Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер

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Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler - Артур Шницлер

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Ja, gerade im Laufe dieses Sommers, im Laufe dieser letzten Wochen schien er sonderbar rasch zu altern. Ob daran nicht die Liebe zu ihr mit schuld war? Nun, was tut’s? Es gibt ja Jüngere auch, man wird ihn eben betrügen; es ist offenbar sein Los. Sie lachte kurz, es klang häßlich und bös, und sie fuhr auf wie aus einem wüsten Traum. Wo bin ich? Wo bin ich? flüsterte sie vor sich hin. Sie rang die Hände himmelwärts. Wie tief noch läßt du mich sinken! Gibt es denn keinen Halt mehr? Was ist’s denn, was mich so elend macht und so erbärmlich? Was macht, daß ich überallhin ins Leere greife und nicht besser bin als Fortunata und alle Weiber dieser Art? Und plötzlich mit versagendem Herzschlag wußte sie’s, was sie elend machte: der Boden, auf dem sie jahrelang in Sicherheit dahingewandelt, schwankte, und der Himmel dunkelte über ihr: der einzige Mann, den sie je geliebt, ihr Ferdinand, war ein Lügner gewesen. Ja … sie wußte es nun. Sein ganzes Leben mit ihr war Trug und Heuchelei gewesen; mit Frau Welponer hatte er sie betrogen und mit anderen Frauen, mit Komödiantinnen und Gräfinnen und Dirnen. Und wenn in schwülen Nächten der matte Zauber des Nebeneinanderseins ihn in Beatens Arme gedrängt hatte, so war es von allen Lügen die schlimmste und niedrigste gewesen, denn an ihrer Brust, sie wußte es, hatte er der andern, all der andern in lüsterner Tücke gedacht. Warum aber wußte sie es mit einemmal? Warum? Weil sie nicht anders, nicht besser gewesen war als er! War es denn Ferdinand gewesen, den sie in ihren Armen hielt, der Komödiant mit der roten Nelke, der oft genug erst um drei Uhr morgens, nach Weine riechend, aus der Kneipe nach Hause kam? Der großrednerisch mit trüben Augen leere und unsaubere Dinge schwatzte? Der als junger Mensch von Gnaden einer alternden Witwe seine vornehmen Passionen bestritten und in lustiger Gesellschaft zärtliche Briefchen vorgelesen hatte, die ihm verliebte Närrinnen in die Garderobe sandten? Nein, den hatte sie niemals geliebt. Dem wäre sie ja davongelaufen im ersten Monat ihrer Ehe. Der, den sie liebte, war nicht Ferdinand Heinold gewesen; Hamlet war es, und Cyrano und der königliche Richard und der und jener, Helden und Verbrecher, Sieger und Todgeweihte, Gesegnete und Gezeichnete. Und auch der unheimlich Glühende, der einst in verhangener Sommernacht aus dem verschwiegenen Dämmer des Ehgemachs sie mit sich in den Garten gelockt zu unsäglichen Wonnen, das war nicht er gewesen, sondern irgendein geheimnisvollgewaltiger Geist aus den Bergen, den er spielte, ohne es zu wissen — spielen mußte, weil er ohne Maske nicht zu leben vermochte, weil ihn davor geschauert hätte, im Spiegel ihres Auges je sein wahres Gesicht zu erblicken. So hatte sie ihn immer betrogen, wie er sie, — hatte stets, eine Verlorene von Anbeginn, ein Dasein phantastisch-wilder Lust geführt; nur daß es niemand hatte ahnen können, nicht einmal sie selbst. — Jetzt aber war es offenbar geworden. Immer tiefer zu gleiten war sie bestimmt, und eines Tages, wer weiß wie bald; wird es der ganzen Welt klar sein, daß ihre ganze bürgerliche Wohlanständigkeit eine Lüge war, daß sie um nichts besser ist als Fortunata, Wilhelmine Fallehn und all die andern, die sie bis heute verachtet hat. Und auch ihr Sohn wird es wissen; und wenn er die Sache mit Fritz nicht glaubt, so wird er eine nächste glauben und glauben müssen; — und plötzlich sieht sie ihn leibhaftig vor sich mit schmerzlichen, weit aufgerissenen Augen, die Arme abwehrend vor sich hingestreckt; und wie sie sich ihm nähern will, wendet er in Grauen sich ab und eilt davon mit traumhaft fliegenden Schritten. Und sie stöhnt auf, mit einem Male wieder völlig wach. Hugo verlieren?! Alles, — nur das nicht. Lieber sterben, als keinen Sohn mehr haben. Sterben, ja. Denn dann hat sie ihn wieder. Dann kommt er an das Grab der Mutter und kniet nieder und schmückt es mit Blumen und faltet die Hände und betet für sie. Rührung schleicht bei diesem Gedanken, süß und widerlich, trügerisch-friedvoll in ihre Seele. Doch tief in ihr raunt es: darf ich denn ruhen? Habe ich denn nicht noch über vieles nachzudenken? Gewiß … Morgen geht es ja auf die Reise. Morgen … Was ist da noch alles zu tun … So viel … so viel …

