Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер
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Fortunata hatte sich erhoben; mit ihrem schmalen, aber sehr wohlgebildeten Figürchen lehnte sie sich an die Brüstung und erwiderte etwas hastig, daß sie für ihren Teil die Waldspaziergänge vorziehe, insbesondere den zur Einsiedelei finde sie geradezu ergreifend. Was für ein dummes Wort, dachte Beate, und fragte höflich, warum die Baronin bei dieser Vorliebe nicht lieber gleich eine der Villen am Waldesrand bezogen hätte. Die Baronin erklärte, daß sie oder vielmehr ihr Gemahl diese Villa hier auf eine Annonce hin gemietet hätte; übrigens sei sie in jeder Hinsicht zufrieden. »Aber wollen Sie nicht weiter spazieren, gnädige Frau,« setzte sie eilig hinzu, »und mit meiner Freundin und mir eine Tasse Tee trinken?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie Beaten entgegen, reichte ihr eine schlanke, weiße, etwas unruhige Hand und geleitete sie mit übertriebener Freundlichkeit auf die Veranda, wo indes die andere Dame nach wie vor regungslos in ihrem wallenden weißen Musselingewand an der Mauer lehnte, mit einer Art von düsterem Ernst, der Beate halb unheimlich, halb komisch berührte. Fortunata stellte vor: »Fräulein Wilhelmine Fallehn — Frau Beate Heinold. Der Name dürfte dir nicht unbekannt sein, liebe Willy.«
»Ich habe Ihren Gatten unendlich verehrt«, sagte Fräulein Fallehn kühl und mit dunkler Stimme.
Fortunata bot Beaten einen gepolsterten Korbsessel an und entschuldigte sich, daß sie selbst sich sofort wieder so bequem wie früher hinstreckte. Nirgends noch hätte sie sich nämlich so müde, geradezu zerflossen gefühlt, als hier, besonders in den Nachmittagsstunden. Möglicherweise läge es daran, daß sie der Versuchung nicht widerstehen könne, zweimal täglich zu baden und jedesmal eine volle Stunde im Wasser zu bleiben. Aber wenn man so viele Wässer kenne, wie sie, Binnenseen und Flüsse und Meere, da komme man erst drauf, daß jedes Wasser gewissermaßen seinen eigenen Charakter habe. So sprach sie weiter, fein und allzu gewählt, wie es Beate vorkam; und strich sich zuweilen wie ermüdet mit der einen Hand über das rötlich gefärbte Haar. Ihr langes weißes, mit Klöppelspitzen besetztes Hauskleid hing zu beiden Seiten des niedern Streckstuhls auf den Boden nieder. Um den freien Hals trug sie eine bescheidene Schnur von kleinen Perlen. Ihr blasses schmales Gesicht war stark gepudert; nur die Nasenspitze schimmerte rötlich, und dunkelrot die offenbar geschminkten Lippen. Beate mußte sich an ein Bild aus einer illustrierten Zeitung erinnern, das einen an einem Laternenpfahl hängenden Pierrot vorstellte, ein Eindruck, der sich für sie dadurch verstärkte, daß Fortunata, während sie sprach, die Augen halb geschlossen zu halten pflegte.
Tee und Gebäck war gebracht worden, das Gespräch kam in Gang, auch Wilhelmine Fallehn, die, zwangloser als vorher, die Tasse in der Hand, an der Brüstung lehnte, beteiligte sich daran; es glitt vom Sommer zum Winter über, man sprach von der Stadt, den Theaterzuständen, den unbedeutenden Nachfolgern Ferdinand Heinolds und von des Unvergessenen allzu frühem Tod. Wilhelmine äußerte in gemessenem Ton ihr Staunen, daß eine Frau den Verlust eines solchen Mannes zu überleben imstande sei, worauf die Baronin, Beatens Befremden gewahrend, schlicht bemerkte: »Du mußt wissen, Willy, Frau Heinold hat einen Sohn.«
In diesem Augenblick sah ihr Beate mit unbeherrschter Feindseligkeit in die Augen, die diesen Blick spöttisch-nixenhaft erwiderten; ja, es schien Beate geradezu, als wenn von Fortunata ein feuchter Duft ausginge wie von Schilf und Wasserrosen. Zugleich bemerkte sie, daß Fortunatens Füße nackt in den Sandalen staken, und daß sie unter dem weißen Leinenkleid nichts weiter anhatte. Indes aber redete die Baronin unbefangen weiter, sehr glatt und gebildet; sie behauptete, daß das Leben stärker sei als der Tod, daß es daher am Ende immer recht behalten müsse; aber Beate fühlte, daß hier ein Geschöpf zu ihr sprach, dem nie ein geliebtes Wesen gestorben war, ja, das niemals einen Menschen, Mann oder Frau, wirklich geliebt hatte.
