Warum Gott?. Timothy Keller

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Warum Gott? - Timothy Keller

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die Redeemer Presbyterian Church in Manhattan. Ihr Wachstum in dieser Umgebung hat Beobachter überrascht, manche sogar schockiert. Immer wieder werde ich gefragt: „Wie schaffen Sie es, Tausende junger Erwachsener in solch einem säkularen Milieu zu erreichen?“ Die Antwort ist, dass der christliche Glaube in New York City das Gleiche getan hat wie an den tausend anderen Orten, wo er gewachsen ist: Er hat sich signifikant und positiv der Kultur seiner Umgebung angepasst, ohne dabei seine lehrmäßige Substanz aufzugeben.

      Die Grundlehren der Redeemer Church – die Göttlichkeit Christi, die Unfehlbarkeit der Bibel, die Notwendigkeit der persönlichen Wiedergeburt durch den Glauben an den Sühnetod Christi – stehen in Übereinstimmung mit dem Glauben der evangelikalen und Pfingstkirchen Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und des Südens und Mittleren Westens der USA. Es sind Lehren, die uns oft in Konflikt mit den Lebensanschauungen vieler Menschen in unserer Stadt bringen. Doch andererseits haben wir bereitwillig andere Aspekte der städtischen, pluralistischen Kultur um uns her übernommen. Wir schätzen das kulturelle Leben, das Miteinander der Rassen, betonen den Einsatz für Gerechtigkeit für alle Bewohner der Stadt und kommunizieren in der Sprache und durch die Brille unserer innenstädtischen Kultur. Nicht zuletzt betonen wir die Gnade eines Erlösers, der mit den vom Establishment sogenannten „Sündern“ zu Tische saß und selbst seine Feinde liebte. All dies sind Dinge, die für die Leute von Manhattan sehr wichtig sind.

      Das Ergebnis ist eine Gemeinde, die sehr heterogen zusammengesetzt und urban geprägt ist. Vor einem Gottesdienst stellte John DeLorean meiner Frau, Kathy, den Mann vor, der direkt vor ihr saß und den er mitgebracht hatte. Er war der Redenschreiber für einen konservativen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner. Kurz darauf tippte ihr eine Frau, die hinter ihr saß, auf die Schulter, um ihr ihren Gast vorzustellen: Sie hatte den Mann mitgebracht, der damals die Texte für die Popsängerin Madonna schrieb. Kathy war begeistert, dass sie beide da waren; sie hoffte nur, dass sie sich nicht sehen würden, bevor sie die Predigt gehört hatten!

      Vor einigen Jahren besuchte ein Mann aus dem Süden der USA unsere Gemeinde, der gehört hatte, dass wir trotz traditionell christlicher Lehre inmitten dieser säkularen Stadt der Skeptiker enorm gewachsen waren. Er erwartete, dass wir die Leute mit der allerneuesten Musik, Videoclips, professionellen Bühnen-Sketchen, einer besonders hippen Atmosphäre und tollen Effekten köderten. Zu seiner großen Überraschung erlebte er einen schlichten, traditionellen Gottesdienst, der äußerlich nicht anders zu sein schien als das, was ihm aus seiner konservativeren Welt geläufig war. Aber er sah auch, dass bei uns viele Menschen waren, die nie im Leben in die Kirchen gegangen wären, die er kannte. Nach dem Gottesdienst kam er zu mir und sagte: „Das ist mir wirklich ein Rätsel! Wo ist der tanzende Bär? Wo sind die Gags? Warum kommen all diese Leute zu euch?“

      Ich führte ihn zu einigen „Stadtkünstler-Typen“, die seit einiger Zeit in die Gemeinde kamen, und sie machten ihm Mut, hinter die Kulissen zu schauen. Einer sagte, dass der Unterschied zwischen der Redeemer Church und anderen Gemeinden groß war und in „Humor, Mitmenschlichkeit und Demut“ bestand. Sie sagten, dass es bei uns nicht jene pompös-sentimentale Sprache gab wie in den anderen Kirchen, die sie so als Seelenmassage empfanden. Stattdessen begegneten bei uns die Leute einander mit einer freundlichen Selbstironie. Sie erklärten weiter, dass der Glaube in der Redeemer Church mit einer solchen Freundlichkeit und Demut vertreten wurde, dass die Menschen von Manhattan sich angenommen fühlten, auch wenn sie die Glaubensüberzeugungen der Gemeinde nicht teilten. Vor allem aber, so fuhren sie fort, war die Predigt und die ganze Kommunikation in unserer Gemeinde intelligent und ausgewogen und nahm Rücksicht auf die Gefühle der Hörenden.

