Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер

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Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler - Артур Шницлер

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eine von den überreifen Frauen ist, denen die Laune nach so jungem Blute steht. Und da gehen sie nun beide in einer fremden Stadt herum, unter unbekannten Leuten, und er denkt an seine Liebste mit dem Pierrotgesicht, und sie an ihren blonden süßen Buben. Sie stöhnt auf. Sie ringt die Hände. Wohin noch? Wohin? Nun war ihr gar das Kosewort verräterisch über die Lippen geglitten, mit dem sie ihn heute nacht erst zärtlich am Busen hielt. Ihn, von dem sie nun für immer Abschied nehmen und den sie niemals, niemals wiedersehen wird. Doch, einmal noch, heute, wenn er zurückkommt. Oder morgen früh. Aber ihre Türe heute nacht wird versperrt bleiben. Es ist aus für immer. Und sie will ihm zum Abschied sagen, daß sie ihn sehr geliebt hat, so sehr, wie es ihm sicher nie wieder begegnen wird. Und in diesem stolzen Gefühl wird er seiner ritterlichen Pflicht zu ewiger Verschwiegenheit um so tiefer sich bewußt werden. Und er wird es verstehen, daß geschieden sein muß, und er wird ihr die Hand noch einmal küssen und wird gehen. Wird gehen. Und was dann? Was dann? Und sie fühlt sich daliegen mit halbgeöffneten Lippen, ausgebreiteten Armen, bebendem Leib, und sie weiß es: träte er in diesem Augenblick durch die Türe, sehnsüchtig und jung, sie vermöchte ihm nicht zu widerstehen und würde ihm wieder gehören mit all der Inbrunst, die nun in ihr erwacht ist wie etwas jahrelang Vergessenes, ja, wie etwas, das sie vorher gar nicht gekannt hat. Und nun weiß sie auch, gequält und beseligt zugleich, daß der Jüngling, dem sie sich gegeben, nicht ihr letzter Geliebter sein wird. Aber schon regt es sich in ihr mit heißer Neugier: wer wird der nächste sein? Doktor Bertram? Ein Abend kommt ihr ins Gedächtnis — war es vor drei, vor acht Tagen? — sie weiß es nicht, die Zeit dehnt sich, verkürzt sich, die Stunden schwimmen ineinander und bedeuten nichts mehr — im Park bei Welponers war es gewesen, wo Bertram in einer dunklen Allee sie mit einemmal an sich gerissen, umschlungen und geküßt hatte. Und wenn sie ihn auch heftig von sich gestoßen, was konnte ihm das bedeuten, da er doch den gewährenden Druck ihrer kußgewohnten Lippen hatte fühlen müssen? Darum war er auch gleich so ruhig geworden und bescheiden, als wüßte er doch ganz genau, woran er wäre, und in seinem Blick stand zu lesen: Der Winter gehört mir, schöne Frau. Wir sind ja auch längst einverstanden. Wir wissen es beide, daß der Tod ein bittres Ding ist und Tugend nur ein leeres Wort, und daß man nichts versäumen soll. Aber es war ja gar nicht Bertram, der zu ihr sprach. Mit einemmal, während sie mit geschlossenen Augen dalag, hatte dem Antlitz Bertrams sich ein anderes untergeschoben, das jenes Kunstreiters oder Hochstaplers oder Mexikaners, der sie neulich so frech angestarrt hatte, ganz in der Art, wie es Doktor Bertram und alle möglichen anderen Leute taten. Sie hatten ja alle den gleichen Blick, alle, und immer dasselbe sagte und verlangte und wußte dieser Blick; und wenn man sich mit einem von ihnen einließ, so war man verloren. Sie nahmen die, die ihnen gerade gefiel und warfen sie wieder