Die Entdeckung des Nordpols. Robert E. Peary
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Die neuerliche Rekognoszierung der Nordkante von Grönland scheiterte zunächst; und als sie dann 1895 gelang, brachte sie nichts anderes als das Wiedersehen mit etwas Bekanntem. Ein Lichtblick war zwar die Geburt von Pearys Tochter Marie Ahnighito am 11. September 1893 in der »Anniversary Lodge« oberhalb des 77. Breitengrades gewesen – nur: Musste man für dergleichen eine Expedition ins Polarmeer abhalten? »Dieses Satanszeug arktische Forschung«, das Peary jetzt verfluchte, wurde auch dadurch bloß geringfügig aufgewertet, dass er bei seiner Heimkehr im Sommer 1895 zwei vermeintliche Meteoriten präsentieren konnte, die er in Grönland ausgegraben hatte.
Den dritten und massigsten Eisenklumpen zu bergen gelang ihm erst 1897. Da hatte Peary schon zwei weitere Exkursionen nach Grönland unternommen, die so belanglos waren, dass sie sein penibler Biograf Wally Herbert in The Noose of Laureis (»Die Lorbeerschlinge«, 1989) in einem Halbsatz abtut.
Robert Edwin Peary war jetzt einundvierzig Jahre alt, ein Medienstar, zweifellos, »The Hero of Heroes«, als der er vor jedem Auftritt angekündigt wurde – und gestresst. Denn seine Zugkraft schwand: Vier der sechs Eskimos, die er – Menschen, Iglus, Sensationen! – exportiert hatte, waren in New York an Lungenentzündung gestorben, die ›Meteoriten‹ hatte »Jo« dem American Museum of Natural History verkauft, im eigentlichen Sinne entdeckt hatte er nichts (nicht einmal die himmlischen Gesteinsbrocken: die kannte schon John Ross 1818) und keinen Rekord aufgestellt; vom Skandal seines Ehebruchs mit der Eingeborenen Aleqasina war noch nichts verlautet. Kurzum: Das hoch geschätzte Publikum erwartete eine neue Attraktion.
Also gab der Äquilibrist – die Wendung sei erlaubt – dem Affen Zucker, indem er kundtat, dass der Hauptzweck aller seiner Anstrengung die Einnahme des Nordpols sei. Und damit auch jeder, Yankee oder Südstaatler, den Stellenwert ermaß, den er der Sache zuschrieb, verließ er 1898 den Hafen von New York am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag.
Die Parole für das Bevorstehende hatte er – in Abwandlung auf die eigene Person – der Tragödie Hercules furens (um 50 n. Chr.) des römischen Dramatikers Lucius Annaeus Seneca entnommen: »Inveniam viam aut faciam« ... »Ich werde einen Weg finden oder mir einen bahnen.«
Der Ausspruch sollte in einer Weise bedeutsam werden, die niemand in ihrer Zweideutigkeit voraussehen konnte.
DAS BASTA EINES SÜCHTIGEN
Sein Basisdepot legte Peary diesmal circa vier Breitengrade nördlich von »Red Cliff House« und »Anniversary Lodge« an. Denn nachdem er mit der »Windward« Mitte August am Westufer des Smith-Sunds festgemacht und dort die ersten Monate tatenlos verbracht hatte, war er im Dezember mit seinem »Negerdiener«, seinem treuen Sancho Pansa, und vier Eskimos – »Jo« nannte sie in handfestem Rassismus seine »Huskys« – an der Ostseite der Ellesmere-Insel nach »Fort Conger« marschiert, in jenes Camp, das Adolphus Washington Greely 1881 angelegt hatte. Peary zerstörte es und benutzte die dabei gewonnenen Vorräte zur Bestückung des eigenen Lagers.
Zum einen war er da vierhundertfünfzig Kilometer näher am Pol. Zum anderen hatte er die nervös machende Nachbarschaft Otto Sverdrups, des alten Gefährten Fridtjof Nansens, hinter sich gelassen, der mit der »Fram« im Smith-Sund so dicht bei Pearys Quartier ankerte, dass sich die beiden Teams eines Tages zufällig begegnet waren.