      All diese Dinge sind Türöffner in Manhattan, aber sie alle wurzeln in der ursprünglichen christlichen Lehre. Die Betonung des Miteinanders der Rassen z.B. kommt aus dem 2. Kapitel des Epheserbriefs, wo Paulus in dem Miteinander von Juden und Nichtjuden in der Gemeinde ein wichtiges Zeugnis für die Wahrheit der christlichen Botschaft sieht. Oder ein anderes Beispiel: Reinhold Niebuhr hat darauf hingewiesen, dass der dezent ironische Humor darüber, wie die Menschen versuchen, wie Gott zu sein, und es nicht schaffen, eine sehr christliche Art ist, die Realität zu sehen.85 Weil all dies tiefe Wurzeln in der ursprünglichen christlichen Lehre hat, handelt es sich dabei nicht um „Vermarktungstechniken“.

      Warum ist es unter den Weltreligionen gerade dem Christentum gelungen, so viele radikal unterschiedliche Kulturen zu erreichen und zu prägen? Es gibt natürlich einen lehrmäßigen Kern (das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, die Zehn Gebote u.a.), der für alle Varianten des Christentums gilt, aber es besteht eine große Freiheit in der Art, wie diese absoluten Aussagen in einer bestimmten Kultur Gestaltung und Ausdruck finden. Die Bibel fordert die Christen z.B. dazu auf, Gott mit Musik zu loben, aber sie gibt weder einen bestimmten Rhythmus oder Versmaß noch den Grad der Emotionalität oder die Instrumente vor; all dies kann kulturell ganz unterschiedlich aussehen. Der Historiker Andrew Walls schreibt:

       Die kulturelle Vielfalt kam … in Apostelgeschichte 15 in den christlichen Glauben, wo es heißt, dass die neuen Heidenchristen nicht die jüdische Kultur annehmen mussten. … Die Konvertiten mussten … eine hellenistische Art des Christseins entwickeln. Niemand „besitzt“ [also] den christlichen Glauben. Es gibt keine „christliche Kultur“ in dem Sinne, wie es eine „islamische Kultur“ gibt, die in Pakistan, Tunesien und Marokko die Gleiche ist. … 86

      Es gibt einen lehrmäßigen Kern, der für alle Varianten des Christentums gilt, aber es besteht eine große Freiheit in der Art, wie diese absoluten Aussagen in einer bestimmten Kultur Gestaltung und Ausdruck finden.

      Bibeltexte wie Jesaja 60 und Offenbarung 21-22 beschreiben eine zukünftige Welt, die erneuert und vollkommen sein wird, in der wir aber unsere kulturellen Unterschiede beibehalten: Die Menschen kamen aus allen Nationen, Stämmen und Völkern; alle Sprachen der Welt waren zu hören“ (Offenbarung 7,9). Dies bedeutet, dass es in jeder Kultur von Gott gegebene Dinge gibt, die gut sind und das Leben der Menschheit bereichern. So wie jede Kultur ihre Schattenseiten hat, die von der christlichen Botschaft kritisiert und verändert werden, so hat auch jede Kultur ihre eigenen guten Elemente, die vom Christentum aufgenommen und verändert werden.

      Entgegen einer oft zu hörenden Meinung ist der christliche Glaube keine „westliche“ Religion, die einheimische Kulturen zerstört. Er hat vielmehr eine größere kulturelle Vielfalt entwickelt als jede andere Religion.87 Das Christentum enthält tiefe Weisheiten aus der hebräischen, griechischen und europäischen Kultur, und in den nächsten hundert Jahren werden Afrika, Lateinamerika und Asien ihm ihren Stempel aufdrücken. Das Christentum könnte man im ursprünglichen Sinne des Wortes als die „katholischste Vision von der Welt“88 bezeichnen, hat es doch im Laufe der Jahrhunderte unter seinen Führern Menschen aus allen Sprachen, Stämmen und Nationen gehabt.

      Freiheit ist nicht einfach

      Dem Christentum wird nachgesagt, es sei ein Hindernis für die Selbstverwirklichung des Einzelnen, weil es unsere Freiheit einschränkt, unseren Glauben und unseren Lebensstil selber zu wählen. Immanuel Kant definierte einen aufgeklärten Menschen als jemanden, der auf sein eigenes Denken vertraut und nicht auf irgendeine Autorität oder Tradition.89 Diese Ablehnung von Autoritäten, die ethische Entscheidungen vorgeben, ist inzwischen tief in unserer Kultur verwurzelt. Die Freiheit, seine eigenen moralischen Maßstäbe festzulegen, gilt als Vorbedingung vollwertigen Menschseins.

      Doch schon wieder darf man es sich so einfach nicht machen. Freiheit lässt sich nicht rein negativ definieren, als Abwesenheit von Einschränkungen und Vorgaben. In vielen Fällen sind Einschränkungen und Grenzen sogar ein Mittel der Freiheit.

      Wenn Sie musikalische Ambitionen haben, dann werden sie vielleicht jahrelang üben, üben und nochmals üben, um virtuos Klavier zu spielen. Das bedeutet aber eine Einschränkung Ihrer Freiheit. In der Zeit, wo Sie üben, können Sie hundert andere Dinge nicht tun. Doch wenn Sie wirklich Talent haben, werden Sie durch diszipliniertes Üben Fähigkeiten entwickeln,

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