Warum Gott?. Timothy Keller

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Warum Gott? - Timothy Keller страница 16

Warum Gott? - Timothy Keller

Скачать книгу

Fähigkeit, Musikstücke zu spielen, die Ihnen sonst verschlossen geblieben wären.

      Dies heißt nicht, dass Einschränkung, Disziplin und Üben immer und automatisch zu einer neuen Freiheit führen. Ein 1,60 Meter großer, schmächtiger junger Mann sollte seine Energie besser nicht darauf verschwenden, ein Rugby-Star werden zu wollen oder den Weltrekord im Kugelstoßen aufzustellen. Alle Disziplin und alles Üben der Welt werden ihn nur zu immer neuen Frustrationserlebnissen führen. Das physische Potenzial ist einfach nicht da. In unserer Gesellschaft arbeiten viele Menschen verbissen an Karrieren, die ihnen viel Geld bringen, aber überhaupt nicht ihrem Talent und ihren Interessen entsprechen. Solche beruflichen Lebensläufe sind Zwangsjacken, die auf Dauer erdrückend und unmenschlich sind.

      Einschränkungen und Grenzen machen uns nur dann frei, wenn sie zu unserem Naturell und Talent passen. Ein Fisch ist nur dann frei, wenn er sich auf den Lebensraum des Wassers beschränkt. Wenn wir ihn herausholen und ins Gras legen, wird seine Freiheit nicht größer, sie wird vernichtet. Der Fisch stirbt, wenn wir nicht seine gegebene Natur akzeptieren.

      In vielen Bereichen des Lebens ist Freiheit nicht so sehr die Abwesenheit von Grenzen als vielmehr die Kunst, sich die richtigen Grenzen zu setzen – die, die uns mehr Spielraum geben. Die Grenzen, die zu der Realität unseres Wesens und der Welt passen, geben unseren Fähigkeiten mehr Entfaltungsraum und vertiefen unsere Freude und Erfüllung. Experimente, Risiken und Fehler führen nur dann zu Wachstum, wenn sie uns nicht nur unsere Fähigkeiten, sondern auch unsere Grenzen aufzeigen. Und wenn wir körperlich, beruflich und in unserem Denken nur dann wachsen, wenn wir die richtigen Grenzen erkennen und akzeptieren, warum sollte dies dann nicht auch für unser moralisches und spirituelles Wachstum gelten? Ist es, anstatt auf der „Freiheit“ zu bestehen, unsere spirituelle Realität selber zu schaffen, nicht klüger, die bereits existierende Realität zu entdecken und dann unser Leben entsprechend einzurichten?

      Freiheit ist nicht so sehr die Abwesenheit von Grenzen als vielmehr die Kunst, sich die richtigen Grenzen zu setzen.

      Der beliebte Wunschtraum, dass jeder selber bestimmen sollte, was für ihn moralisch richtig und falsch ist, gründet in der Annahme, dass der Bereich des Spirituellen ganz anderen Gesetzen gehorcht als der Rest der Welt. Gibt es jemanden, der das im Ernst glaubt? Ich bin jahrelang nach jedem Gottesdienst eine weitere Stunde in unserem Gemeindesaal geblieben, um den Besuchern in einem Predigtnachgespräch Rede und Antwort zu stehen. Hunderte von Gottesdienstbesuchern blieben, um mich mit ihren Fragen zu löchern, und eine der häufigsten Aussagen, die ich dort hörte, lautete: „Jeder Mensch hat das Recht, selber zu bestimmen, was für ihn richtig und was falsch ist.“ Ich habe darauf immer mit folgender Frage geantwortet: „Gibt es in diesem Augenblick irgendwo in der Welt Menschen, die etwas tun, womit sie Ihrer Meinung nach sofort aufhören sollten, egal, wie diese Leute persönlich ihr Verhalten bewerten?“ Die Antwort lautete jedes Mal: „Ja, natürlich.“ Worauf ich sagte: „Heißt das dann nicht, dass Sie also doch glauben, dass es eine objektive moralische Realität gibt, die nicht von uns definiert wird und an die man sich halten muss, egal, was man persönlich fühlt oder denkt?“ Fast immer war die Reaktion ein (nachdenkliches oder grummelndes) Schweigen.

      Liebe, die höchste Freiheit, ist

      einschränkender als wir vielleicht denken

      Aber was ist denn nun die moralisch-spirituelle Realität, die wir anerkennen müssen, damit unser Leben gelingt? Was ist die Umgebung, die uns befreit, wenn wir uns ihr unterordnen, wie Wasser den Fisch befreit? Es ist die Liebe. Liebe ist der befreiendste Freiheitsverlust, den es gibt.