Wilhelmine Fallehn stellte plötzlich die Tasse hin. »Ich muß noch fertig packen«, erklärte sie, verabschiedete sich kurz und verschwand durch den Gartensalon.
»Meine Freundin reist nämlich heute nach Wien zurück«, sagte Fortunata. »Sie ist verlobt — gewissermaßen.«
»Ah«, machte Beate höflich.
»Wofür würden Sie sie wohl halten?« fragte Fortunata mit halbgeschlossenen Augen.
»Das Fräulein ist wahrscheinlich Künstlerin?«
Fortunata schüttelte den Kopf. »Eine Weile war sie allerdings beim Theater. Sie ist die Tochter eines hohen Offiziers. Besser gesagt, die Waise. Ihr Vater hat sich eine Kugel durch den Kopf gejagt aus Gram über ihren Lebenswandel. Schon vor zehn Jahren. Dabei ist sie heute siebenundzwanzig. Sie kann es weit bringen. — Nehmen Sie noch eine Tasse Tee?«
»Danke, Frau Baronin.« Sie atmete tief auf. Nun war der Augenblick gekommen. Ihre Züge spannten sich mit einem Male so entschlossen an, daß Fortunata sich unwillkürlich halb aufrichtete. Und Beate begann mit Entschiedenheit: »Es ist nämlich kein Zufall, daß ich an Ihrem Hause vorbeigegangen bin. Ich habe mit Ihnen zu reden, Frau Baronin.«
»Oh«, sagte Fortunata, und unter dem gepuderten Pierrotgesicht zeigte sich eine leichte Röte. Sie stützte den einen Arm auf die Lehne ihres Streckstuhls und verschlang die unruhigen Finger ineinander.
»Erlauben Sie mir, kurz zu sein«, begann Beate.
»Ganz nach Ihrem Belieben. So kurz oder so lang Sie wollen, meine liebe Frau Heinold.«
Beate fühlte sich durch diese etwas herablassende Anrede gereizt und entgegnete ziemlich scharf: »Ganz kurz und einfach, Frau Baronin. Ich will nicht, daß mein Sohn Ihr Geliebter wird.«
Sie war vollkommen ruhig; ja, genau so war ihr zumute gewesen, als sie vor neunzehn Jahren einer alternden Witwe den künftigen Gatten abgefordert hatte.
Die Baronin erwiderte Beatens kühlen Blick nicht minder ruhig. »So«, sagte sie halb vor sich hin. »Sie wollen nicht? — Schade. Allerdings, die Wahrheit zu sagen, ich habe selbst noch gar nicht daran gedacht.«
»So wird es Ihnen um so leichter fallen,« erwiderte Beate etwas heiser, »meinen Wunsch zu erfüllen.«
»Ja, wenn es von mir allein abhinge —«
»Frau Baronin, nur von Ihnen hängt es ab. Das wissen Sie sehr gut. Mein Sohn ist fast noch ein Kind.«
Um Fortunatens geschminkte Lippen erschien ein schmerzlicher Zug. »Was muß ich doch für eine gefährliche Frau sein«, begann sie gedankenvoll. »Soll ich Ihnen sagen, warum meine Freundin abreist? Sie hätte nämlich den ganzen Sommer bei mir verbringen sollen, — und ihr Verlobter sollte sie hier besuchen. Und denken Sie, da bekam sie plötzlich Angst, Angst vor mir. Nun ja, vielleicht hat sie recht. Ich bin wohl so. Ich kann ja wirklich nicht für mich einstehen.«
Beate saß starr da. Eine solche Aufrichtigkeit, die fast schon Schamlosigkeit war, hatte sie nicht erwartet. Und sie erwiderte herb: »Nun, Frau Baronin, bei dieser Denkungsart wird Ihnen wohl wenig daran liegen, daß gerade mein Sohn —« Sie hielt inne.
Fortunata ließ einen Kinderblick auf Beate ruhen: »Was Sie da tun, Frau Heinold,« sagte sie in einem gleichsam neugefundenen Ton, »ist eigentlich rührend. Aber klug, meiner Seele, klug ist es nicht. Übrigens wiederhole ich, daß ich nicht im entferntesten daran gedacht habe … Wahrhaftig, Frau Heinold, ich glaube, Frauen wie Sie haben da eine falsche Auffassung von Frauen — meiner Art. Sehen Sie, vor zwei Jahren zum Beispiel, da habe ich drei volle