      Und in der sie umgebenden Dämmerstille fühlte sie, daß draußen Welt, Menschen und Landschaft aus dem Sommernachmittagsschlummer erwacht sein mußten. Allerlei fernes Geräusch, unbestimmbar und verwirrt, drang durch die geschlossenen Spalettläden zu ihr. Und sie wußte, daß die Leute nun schon auf Spazierwegen wandelten, in Kähnen fuhren, Tennis spielten und auf der Hotelterrasse Kaffee tranken; ja, in ihrem noch halb träumenden Zustand sah sie ein heiteres Gewimmel von Sommerleuten, in spielzeughafter Kleinheit, aber farbig-deutlich vor sich auf und nieder schweben. Das Ticken der Taschenuhr auf ihrem Nachtkästchen tönte überlaut und wie mahnend in ihr Ohr. In Beate meldete sich die Neugier zu wissen, wie spät es sei, aber noch hatte sie die Kraft nicht, ihren Kopf zu wenden oder gar Licht zu machen. Irgendein neues, näheres Geräusch, aus dem Garten offenbar, war allmählich vernehmbar geworden. Was mochte das sein? Menschenstimmen, zweifellos. So nah? Stimmen im Garten? Hugo und Fritz? Wie ist es denn möglich, daß die beiden schon zurück sind? Nun, der Abend ist nah, und Fritz war wohl von seiner Sehnsucht so bald zurückgetrieben worden. Aber Hugo? Sie hatte nicht zu hoffen gewagt, daß er vor Mitternacht von seinem sogenannten Ausflug daheim sein würde. Doch wer hat ihnen aufgetan? Hatte sie denn nicht die Türe versperrt? Und das Mädchen kann ja noch nicht zurück sein. Gewiß haben sie zuerst geklingelt, und sie hat es im Schlaf überhört. Dann sind sie wohl wieder einmal über den Zaun geklettert, und daß die Frau des Hauses daheim ist, können sie natürlich nicht ahnen. Nun lacht einer von den beiden draußen. Was ist denn das für ein Lachen? Hugos Lachen ist es nicht. Aber auch Fritz lacht nicht so. Jetzt lacht der andere. Das ist Fritz. Nun wieder der erste. Das ist nicht Hugo. Er spricht. Auch Hugos Stimme ist es nicht. So ist Fritz mit einem anderen im Garten? Nun sind sie ja ganz nahe. Es scheint, daß sie sich draußen auf die Bank gesetzt haben, auf die weiße unter dem Fenster. Und nun hört sie, wie Fritz jenen andern beim Namen nennt. Rudi … Also, mit dem sitzt er unter ihrem Fenster. Nun, gar so erstaunlich ist das eben nicht. Es war ja neulich in ihrer Gegenwart abgemacht worden, daß Rudi Beratoner bald wieder herüberkommen sollte. Vielleicht war er schon früher dagewesen, hatte niemanden angetroffen und war dann am Bahnhof oder sonstwo Fritz begegnet, den die Liebe so früh aus Ischl wieder zurückgetrieben hatte. Jedenfalls lag kein Grund vor, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie waren nun einmal da, die beiden jungen Herren und saßen im Garten auf der weißen Bank unter dem Fenster des Nebenzimmers. Nun hieß es aber aufstehen, sich ankleiden, und hinaus in den Garten. Warum? Mußte sie wirklich in den Garten? Hatte sie so besondere Sehnsucht, Fritz wiederzusehen oder hatte sie gar Lust, den unverschämten Jungen zu begrüßen, der neulich ihres verstorbenen Gatten Stimme und Gebärdenspiel mit so höhnischer Vortrefflichkeit nachgeäfft hatte? Aber es blieb ihr am Ende nichts anderes übrig, als den jungen Leuten guten Abend zu sagen. Sie konnte sich ja nicht auf die Dauer hier so stille halten und indessen die beiden draußen schwätzen lassen, was ihnen beliebte. Daß es keine sonderlich saubere Unterhaltung sein dürfte, das ließ sich wohl vermuten. Nun, das ging sie ja weiter nichts an. Sie sollten reden, was sie wollten.

      Beate hatte sich erhoben und saß auf dem Bettrand. Da hörte sie zum erstenmal ein Wort mit völliger Deutlichkeit an ihr Ohr dringen, den Namen ihres Sohnes. Natürlich redeten sie über Hugo; und was, das war nicht schwer zu erraten. Nun lachten sie wieder. Aber die Worte waren nicht zu verstehen. Ganz nah am Fenster hätte sie dem Gespräche wohl folgen können, aber es war vielleicht besser darauf zu verzichten. Man konnte unangenehme Überraschungen erleben. Jedenfalls war es das klügste, sich so rasch als möglich fertig zu machen und in den Garten zu begeben. Aber es drängte Beate doch, vorerst ganz leise zu den verschlossenen Läden hinzuschleichen. Durch einen schmalen Spalt guckte sie hinaus und vermochte nichts zu sehen als einen Streifen Grün; dann durch einen andern einen blauen Himmelsstreif. Aber um so besser würde sie jetzt hören, was da draußen auf der Bank gesprochen wurde. Wieder war es nur der Name ihres Hugo, den sie vernehmen konnte. Alles andere klang so geflüstert und getuschelt, als hätten die beiden immerhin die Möglichkeit des Belauschtwerdens in Betracht gezogen. Beate legte das Ohr an die Spalte, und aufatmend lächelte sie. Sie redeten ja von der Schule. Ganz deutlich verstand sie: »Da hätt’ ihn der ekelhafte Kerl am liebsten durchfallen lassen.« Und dann: »Ein böser Hund.« Sie schlich wieder zurück, hüllte sich geschwind in ein bequemes Hauskleid: dann, von unbezwinglicher Neugier gepackt, glitt sie wieder zum Fenster hin. Und nun merkte sie, daß nicht mehr von der Schule gesprochen wurde. »Eine Baronin ist sie?« Das war Rudi Beratoners Stimme. Und jetzt … pfui, was war das für ein häßliches Wort. »Den ganzen Tag ist er mit ihr zusammen und heut —« Oh, das war Fritzens Stimme. Unwillkürlich hielt sie sich die Ohren zu, entfernte sich vom Fenster und war entschlossen, sofort in den Garten zu eilen. Aber eh’

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