Die Entdeckung des Nordpols. Robert E. Peary
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Doch niemand weiß, wo er das tat.
Am letzten Spalt hatte er den Heizer Ryan zurückgeschickt und damit allein Henson und sechs Eskimos bei sich. Die aber waren samt und sonders außerstande, mit einem Sextanten zu hantieren. Daher sahen sie lediglich ein Irgendwo, als Peary verkündete: »Wir haben 87° 06’ nördlicher Breite erreicht, und ich habe endlich den Rekord gebrochen.«
Gestern hatte er noch 86° 30’ festgestellt – siebeneinhalb Kilometer unterhalb von Cagnis Marke. Und heute wollte er über eine Distanz von siebenundsechzig Kilometern ohne jeden Schlenker nach rechts oder links dahingeflogen sein ... über das Packeis, den Schnee und die Priele ... auf 87° 06’ ...
Das Original seines Reisejournals ist verloren. Angaben seiner täglichen Marschleistung gibt es nicht. An exakten Daten seiner Positionen auf den Meridianen mangelt es. An verlässlichen Gewährsleuten fehlt es. Ergebnisse von Lotungen liegen nicht vor. Der Zeitpunkt seiner Heimkehr zum Schiff ist unbekannt. Daher blieb jeder Versuch, sein »Farthest North« zu verifizieren, von vornherein Spekulation.
»Nothing less will suffice.« Mochte Peary auch befürchtet haben, als Versager empfangen zu werden, dann hatte er die Rechnung ohne den Peary Arctic Club, ohne die National Geographic Society und ohne den Präsidenten gemacht. Sie alle ließen den amerikanischen Champion von 87° 06’ hochleben und verliehen ihm Ehrentitel und -medaillen. Und je länger bei den Festakten, Festmahlen und Festreden die Scheinwerfer auf ihn gerichtet waren, desto mehr lichtete sich das Clair-obscur um seine Person, bis er als der immer tatendurstige Überwinder dastand und der SUNDAY HERALD am 16. Dezember 1906 mit der Schlagzeile aufmachen konnte: »Peary versichert, der Pol ist bei Anwendung seiner Methoden erreichbar.«
Und hatte er gerade noch die Beendigung seiner »arktischen Tätigkeit« erwogen, so begann das jetzt alles von neuem: das Geldgeber-Suchen, Bemannung-Ernennen, »Roosevelt«-Rüsten – da platzte am 1. Oktober 1907 die Nachricht herein, dass Dr. Frederick Albert Cook, Pearys alter Arzt und Weggenosse, auf dem Marsch zum Nordpol sei.
DAS WERK, »FÜR DAS MICH GOTT DER ALLMÄCHTIGE AUSERWÄHLT HAT«
Peary war wie gelähmt. Über Nacht musste er befürchten, dass ein Mitbewerber um das Endziel ihm, dessen Name – beinahe – »überall in Kreisen der Kultur und Bildung als Sesam-öffne-dich« wirkte, den Rang ablaufen könnte. Im Nu stünde er im Schatten Dr. Cooks, sein Image würde verblassen und demnächst vergessen sein, zwanzig Jahre Schinderei wären für nichts darangegeben, sein Leben verpfuscht – ja, vom Schöpfer selbst um den Erfolg gebracht. Denn hatte Peary nicht seinem Gönner im White House offenbart: »Ich glaube daran, dass ich diesmal siegen werde; wie ich daran glaube, dass dieses das Werk ist, für das mich Gott der Allmächtige auserwählt hat«?
Dann besann sich Peary auf das, was ihn »bei Anwendung seiner Methoden« auf 87° 06’ gebracht hatte, und fuhr noch einmal hinaus. Am 6. Juli 1908. Vom Pier an der vierundzwanzigsten Straße in New York. »Es war dies für mich die letzte Möglichkeit, den Traum meines Lebens in die Wirklichkeit umzusetzen.«
Er schlug den gewohnten »Imperial Highway« ein. Und als er in Etah, am Ostufer des Smith-Sunds, auf eine Kate stieß, von der die Eskimos erzählten, sie gehöre Dr. Cook, nagelte er einen Zettel an die Tür, und der besagte: »Dr. Cook ist lange tot.« Danach ging es weiter, wie vor drei Jahren, bis er am 5. September Kap Sheridan auf der Ellesmere-Insel erreichte. Die »Roosevelt« wurde winterfest gemacht und anschließend wurde – diesmal noch fünfzig Kilometer hinter Point Moss – bei Kap Columbia Verpflegung gebunkert, am »nördlichsten Ende von Nordamerika«. Dann kam Weihnachten, kam Silvester. Und als die bärtige Runde in Robert Burns’ traditionellem Lied zum Jahresausklang Auld Lang Syne (1797) die Verse sang, mit denen alter Gefährten gedacht wird – »Should auld acquaintance be forgot,/And never brought to mind?« –, dürfte nicht einmal der inbrünstigste Todeswunsch Peary von der Angst befreit haben zu wissen, dass hier oben irgendwo Dr. Cook herumspukte. Deshalb war Eile geboten.
