Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер

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Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler - Артур Шницлер

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sie bebte leis. — Sie saß am Steuer und lenkte das Schiff gegen die Mitte des Sees zu. Noch immer war der Mond nicht aufgegangen, aber das Wasser ringsum, als hätte es die Tagessonne in sich aufbewahrt, umfloß den Kahn mit einem matten Lichtkreis. Manchmal kam auch noch vom Ufer her ein Strahl, in dem Beate zu sehen glaubte, wie Hugos Antlitz immer frischer und unbesorgter wurde. Als sie ziemlich weit draußen waren, ließ Hugo die Ruder sinken, entledigte sich seines Rockes und öffnete den Hemdkragen. Wie ähnlich er seinem Vater sieht, dachte Beate mit wehem Staunen. Nur hab’ ich den nicht so jung gekannt. Und wie schön er ist. Es sind edlere Züge als die Ferdinands. Doch die hab’ ich ja nie gekannt, auch seine Stimme nie, es waren ja immer die Stimmen und Gesichter von andern. Seh ich ihn heut zum erstenmal? … Und es schauerte sie tief. Aber nun begannen Hugos Züge, da der Kahn ganz in den Nachtschatten der Berge gelangt war, allmählich zu verschwimmen. Er begann wieder zu rudern, doch ganz langsam, und sie kamen kaum von der Stelle. Nun wäre es wohl an der Zeit, dachte Beate, wußte aber einen Augenblick gar nicht recht, wozu es Zeit sein sollte, bis ihr plötzlich wieder, als erwachte sie aus einem Traum, der Wunsch, Hugos Erlebnis zu kennen, brennend durch die Sinne fuhr. Und sie fragte: »Also, Hugo, was ist geschehen?« Er schüttelte nur den Kopf. Sie aber mit wachsender Spannung fühlte, daß es ihm mit seiner Weigerung nicht mehr Ernst war. »Sprich nur, Hugo«, sagte sie. »Du kannst mir alles sagen. Ich weiß ja schon so viel. Du kannst es dir wohl denken.« Und als vermöchte sie damit einen letzten Zauber zu bannen, flüsterte sie den Namen in die Nacht: »Fortunata«.

      Durch Hugos Körper ging ein Zittern, so heftig, daß es sich dem Kahne mitzuteilen schien. Beate fragte weiter: »Du warst heute bei ihr — und so kommst du zurück? Was hat sie dir getan, Hugo?«

      Hugo schwieg, ruderte gleichmäßig weiter, sah in die Luft. Plötzlich kam es Beate wie eine Erleuchtung. Sie griff sich an die Stirn, als verstünde sie gar nicht, daß sie es nicht früher erraten, und sich nahe zu Hugo beugend, flüsterte sie rasch: »Der ferne Kapitän war da, nicht wahr? Und der hat dich bei ihr gefunden?« Hugo blickte auf: »Der Kapitän?«

      Jetzt erst fiel ihr ein, daß der, den sie meinte, gar kein Kapitän war. »Den Baron mein ich«, sagte sie. »Er war da? Er hat euch gefunden? Er hat dich beleidigt? Er hat dich geschlagen, Hugo?«

      »Nein, Mutter, der, von dem du sprichst, der ist nicht da. Ich kenn ihn gar nicht. Ich schwör es dir, Mutter.«

      »Was also denn?« fragte Beate. »Sie hat dich nicht mehr lieb? Sie ist deiner überdrüssig? Sie hat dich verhöhnt? Hat dir die Türe gewiesen? Ja, Hugo?«

      »Nein, Mutter.« Und er schwieg.

      »Also, Hugo, was denn? So sprich doch.«

      »Frag nicht mehr, Mutter, frag nicht. Es ist zu furchtbar.«

      Nun flammte ihre Neugier züngelnd auf. Es war ihr, als müßte aus der Wirrheit dieses Tages, der voll von Rätseln war, voll alter und neuer, endlich irgendwoher eine Antwort kommen. Sie griff mit beiden Händen in die Luft, als wollte sie dort irgend etwas Zerflatterndes fassen. Sie ließ sich von der Steuerbank heruntergleiten und saß nun zu Hugos Füßen. »So rede doch,« begann sie, »du kannst mir alles sagen, brauchst keine Scheu zu haben, ich versteh ja alles! Alles. Ich bin deine Mutter, Hugo, und ich bin eine Frau. Bedenke das, auch eine Frau bin ich. Du mußt nicht fürchten, daß du mich verletzen, mein Zartgefühl beleidigen könntest. Ich habe viel mitgemacht in dieser letzten Zeit. Ich bin ja noch keine … alte Frau. Ich verstehe alles. Zu viel, mein Sohn … Du mußt nicht denken, daß wir gar so weit voneinander sind, Hugo, und daß es Dinge gibt, die man mir nicht sagen darf.« Sie fühlte mit verwirrtem Staunen, wie sie sich preisgab, wie sie lockte. »Oh, wenn du wüßtest, Hugo, wenn du wüßtest.« Und die Antwort kam: »Ich weiß, Mutter.«

      Beate erbebte. Doch sie empfand keine Scham mehr, nur ein erlösendes Bewußtsein von Ihm-näher-sein und Zu-ihm-gehören. Sie saß ihm zu Füßen auf dem Grund des Bootes und nahm seine Hände in die ihren. »Erzähle«, flüsterte sie.