      Ob es um Freundschaft oder um die Liebe zwischen Mann und Frau geht, eines der Grundprinzipien der Liebe ist, dass ich meine Unabhängigkeit aufgebe, um Intimität zu gewinnen. Wenn Sie die „Freiheit“ der Liebe wollen – die Erfüllung, die Geborgenheit und das Gefühl, etwas wert zu sein –, müssen Sie Ihre persönliche Freiheit in vielen Bereichen einschränken. Man kann nicht eine tiefe Beziehung aufbauen und weiter sein Leben in eigener Regie führen, ohne Mitspracherecht des Freundes oder der geliebten Person. Um die Freude und Freiheit der Liebe zu erfahren, muss ich meine persönliche Autonomie aufgeben. Die französische Romanschriftstellerin Françoise Sagan hat dies in einem Interview mit der Zeitung Le Monde treffend ausgedrückt. Sie sagte, dass sie mit ihrem Leben zufrieden war und nichts bereute:

       Interviewer: Dann haben Sie also die Freiheit gehabt, die Sie wollten? Sagan: Ja … Das heißt, ich war natürlich weniger frei, wenn ich in jemanden verliebt war. … Aber man ist ja nicht ständig verliebt, und ansonsten … bin ich frei . 90

      Liebe ist der befreiendste Freiheitsverlust, den es gibt.

      Sagan hat recht. Eine Liebesbeziehung begrenzt meine persönlichen Optionen. Einmal mehr stehen wir vor der Komplexität des Begriffs der „Freiheit“. Wir Menschen sind dann am freiesten, ja am lebendigsten, wenn wir uns in einer Liebesbeziehung befinden. Erst als Liebende werden wir wirklich wir selber – aber eine gesunde Liebesbeziehung geht nicht ohne gegenseitiges selbstloses Dienen, ohne die gegenseitige Aufgabe von Unabhängigkeit. C. S. Lewis hat es brillant formuliert:

       Liebe irgendetwas, und es wird dir bestimmt zu Herzen gehen oder gar das Herz brechen. Wenn du ganz sicher sein willst, dass deinem Herzen nichts zustößt, dann darfst du es nie verschenken, nicht einmal an ein Tier. Umgib es sorgfältig mit Hobbys und kleinen Genüssen; meide alle Verwicklungen; verschließ es sicher im Schrein oder Sarg deiner Selbstsucht. Aber in diesem Schrein – sicher, dunkel, reglos, luftlos – verändert es sich. Es bricht nicht; es wird unzerbrechlich, undurchdringlich, unerlösbar. Die Alternative zum Leiden, oder wenigstens zum Wagnis des Leidens, ist die Verdammung. 91

      Freiheit ist also nicht die Abwesenheit von Einschränkungen, sondern das Finden der richtigen Einschränkungen, die zu unserem Wesen passen und uns befreien.

      Für eine gesunde Liebesbeziehung braucht es die gegenseitige Aufgabe von Unabhängigkeit. Einbahnstraßen funktionieren hier nicht; beide Partner müssen sagen: „Ich gehe auf dich ein, ich ändere mich für dich. Ich will dir dienen, auch wenn dies für mich Opfer bedeutet.“ Wo nur der eine Partner opfert und gibt und der andere nur befiehlt und sich bedienen lässt, wird die Beziehung zur Ausbeutung, die letztlich das Leben beider Partner bedrückt und entfremdet.

      Aber bedeutet dies dann nicht, dass eine Beziehung zu Gott mich zu einem Sklaven macht? Denn hier besteht doch tatsächlich eine Einbahnstraße; Gott hat alle Macht, und ich muss mich ihm anpassen und nicht er sich mir.

      Dies mag für andere Religionen gelten, aber nicht für das Christentum. Gott hat sich uns nämlich angepasst und uns gedient, und dies auf die radikalstmögliche Art: Durch seine Menschwerdung und den Sühnetod am Kreuz. In Jesus Christus wurde er ein Mensch – ein Mensch, der litt und starb. Am Kreuz nahm er unsere Situation als Sünder auf sich und starb an unserer Stelle, damit wir Vergebung bekommen können. In Christus hat Gott uns so tief gesagt, wie es nur möglich ist: „Ich gehe auf dich ein. Ich ändere mich für dich. Ich will dir dienen, auch wenn dies für mich Opfer bedeutet.“ Wenn Gott das für uns getan hat, dann können und sollten wir das Gleiche für Gott und unsere Mitmenschen tun. Paulus schreibt in 2. Korinther 5,14, dass die Liebe, die Christus uns geschenkt hat, „uns keine andere Wahl lässt“.

      Das christliche Kreuz: Gott hat sich uns angepasst und uns gedient, und dies auf die radikalstmögliche Art.

      Ein Freund von C. S. Lewis wurde einmal gefragt: „Ist es leicht, Gott zu lieben?“ Er erwiderte: „Ja, für die, die es tun.“92 Das ist nicht so paradox wie es klingt. Ein junger Mann, der sich so richtig verliebt, möchte der Geliebten in allem gefallen. Er wartet nicht darauf, bis sie ihn um etwas bittet oder ihn auffordert. Begierig versucht er herauszufinden, womit er ihr eine Freude machen kann; Geld und

Скачать книгу