Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Grundverschieden von Heyse und doch ihm aufs innigste befreundet war mein engerer Landsmann, der von allen geliebte Dichter Wilhelm Hertz. Ein Stück edelsten Schwabentums, wurzelecht wie ein Erzschwabe, aber ins Weltschwabentum erweitert und erhöht. Die Uhlandsche Geisteswelt war in ihm wiedergeboren, nur ohne den Zug ins Altbürgerliche und ohne politische Richtung, ganz aufs Schöne gewendet. Jene edle Grenzmark der Poesie und Wissenschaft, in der man so tiefe, befreite Atemzüge tun konnte. Wo er erschien, da strömte seine untersetzte Gestalt mit dem keineswegs schönen aber männlichen Gesicht eine Ruhe und Sicherheit aus, die wie unmittelbar aus dem Erdboden kam; man musste sich fragen, ob er nicht in einem fernen Vorleben ein Baum gewesen sei, so einer mit tiefen Wurzeln und breitem Wipfel, und ob er nicht dunkle Erinnerungen an den Erdenschoss bewahre. In einer beglückenden wissenschaftlichen und dichterischen Tätigkeit und einer ungemein harmonischen Ehe lebend, erschien er als der Glückliche schlechtweg, bei dessen Anblick auch andere zufrieden wurden. Er war zugleich ein künstlerischer Genießer des Lebens, der aus jeder Gabe Gottes ihren vollen Wert zu ziehen wusste und der einen edlen Tropfen Weins auf der Zunge zergehen ließ wie einen Vers von Goethe. Wenn Hertz seine dunkle Stimme erhob, um sein Wort langsam und nachdrücklich ohne alles persönliche Schimmern in die Erörterung zu werfen, so war es, als hätten jetzt die Dinge selbst gesprochen und ihr wahres Wesen enthüllt, sodass gar keine Zweifel übrigblieben. Vor allem bewunderte ich den Gerechtigkeitssinn, mit dem er sich dem so leicht einreißenden Spott über Abwesende widersetzte. Er widersprach nur ungern und schonend; lieber erzählte er dann einen rühmlichen Zug aus dem Leben des Betroffenen, der diesen über jeden Angriff hinaushob. Hertz war mir ein glänzender Beweis, wie viel mehr Geist dazu gehört, die Vorzüge der Menschen zu sehen als ihre Fehler. Welch ein Meister der Geselligkeit er war, erfuhr ich freilich erst bei meinen späteren Aufenthalten, wenn ich an den Hertzschen Teenachmittagen teilnehmen durfte, die mir stets als Musterbeispiel edelster geistiger Bewirtung vorschwebten. Da war kein Ungefähr im Zusammenstellen der Gäste, alle verstanden und ergänzten sich, und nie ging die Zahl über die klassischen Neune hinaus. Der Hausherr hielt das Gespräch unmerklich in der Hand, dass es nicht zersplitterte und dass jeder der Geladenen sich nach seiner persönlichen Art entfalten konnte, während die Hausfrau ihn geräuschlos in den Pflichten des Wirtes unterstützte. Da wurde die Luft so hell und rein, und die verschiedenen Stimmen klangen wie ein Konzert ineinander, dass für einen Augenblick die Welt ganz Harmonie war. Und das müsste ja der Zweck jeder edleren Geselligkeit sein. Zum Schlusse erschien dann immer noch eine Flasche Sekt, und die Gäste trennten sich auf dem Höhepunkt der Stimmung, die noch tagelang nachklang.
Eine weitere sehr ausgeprägte Persönlichkeit war der nach allen Seiten frondierende Maler, Poet und Artillerieoberst Heinrich Reder, ein begabter, eigenwilliger Mann, der sich wegen gesellschaftlicher Unstimmigkeiten von seiner ehemaligen Tafelrunde, dem Heyse-Hornstein-Kreis, in einen Schmollwinkel zurückgezogen hatte, zu dem ich aber wegen seiner Freundschaft mit unserer spanischen Freundin den Zugang fand.
So war es also mit der gesellschaftlichen Anlehnung trefflich bestellt, und im übrigen hieß es abwarten. Ich hatte nach einigen Erfahrungen an Münchner Zimmervermieterinnen mit Erwin eine kleine leere Wohnung zu ebener Erde an der Ecke der Karls- und Luisenstraße bezogen, die wir selber einrichteten. Das Essen ließen wir uns aus einer nahen Wirtschaft holen, es kostete damals nur 50 Pfennig für die Person, war aber auch danach. Gelegentlich kam von Hause eine Schachtel mit einem großen, von Josephine geschmorten Braten, der uns auf mehrere Tage sättigte. Als ich mir in der Au eine durch Frau von Hornstein empfohlene Zugeherin besorgen wollte, erlebte ich gleich zum Einstand ein sehr bezeichnendes Stück Münchner Volkstum. Im tiefen Schnee der Straße kam mir eine Jammergestalt laut klagend entgegen, mit Schlappen an den Füßen, im allerdünnsten Kattunröckchen und ebensolcher Bluse, Kopf und Hals bloß. Sie rief mich an, ob ich kein Dienstmädchen brauchen könne, sie sei in schrecklicher Not und wolle mir gewiss treu sein, wenn ich mich ihrer annehme. Ich konnte zwar die Leidensgeschichte, die sie mir erzählte, nicht nachprüfen, nahm aber an, dass es meine Pflicht sei, sie zu retten. Also ließ ich die Gutempfohlene fahren und dingte die Zugelaufene, der ich außerdem noch 10 Mark Vorschuss geben musste, um ihren von der früheren Herrschaft – ich weiß nicht weshalb – zurückbehaltenen Koffer auszulösen. Sie schrieb mir ihren Namen auf einen Zettel, das war meine Sicherheit. Natürlich wurde ich von