      Und er sprach, aber er erzählte nichts. Mit dumpfen abgerissenen Worten erklärte er nur, daß er niemals wieder unter Menschen sich zeigen könne. Was heute mit ihm geschehen war, das jagte ihn für immer aus dem Bereich alles Lebens.

      »Was, was ist geschehen?«

      »Ich bin nicht bei Sinnen gewesen. — Ich weiß nicht, was geschehen ist. Sie haben mich betrunken gemacht.«

      »Sie haben dich betrunken gemacht? Wer, wer? — Du warst — nicht allein mit Fortunata?« Es fiel ihr ein, daß sie ihn neulich in Gesellschaft von Wilhelmine Fallehn und dem Kunstreiter gesehen hatte. Die also waren dort gewesen? Und mit erstickender Stimme fragte sie noch einmal: »Was ist geschehen?« Doch ohne daß Hugo antwortete, wußte sie’s schon. Ein Bild malte sich vor ihren Augen in die Nacht, von dem sie entsetzt die Blicke fortwenden wollte, das ihr aber schamlos frech hinter die geschlossenen Lider folgte. Und in neuer schreckensvoller Ahnung, die Augen wieder öffnend und starr auf Hugos stumm gepreßte Lippen richtend, die sie doch nicht zu sehen vermochte, fragte sie: »Seit heute weißt du? Dort haben sie dir’s gesagt?«

      Er erwiderte nichts, doch ein Zucken lief durch seinen ganzen Körper, so wild, daß es ihn willenlos auf den Grund des Bootes warf, an Beatens Seite hin. Sie stöhnte einmal nur auf, verzweifelnd, und in einem Schauer unsäglicher Verlassenheit faßte sie von neuem nach Hugos fiebrig zitternden Händen, die ihr entglitten waren. Nun überließ er sie ihr, und das tat ihr wohl. Sie zog ihn näher zu sich heran, drängte sich an ihn; eine schmerzliche Sehnsucht stieg aus der Tiefe ihrer Seele auf und flutete dunkel in die seine über. Und beiden war es, als triebe ihr Kahn, der doch fast stille stand, weiter und weiter, in wachsender Schnelle. Wohin trieb er sie? Durch welchen Traum ohne Ziel? Nach welcher Welt ohne Gebot? Mußte er jemals wieder ans Land? Durfte er je? Zu gleicher Fahrt waren sie verbunden, der Himmel barg für sie in seinen Wolken keinen Morgen mehr; und im verführerischen Vorgefühl der ewigen Nacht gaben sie die vergehenden Lippen einander hin. Ruderlos glitt der Kahn fort, nach fernsten Ufern, und Beate war es, als küßte sie in dieser Stunde einen, den sie nie gekannt hatte und der ihr Gatte gewesen war, zum erstenmal. Als sie ihre Besinnung wiederkehren fühlte, war ihr noch so viel Seelenkraft geschenkt, um sich vor völligem Wachwerden zu bewahren. Hugos beide Hände gefaßt haltend, schwang sie sich auf den Rand des Kahnes. Als sich das Schiff zur Seite neigte, öffneten sich Hugos Augen zu einem Blick, in dem ein Schimmer von Angst ihn zum letztenmal mit dem gemeinen Los der Menschen verbinden wollte. Beate zog den Geliebten, den Sohn, den Todgeweihten, an ihre Brust. Verstehend, verzeihend, erlöst schloß er die Augen; die ihren aber faßten noch einmal die in drohendem Dämmer aufsteigenden grauen Ufer, und ehe die lauen Wellen sich zwischen ihre Lider drängten, trank ihr sterbender Blick die letzten Schatten der verlöschenden Welt.

       Der Sohn

       Inhaltsverzeichnis

      Aus den Papieren eines Arztes

      Ich sitze noch um Mitternacht an meinem Schreibtisch. Der Gedanke an jene unglückliche Frau läßt mich nicht zur Ruhe kommen… Ich denke an das düstere Hofzimmer mit den altertümlichen Bildern; an das Bett mit dem blutgeröteten Polster, auf dem ihr blasser Kopf mit den halbgeschlossenen Augen ruhte. Ein so trüber Regenmorgen war es überdies. Und in der andern Zimmerecke, auf einem Stuhle, die Beine übereinandergeschlagen, mit trotzigem Gesichte, saß er, der Unselige, der Sohn, der das Beil gegen das Haupt der Mutter erhoben… Ja, es gibt solche Menschen, und sie sind nicht immer wahnsinnig! Ich sah mir dieses trotzige Gesicht an, ich versuchte darin zu lesen. Ein böses, bleiches Antlitz, nicht häßlich, nicht dumm, mit blutleeren Lippen, die Augen verdüstert, das Kinn in dem zerknitterten Hemdkragen vergraben, um den Hals eine flatternde Binde, deren eines Ende er zwischen den schmalen Fingern hin und her drehte. –

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