weg … Ja — wenn eine sich nehmen und wegwerfen ließ. Aber zu denen gehörte sie nicht. Nein, so weit war es mit ihr noch nicht gekommen. Flüchtige Abenteuer waren ihre Sache nicht. Wäre sie zu dergleichen geboren, wie könnte sie denn diese Geschichte mit Fritz so schwer nehmen? Und wenn sie nun leidet, bereut, sich abquält, so ist es nur, weil das, was sie getan hat, so völlig gegen ihre Art ist. Sie versteht es ja gar nicht recht, daß all das geschehen konnte. Es ist auch nicht anders zu erklären, als daß es in diesen unerträglich schwülen Sommertagen wie eine Krankheit über sie gefallen, sie wehrlos und wirr gemacht hat. Und wie die Krankheit gekommen ist, so wird sie auch wieder gehen. Bald, bald. Sie fühlt es ja in all ihren Pulsen, ihren Sinnen, in ihrem ganzen Leib, daß sie nicht dieselbe ist, die sie war. Kaum vermag sie ihre Gedanken zu sammeln. Wie fieberisch rasen sie durch ihr Hirn. Sie weiß nicht, was sie will, was sie wünscht, was sie bereut, kaum, ob sie glücklich oder unglücklich ist. Es kann nur eine Krankheit sein. Es gibt Frauen, bei denen solch ein Zustand lange dauert und gar nicht weichen will; so eine mag Fortunata sein, und jenes marmorblasse Fräulein Fallehn. Andere gibt es wieder, die überfällt es oder schleicht sich ein, und weicht bald von dannen. Und das ist ihr Fall. Ganz gewiß. Wie hat sie nur all die Jahre gelebt, seit Ferdinand dahingegangen ist! Keusch wie ein junges Mädchen, ja ohne Wunsch. Erst in diesem Sommer ist es über sie gekommen. Ob es nicht in der Luft liegen mag in diesem Jahr? Die Frauen alle sehen anders aus als sonst; die Mädchen auch, sie haben hellere, frechere Augen, und ihre Gebärden sind unbedenklich, lockend und voll Verführung. Man hört ja auch allerlei! Was war das nur für eine Geschichte von der jungen Arztesfrau, die nachts mit einem Ruderknecht auf den See hinausgefahren und erst am nächsten Morgen wieder heimgekommen sein sollte? Und die zwei jungen Mädchen, die drüben auf der Wiese, gerade als das kleine Dampfschiff vorbeifuhr, nackt gelegen, und plötzlich, ehe man sie zu erkennen vermochte, im Wald verschwunden waren? Gewiß, es liegt in der Luft in diesem Jahr. Die Sonne hat besondere Kraft, und die Wellen des Sees schmeicheln sich süßer um die Glieder als je. Und wenn der geheimnisvolle Bann sich löst, wird auch sie wieder werden wie sie war und durch das heiße Abenteuer dieser Tage und Nächte wie durch einen bald vergessenen Traum geglitten sein. Und wenn sie es wieder einmal nahen fühlt, wie sie es ja auch diesmal lang vorher nahen gefühlt, wenn die Sehnsucht ihres Blutes gefahrdrohend sich zu regen beginnt, so kann sie ja eine Rettung besserer und reinerer Art wählen als diesmal und, wie andere Frauen im gleichen Fall, eine zweite Ehe eingehen. Doch ein spöttisches wie von sich selbst überraschtes Lächeln stieg ihr nun auf die Lippen. Es fiel ihr jemand ein, der kürzlich dagewesen war und dem sie die redlichsten Absichten zutrauen durfte: der Advokat Doktor Teichmann. Sie sah ihn vor sich im funkelnagelneuen grünen, gelbgesprenkelten Touristenanzug, mit schottischer Krawatte, den grünen Hut mit dem Gamsbart verwegen auf dem Haupt, kurz in einem Aufzug, mit dem er ihr offenbar beweisen wollte, daß er sehr unternehmend auszusehen wußte, wenn er auch als ernster Mann unter gewöhnlichen