Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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zwang ihn, von dem dä­mo­ni­schen Un­ter­grund al­les Da­seins, der Elend und Schuld ge­biert, die Au­gen ab­zu­wen­den, dem Ver­nunft­wi­dri­gen aus dem Wege zu ge­hen. Er stand so­gar sol­chen Ver­wick­lun­gen, wie er sie in sei­nen Wer­ken dar­zu­stel­len lieb­te, im bür­ger­li­chen Le­ben schroff ge­gen­über, wie mir üb­ri­gens ähn­li­ches auch von Ib­sen er­zählt wor­den ist. Ging doch sein Sinn für das Her­kom­men so weit, dass er es rich­tig fand, sei­ne ei­ge­nen Ro­ma­ne, die da­mals für sehr frei und den ganz Zu­rück­ge­blie­be­nen so­gar für un­mo­ra­lisch gal­ten, jun­gen Mäd­chen lie­ber nicht in die Hand zu ge­ben. Von dem al­lem war der Geist, in dem ich auf­ge­zo­gen wor­den, fast das ge­ra­de Ge­gen­teil, und un­se­re Ge­sprä­che en­de­ten da­her meis­tens in ein klei­nes Schar­müt­zel. So war ihm auch mein ro­man­ti­scher Na­po­le­on­kul­tus höch­lich zu­wi­der, und er konn­te sich bis zum Zorn, ja bis zur Ableug­nung der ti­ta­ni­schen Grö­ße da­ge­gen er­ei­fern. Zwi­schen Gleich­alt­ri­gen hät­ten die Ge­gen­sät­ze zu ei­nem frucht­ba­ren Aus­tausch ge­führt, al­lein mei­ner Ju­gend stand ein Fer­ti­ger ge­gen­über, der sich die Welt auf sei­ne Art aus­ge­legt und sein Welt­bild der nä­he­ren und fer­ne­ren Um­ge­bung, ja, man kann wohl sa­gen, ei­ner gan­zen li­te­ra­ri­schen Epo­che sei­nes Va­ter­lan­des auf­ge­zwun­gen hat­te. Ich fühl­te es auch bald sel­ber, dass mein an­fäng­lich ganz un­be­fan­ge­ner Wi­der­spruch wie Un­dank­bar­keit er­schei­nen konn­te – und be­ginnt nicht jede Ent­wick­lung mit ei­ner Auf­leh­nung und ei­nem Un­dank? – Da­rum hielt ich es nun, wo ich nicht mit­ge­hen konn­te, für pas­sen­der, zu schwei­gen, aber das ver­letz­li­che Ge­wis­sen ließ mich die­ses Ver­stum­men als Unauf­rich­tig­keit emp­fin­den und mach­te mich als­dann be­klom­men. So hat­te ich von sei­ner Ge­gen­wart häu­fig nicht den Voll­ge­nuss, den mir sonst der An­blick ei­ner so sieg­haf­ten Per­sön­lich­keit be­rei­tet hät­te. Ganz wun­der­voll war Hey­ses Auf­tre­ten bei ge­sell­schaft­li­chen Emp­fän­gen; ich dach­te oft, dass hin­ter dem Dich­ter ei­gent­lich ein ho­her Di­plo­mat ste­cke, und wahr­lich, wenn sol­che nicht an­ge­lern­te, son­dern aus dem In­ners­ten flie­ßen­de Wür­de und Höf­lich­keit in Deutsch­land eine ver­brei­te­te­re wäre, so stän­de es bes­ser um das An­se­hen der Deut­schen in der Welt.

