren. Ne­ben den Sees­ter­nen, die bei je­der Sturm­flut in Men­gen aus­ge­wor­fen wer­den, fand man auch ge­le­gent­lich noch die jetzt ganz ver­schwun­de­nen ent­zücken­den See­pferd­chen, die die Vor­stel­lung er­reg­ten, als müss­ten sich drun­ten in den blau­en Tie­fen kris­tal­le­ne Kin­der­gär­ten be­fin­den, wo die Klei­nen der Meer­menschen sich mit so köst­li­chem Spiel­zeug ver­gnüg­ten. Die aus­ge­wor­fe­ne Schul­pe der Se­pia gab mü­ßi­gen Künst­ler­hän­den An­lass, leich­te Zeich­nun­gen in ihr ge­brech­li­ches Ge­wän­de zu rit­zen, ein Spiel, worin sich be­son­ders Hil­de­brand, der nie­mals gänz­lich fei­ern konn­te, un­er­müd­lich ge­fiel.

      *

      Mehr als die plötz­lich her­ein­bre­chen­den Tra­gö­di­en des Mee­res, auf die man je­den Som­mer ge­fasst sein muss­te, er­schüt­ter­te mich je­des Mal in der Fe­ri­en­zeit ein Elends­zug, der sich ein­mal im Tage den Strand ent­lang be­weg­te und mich an je­nen Zug der Wai­sen­kin­der er­in­ner­te, an dem mein Kind­heits­glück zer­brach. Die Un­glück­li­chen, die da hilflo­sen Schrit­tes ein­an­der hal­tend auf dem un­glei­chen Sand­bo­den hin­stol­per­ten, wa­ren noch är­me­re Wai­sen­kin­der, sie wa­ren die Wai­sen des Son­nen­lichts. Es war mir im­mer, als müss­te ich je­den ein­zel­nen die­ser Beraub­ten um Ver­zei­hung bit­ten, dass ich im Über­schwang be­saß, wo­von ih­nen nur der Atem der Fer­ne die al­ler­schwächs­te, sehn­süch­tigs­te Ah­nung ver­mit­teln konn­te. Und doch ver­moch­te ich nicht ein­mal ih­ren An­blick aus der Nähe zu er­tra­gen. Ich wuss­te mich nicht an­ders ge­gen die Er­sti­ckung zu weh­ren, als in­dem ich sie durch Wort und Reim zu ban­nen such­te; frei­lich eine Er­lö­sung, die nur mir, nicht ih­nen zu­gu­te kam. Un­ter al­ten Pa­pie­ren fin­de ich ein Zeug­nis die­ses Ein­druckes auf­be­wahrt.

       Am Mit­tags­meer bei der Süd­son­ne Glast

       Was wan­delt ein Zug bei den Hän­den ge­fasst?

       Män­ner und Frau­en mit schwan­ken­dem Schritt,

       Voran zwei Non­nen im grau­en Ha­bit.

       Wird ei­ner ge­trof­fen vom jä­hen Schwall,

       So weicht er und mit ihm wei­chen sie all,

       Als ob ein Fa­den un­sicht­bar

       Hiel­te und zöge die gan­ze Schar.

       Die Blin­den sin­d’s, sie wan­deln in Nacht

       Durch des Lich­tes ver­zeh­ren­de Über­macht.

       Wo Meer und Him­mel in Won­ne strahlt,

       Dass die ferns­te In­sel dem Blick sich malt,

       Wo Se­gel sich blä­hen in pur­pur­nem Glanz

       Und Wim­pel schil­lern wie Fal­ter­tanz,

       Wo Käh­ne zie­hen be­flü­gelt und leicht,

       Wie der Schwan durch schim­mern­de Was­ser streicht,

       Wo der Son­ne Gold­netz in blau­er Flut

       Mit zit­tern­den Ma­schen am Grun­de ruht –

       Da tas­ten sie trau­rig und se­hen nichts

       Vom Fes­te der Au­gen, vom Sieg des Lichts!

       Und dir wird, See­le, zum Ster­ben bang,

       Als gingst auch du den ver­lo­re­nen Gang,

       Als fühl­test du schau­ernd der Flut Ge­walt,

       Doch sähst nicht die Wel­le, die schön her­wallt,

       Und strau­chel­test licht­los, von Licht um­gleißt,

       Durch Wel­ten von Glück, ein ent­erb­ter Geist.

      Ich zweifle, ob and­re ähn­lich emp­fan­den; es ist nicht je­dem auf­er­legt, see­lisch in frem­des Ge­schick hin­ein­ge­saugt zu wer­den, wie es le­bens­lang bei mir der Fall war. Aber kann der ein Dich­ter sein, der sich nicht eins fühlt mit al­lem was lebt?

      *

      Mit im­mer grö­ße­rer Ge­schwin­dig­keit ver­mehr­te sich die Nie­der­las­sung, die mit un­se­ren drei klei­nen Strand­häus­chen be­gon­nen hat­te. Im Rücken un­se­rer Häu­ser­zei­le ent­stand be­reits eine zwei­te, die zu­nächst auf das Dorf zu­streb­te, der heu­ti­ge Via­le Mo­rin. Aber auch das Dorf wach­te auf und wuchs uns ent­ge­gen. Die vie­le Ar­beit hat­te Geld ins Land ge­bracht und die Un­ter­neh­mungs­lust ge­weckt. Zwi­schen die Fa­mi­li­en­vil­len scho­ben sich Miet­häu­ser und bald auch Pen­sio­nen für Som­mer­gäs­te. Land­leu­te brach­ten ihre Er­zeug­nis­se an den Strand her­un­ter, und mit

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