Umständen auf derlei Äußerlichkeiten keinen Wert legte. Sie sah ihn dann, wie er beim Mittagessen auf der Veranda saß zwischen ihrem Sohn und ihrem Geliebten, bald an den einen, bald an den andern mit oberlehrerhafter Wichtigkeit das Wort richtend — und sah ihn in seiner ganzen lächerlichen Ahnungslosigkeit, die sie dazu gereizt hatte, in frecher Laune unterm Tisch mit ihrem Fritz zärtliche Händedrücke zu tauschen. Noch am selben Abend war er wieder abgereist, da er mit Freunden in Bozen zusammentreffen sollte; und obwohl Beate ihn zum Verweilen nicht aufgefordert hatte, schien er beim Abschied sehr aufgeräumt und hoffnungsvoll, denn in der übermütigen Stimmung jenes Sommertages hatte sie’s auch ihm gegenüber an aufmunternden und verheißenden Blicken nicht fehlen lassen. Nun tat ihr auch dies leid, wie so vieles andere, und sie sah der nächsten Unterredung mit ihm um so unsicherer entgegen, als ihr das allmähliche Schwinden ihrer Willenskraft in der tiefen Abspannung dieser Stunde besonders schmerzlich bewußt ward. Mit gleicher Beschämung erinnerte sie sich jenes Gefühls von Hilflosigkeit, das sie während ihrer letzten Gespräche mit Direktor Welponer manchmal überkommen hatte; und doch schien es ihr, daß sie, vor eine Wahl gestellt, sich eher als die Gattin des Direktors denken könnte, ja sie mußte sich gestehen, daß diese Vorstellung eines gewissen Reizes für sie nicht entbehrte. Heute war ihr sogar, als hätte dieser Mann sie seit jeher interessiert; und was der Baumeister in der letzten Zeit von großartigen Spekulationen und Kämpfen des Bankdirektors erzählt, in denen er gegen Minister und Mitglieder des Hofes den Sieg davongetragen hatte, war durchaus geeignet gewesen, Beatens Neugier und Bewunderung zu erregen. Übrigens hatte auch Doktor Teichmann ihn gesprächsweise ein Genie genannt und ihn in der Kühnheit seiner Unternehmungen, was für Teichmann jederzeit das Höchste bedeutete, mit einem todesmutigen Reitergeneral verglichen. So durfte es Beaten wohl ein wenig schmeicheln, wenn gerade dieser Mann sie zu begehren schien, ganz abgesehen von der Genugtuung, die es ihr bereiten würde, der Frau den Mann zu nehmen, die ihr einmal den ihren geraubt hatte. Mir den meinen? fragte sie sich mit verwirrtem Staunen. Was ist mir nur? Wo gerate ich hin? Glaube ich es denn? Es kann ja nicht wahr sein. Alles andere, aber nicht das. Davon hätte ich doch etwas merken müssen. Merken müssen? Warum? War Ferdinand nicht ein Schauspieler und ein großer dazu? Warum sollte es nicht geschehen sein, ohne daß ich es gemerkt habe? Ich war ja so vertrauensvoll, da ist’s wohl nicht schwer gewesen, mich zu betrügen. Nicht schwer … Aber darum muß es noch nicht geschehen sein. Fritz ist ein Schwätzer, ein Lügner, und auch die Gerüchte sind lügnerisch und dumm. Und wenn es doch geschehen ist, nun, so ist es lang vorbei. Und Ferdinand ist tot. Und die damals seine Geliebte war, ist eine alte Frau. Was geht mich all dies Vergangene an? Was jetzt zwischen dem Direktor und mir sich abspielt, ist eine ganz neue Geschichte, die mit jener vergangenen nichts mehr zu tun hat. Wahrhaftig, dachte sie weiter, es wäre so übel nicht, eines Tages dort oben einzuziehen in die fürstliche Villa mit dem großen Park. Welcher Reichtum, welcher Glanz!

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