Im Nebel sind alle Pole weiß ... oder: Das Hauen und Stechen zwischen Peary und Cook um den ersten Nordpolbesuch wird auf dieser französischen Karikatur aus dem Jahre 1909 von Pinguinen verfolgt, die es nur am Südpol gibt
Am 15. Februar 1909 ging es los. Sechsundzwanzig Nordpolstürmer, achtundzwanzig Schlitten und einhundertvierzig Hunde und kein Kajak. Im steten Schrittmachen, Depot-Anlegen und Aufrücken entstand ein Rhythmus des Avancements, aus dem indessen immer öfter Teilnehmer ausscheiden mussten. Entweder hatten sie sich verletzt oder waren erschöpft oder wiesen Erfrierungen auf. Als sie am Ende auf eine Höhe von 87° 47’ geklommen waren und Peary und Henson nur noch vom Kapitän der »Roosevelt« Robert Abram Bartlett und dessen Tross begleitet wurden, schickte Peary den Letzten, der außer ihm Observationen vornehmen konnte – eben Bartlett – zurück. Er wollte die via triumphalis allein betreten (dass der Schwarze sowie die vier Eskimos Etschingwäh, Sieglu, Uquiäh und Utäh für ihn dabei nicht zählten, gab er später unumwunden zu).
Vor ihm lagen zweihundertvierzig Kilometer. Und hatte er bisher im Durchschnitt pro Tag an die zwanzig Kilometer über Packeisblöcke und um Rinnsale herum geschafft – wobei es schon einmal zu einem Maximum von sechsunddreißig Kilometern kommen konnte –, wuchs seine Leistung im selben Augenblick auf über das Doppelte an, als er keinen fachkundigen Zeugen mehr hatte. Und das, obwohl er stellenweise Barrieren von fünfzehn Metern Höhe überklettern musste, mehrfach ins Wasser stürzte, sich am Fuß verletzte, daher zeitweilig auf einen Schlitten gelegt ward und sich am 3. April seinen Weg nur mit Spitzhacken freihauen konnte. Eine Magical MysteryTour!
Sie endete nach Pearys Auskunft am 6. April 1909 damit – dass er ein Nickerchen machte.
Er hatte in der Frühe 89° 57’ gemessen. Dann war er so ermattet, dass er in ein von Henson und den Eskimos gebautes Iglu kroch, um zu schlafen. Noch fehlten fünfeinhalb Kilometer bis zum Ende des Weges. Aber was war das für eine lächerliche Entfernung angesichts der bisherigen Distanzen! »Das Erste, was ich nach dem Erwachen tat, war, folgende Worte in mein Tagebuch zu schreiben: ›Endlich der Pol. Der Preis von drei Jahrhunderten. Mein Traum und Ziel seit zwanzig Jahren. Endlich mein! Ich kann es noch nicht begreifen. Es scheint alles so einfach und selbstverständlich.‹«
Das Einzige, das sich bei Pearys »Eroberung des Nordpols« hieb- und stichfest beweisen lässt, wirklich das Einzige ist: dass der hier gedruckte Wortlaut nicht mit dem ursprünglichen übereinstimmt. Der war länger gewesen und hatte zum Beispiel statt von »Ziel« von »Ehrgeiz« gesprochen. Obendrein war er nicht in das Tagebuch eingetragen, sondern stand auf einem losen Blatt, das zwischen die leeren Seiten vom 6. und 7. April gelegt – aber dort auch nicht herausgerissen – war.
Die sonstigen Umstände seiner Aneignung der »Welttrophäe« liegen nicht nur im Zwielicht, sondern in Stockfinsternis.
Räumt man ihm die Steigerung seines Marschtempos ein, so besagt dies noch gar nichts über das Einlaufen im Ziel, weil Pearys Positionsbestimmung willkürlich war. Genauso wenig wie irgendjemand die von ihm publizierten Daten bestätigen kann, ist es möglich nachzuweisen, dass er sie ermittelt hat und wo die präsentierten Notizen angefertigt wurden. Eine Posse sondergleichen ist es zudem, dass Peary die Nachwelt glauben machen wollte, er sei die ganze Zeit über unbeirrt von jeglicher Drift, von Fehlgängen und Umwegen um Schneeklüfte und Eisschroffen – und ohne eine Missweisungstabelle – mit nachtwandlerischer Sicherheit auf 70° westlicher Länge,