      Grund­ver­schie­den von Hey­se und doch ihm aufs in­nigs­te be­freun­det war mein en­ge­rer Lands­mann, der von al­len ge­lieb­te Dich­ter Wil­helm Hertz. Ein Stück edels­ten Schwa­ben­tums, wur­zelecht wie ein Erz­schwa­be, aber ins Welt­schwa­ben­tum er­wei­tert und er­höht. Die Uh­land­sche Geis­tes­welt war in ihm wie­der­ge­bo­ren, nur ohne den Zug ins Alt­bür­ger­li­che und ohne po­li­ti­sche Rich­tung, ganz aufs Schö­ne ge­wen­det. Jene edle Grenz­mark der Poe­sie und Wis­sen­schaft, in der man so tie­fe, be­frei­te Atem­zü­ge tun konn­te. Wo er er­schi­en, da ström­te sei­ne un­ter­setz­te Ge­stalt mit dem kei­nes­wegs schö­nen aber männ­li­chen Ge­sicht eine Ruhe und Si­cher­heit aus, die wie un­mit­tel­bar aus dem Erd­bo­den kam; man muss­te sich fra­gen, ob er nicht in ei­nem fer­nen Vor­le­ben ein Baum ge­we­sen sei, so ei­ner mit tie­fen Wur­zeln und brei­tem Wip­fel, und ob er nicht dunkle Erin­ne­run­gen an den Er­den­schoss be­wah­re. In ei­ner be­glücken­den wis­sen­schaft­li­chen und dich­te­ri­schen Tä­tig­keit und ei­ner un­ge­mein har­mo­ni­schen Ehe le­bend, er­schi­en er als der Glück­li­che schlecht­weg, bei des­sen An­blick auch an­de­re zu­frie­den wur­den. Er war zu­gleich ein künst­le­ri­scher Ge­nie­ßer des Le­bens, der aus je­der Gabe Got­tes ih­ren vol­len Wert zu zie­hen wuss­te und der einen ed­len Trop­fen Weins auf der Zun­ge zer­ge­hen ließ wie einen Vers von Goe­the. Wenn Hertz sei­ne dunkle Stim­me er­hob, um sein Wort lang­sam und nach­drück­lich ohne al­les per­sön­li­che Schim­mern in die Er­ör­te­rung zu wer­fen, so war es, als hät­ten jetzt die Din­ge selbst ge­spro­chen und ihr wah­res We­sen ent­hüllt, so­dass gar kei­ne Zwei­fel üb­rig­b­lie­ben. Vor al­lem be­wun­der­te ich den Ge­rech­tig­keits­sinn, mit dem er sich dem so leicht ein­rei­ßen­den Spott über Ab­we­sen­de wi­der­setz­te. Er wi­der­sprach nur un­gern und scho­nend; lie­ber er­zähl­te er dann einen rühm­li­chen Zug aus dem Le­ben des Be­trof­fe­nen, der die­sen über je­den An­griff hin­aus­hob. Hertz war mir ein glän­zen­der Be­weis, wie viel mehr Geist dazu ge­hört, die Vor­zü­ge der Men­schen zu se­hen als ihre Feh­ler. Welch ein Meis­ter der Ge­sel­lig­keit er war, er­fuhr ich frei­lich erst bei mei­nen spä­te­ren Auf­ent­hal­ten, wenn ich an den Hertz­schen Teenach­mit­tagen teil­neh­men durf­te, die mir stets als Mus­ter­bei­spiel edels­ter geis­ti­ger Be­wir­tung vor­schweb­ten. Da war kein Un­ge­fähr im Zu­sam­men­stel­len der Gäs­te, alle ver­stan­den und er­gänz­ten sich, und nie ging die Zahl über die klas­si­schen Neu­ne hin­aus. Der Haus­herr hielt das Ge­spräch un­merk­lich in der Hand, dass es nicht zer­split­ter­te und dass je­der der Ge­la­de­nen sich nach sei­ner per­sön­li­chen Art ent­fal­ten konn­te, wäh­rend die Haus­frau ihn ge­räusch­los in den Pf­lich­ten des Wir­tes un­ter­stütz­te. Da wur­de die Luft so hell und rein, und die ver­schie­de­nen Stim­men klan­gen wie ein Kon­zert in­ein­an­der, dass für einen Au­gen­blick die Welt ganz Har­mo­nie war. Und das müss­te ja der Zweck je­der ed­le­ren Ge­sel­lig­keit sein. Zum Schlus­se er­schi­en dann im­mer noch eine Fla­sche Sekt, und die Gäs­te trenn­ten sich auf dem Hö­he­punkt der Stim­mung, die noch ta­ge­lang nach­klang.

      Eine wei­te­re sehr aus­ge­präg­te Per­sön­lich­keit war der nach al­len Sei­ten fron­die­ren­de Ma­ler, Poet und Ar­til­le­rie­oberst Hein­rich Re­der, ein be­gab­ter, ei­gen­wil­li­ger Mann, der sich we­gen ge­sell­schaft­li­cher Un­stim­mig­kei­ten von sei­ner ehe­ma­li­gen Ta­fel­run­de, dem Hey­se-Horn­stein-Kreis, in einen Schmoll­win­kel zu­rück­ge­zo­gen hat­te, zu dem ich aber we­gen sei­ner Freund­schaft mit un­se­rer spa­ni­schen Freun­din den Zu­gang fand.

      So war es also mit der ge­sell­schaft­li­chen An­leh­nung treff­lich be­stellt, und im üb­ri­gen hieß es ab­war­ten. Ich hat­te nach ei­ni­gen Er­fah­run­gen an Münch­ner Zim­mer­ver­mie­te­rin­nen mit Er­win eine klei­ne lee­re Woh­nung zu ebe­ner Erde an der Ecke der Karls- und Lui­sen­stra­ße be­zo­gen, die wir sel­ber ein­rich­te­ten. Das Es­sen lie­ßen wir uns aus ei­ner na­hen Wirt­schaft ho­len, es kos­te­te da­mals nur 50 Pfen­nig für die Per­son, war aber auch da­nach. Ge­le­gent­lich kam von Hau­se eine Schach­tel mit ei­nem großen, von Jo­se­phi­ne ge­schmor­ten Bra­ten, der uns auf meh­re­re Tage sät­tig­te. Als ich mir in der Au eine durch Frau von Horn­stein emp­foh­le­ne Zu­ge­he­rin be­sor­gen woll­te, er­leb­te ich gleich zum Ein­stand ein sehr be­zeich­nen­des Stück Münch­ner Volks­tum. Im tie­fen Schnee der Stra­ße kam mir eine Jam­mer­ge­stalt laut kla­gend ent­ge­gen, mit Schlap­pen an den Fü­ßen, im al­ler­dünns­ten Kat­tun­röck­chen und eben­sol­cher Blu­se, Kopf und Hals bloß. Sie rief mich an, ob ich kein Dienst­mäd­chen brau­chen kön­ne, sie sei in schreck­li­cher Not und wol­le mir ge­wiss treu sein, wenn ich mich ih­rer an­neh­me. Ich konn­te zwar die Lei­dens­ge­schich­te, die sie mir er­zähl­te, nicht nach­prü­fen, nahm aber an, dass es mei­ne Pf­licht sei, sie zu ret­ten. Also ließ ich die Gu­t­emp­foh­le­ne fah­ren und ding­te die Zu­ge­lau­fe­ne, der ich au­ßer­dem noch 10 Mark Vor­schuss ge­ben muss­te, um ih­ren von der frü­he­ren Herr­schaft – ich weiß nicht wes­halb – zu­rück­be­hal­te­nen Kof­fer aus­zu­lö­sen. Sie schrieb mir ih­ren Na­men auf einen Zet­tel, das war mei­ne Si­cher­heit. Na­tür­lich wur­de ich von

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