Das Opfer, das Peary für den gewonnenen Abstand sowie den Vorsprung vor einem imaginären Rivalen bringen musste – tatsächlich wollte Sverdrup das Kartenmaterial der Arktis präzisieren –, war hoch: Er hatte sich auf dem Weg nach »Fort Conger« die Füße erfroren und war daher gezwungen, zur »Windward« zurückzukehren. Dort wurden ihm am 13. März 1899 alle Zehen amputiert. Zu Henson sagte er: »Na und – was sind schon ein paar Zehen als Preis dafür, zum Pol zu kommen?«
Aber er kam nicht zum Pol. Weder in diesem Jahr noch im nächsten noch im übernächsten. Und als er es dann am 6. April 1902 energisch wieder versuchte, wieder mit Henson und wieder mit vier Eskimos, geriet er in ein solches Labyrinth von tiefen Waken und verkeilten Schollen, dass er das Ganze am 21. April bei 84° 17’ abbrach. Achtzig Meilen waren sie in sechzehn Tagen gegangen, einhundertfünfzig Kilometer – das heißt: nicht einmal zehn Kilometer pro Tag. Da gab sich der ausgebremste Berserker geschlagen und retirierte im August 1902 nach Hause. »Das Spiel ist aus«, erklärte er.
Es war das Basta eines Süchtigen.
Seinen Einsatz hatte er verloren ... Er war verstümmelt; hatte mit Aleqasina, der Mutter seines im Mai 1900 geborenen Sohnes Anaukak (1906 schenkte sie ihm noch den Sohn Kaie), die stets loyale »Jo« betrogen; sich mit Dr. Dedrick, seinem Schiffsarzt und Lebensretter, überworfen – und nicht einmal ein »Farthest North« erreicht: Verglichen mit Umberto Cagnis 86° 34’ waren seine 84° 17’, unter Brüdern, eine Stümperei.
Dass man das durchaus anders sehen konnte, bewies der virulente Nationalismus in den USA. Er interpretierte Pearys sechsmaliges Anrennen gegen die Stellungen des Saturn als Ausdruck eines Pioniergeists, der alles, aber auch alles daransetzen würde, das Sternenbanner am Pol einzurammen.
Folgerichtig wurde Peary daheim nicht etwa als Maniac von der traurigen Gestalt geschmäht, sondern als Ausbund von vaterländischem Kämpfertum auf den Schild gehoben: Ein 1899 gegründeter Peary Arctic Club trug ihm seine Hilfe an. Er wurde in absentia 1901 zum Kapitänleutnant und 1902 zum Fregattenkapitän der United States Navy ernannt. Und am 5. September 1903 beauftragte ihn sein Dienstherr ganz im Stil der Muscovy Society von 1607 kurz und bündig, den Pol zu erreichen: »Unser Nationalstolz ist an dieser Unternehmung beteiligt, und das Ministerium erwartet, dass Sie deren Zweck erfüllen und einer Armee, die auf leuchtende Großtaten zurückblicken kann, eine weitere Glanzleistung bescheren.«
Damit war Pearys fixe Idee sanktioniert. Das Schiff, das er eiligst bauen ließ, erhielt den Namen »Roosevelt« (oder liebevoll »Teddy«). Und als es am 16. Juli 1905 von Manhattan auslief– mit an Bord waren auf der ersten Etappe seine Frau »Jo«, seine Tochter Marie und sein zweijähriger Sohn Robert Edwin jr. –, dürfte dem Explorer in den Ohren geklungen haben, was der Minister als Sprachrohr des Präsidenten der Vereinigten Staaten seiner Sieges-Order noch angefügt hatte: »Nothing short will suffice« ... »Weniger tut’s nicht.«
Durch persönliche Exaltiertheit und kollektive Hybris hatte sich Peary vor seiner siebten Arktis-Fahrt in einem Dilemma verfangen, dessen Knoten er nur als Bezwinger des Nordpols entzweihauen konnte. »Nothing short will suffice.«
Diese ideologische Disposition muss man kennen, um zu verstehen, was hernach passierte ...
Peary fuhr – er hatte es längst »die amerikanische Route zum Pol« getauft – wieder durch den Smith-Sund, das Kane-Becken und den Kennedy-Kanal, vorbei an »Fort Conger« bis Kap Sheridan im Nordosten der Ellesmere-Insel. Doch weil das Eis stark nach Osten driftete, ging er, um direkt auf den Pol zuzuhalten, zuerst einhundertzehn Kilometer nach Westen zum Point Moss und brach dann am 6. März 1906 nordwärts auf.
Es wird immer zu den offenen Fragen um Robert Edwin Peary gehören, warum er – der seit zwanzig Jahren den arktischen Ozean kannte – auf seinem Zug über das Eis keine Kajaks mit sich führte. So geschah es, dass er ständig gezwungen war, vor kleineren und größeren Wasserrinnen auszuharren, bis sie sich schlössen ... oder dass er Umwege um den »Hudson River« oder gar den