Selbstbetrachtungen. Marc Aurel

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Selbstbetrachtungen - Marc  Aurel Kleine philosophische Reihe

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ein müßiges Leben führte. Ja, zu diesem allem bedurfte es des Beistands der Götter und des Glücks.

      Gleich in der ersten Morgenstunde sage zu dir: Heute werde ich mit einem vorwitzigen, undankbaren, übermütigen, verschlagenen, verleumderischen, ungeselligen Menschen zusammentreffen. Alle diese Fehler haften an ihnen nur wegen ihrer Unkenntnis des Guten und des Bösen. Ich hingegen sehe es ein, dass das Gute seinem Wesen nach schön, das Böse hässlich ist, und weiß von der Natur selbst des Fehlenden, dass sie mit der meinigen verwandt ist, nicht sowohl desselben Blutes und Samens, als vielmehr derselben Vernunft, des gleichen göttlichen Funkens teilhaftig. Auch weiß ich, dass weder er, noch sonst ein Mensch mich beschädigen kann; denn niemand vermag es, mich in etwas Schändliches zu verwickeln; aber ebensowenig kann ich dem, der mir verwandt ist, zürnen oder ihm gram sein; sind wir ja vielmehr zu gemeinschaftlicher Wirksamkeit da, wie die Füße, die Hände, die Augenlider, die oberen und unteren Reihen der Zähne. Einander entgegenwirken, wäre mithin gegen die Natur; auf jemand aber ungehalten sein und von ihm sich abwenden, hieße ihm entgegenwirken.

      Was ich auch sein mag, es ist ein wenig Fleisch und Lebenshauch und die herrschende Vernunft. Weg mit den vielen Büchern! Lass dich nicht mehr hin- und herzerren: es ist dir nicht gestattet. Erhebe dich vielmehr über dieses bisschen Fleisch wie einer, der bald sterben muss. Es ist ja doch nur Blut und Knochen, ein Gewebe aus Nerven, Sehnen und Adern geflochten. Betrachte aber auch deinen Lebensgeist, und was er ist: Ein Hauch, und nicht einmal immer derselbe, sondern in jeder Stunde ausgestoßen und wieder eingeatmet. Das dritte ist die herrschende Vernunft. Hier nun denke so: Du bist alt; lass sie nicht länger dienstbar sein, nicht länger von ungeselligen Trieben, einer Puppe gleich, hin- und hergezogen werden, sei nicht länger über dein gegenwärtiges Geschick erbost, noch suche dem zukünftigen feige zu entrinnen.

      Die Werke der Götter sind voll von Spuren ihrer Vorsehung. Auch die scheinbar zufälligen Ereignisse sind nicht unnatürlich, treten nicht ein ohne das Zusammenwirken und die Verkettung der von der Vorsehung gelenkten Ursachen. Alles geht von ihr aus. Hierzu kommt aber auch das Notwendige und dasjenige, was dem Weltganzen, wovon du ein Teil bist, zum Vorteil gereicht. Was aber die Natur des Ganzen mit sich bringt und was zu ihrer Erhaltung beiträgt, das muss auch für jeden einzelnen Teil der Natur gut sein. Die Verwandlungen der einfachen Grundstoffe sowie der zusammengesetzten Körper erhalten die Welt. Hierbei beruhige dich; das soll dir stets zur Lehre dienen. Strebe nicht nach Weisheit, wie sie in Büchern zu finden ist, sondern halte sie dir fern, damit du ohne Verdruss, mit wahrer Seelenruhe und im Herzen den Göttern dankend, sterben kannst.

      Zweites Buch

      1.

      Bedenke, wie lange du diese Betrachtungen verschoben und wie oft du die von den Göttern dir hierzu gebotenen Gelegenheiten nicht genutzt hast. Du solltest es doch endlich einmal empfinden, von welcher Welt du ein Teil, von welchem Weltregenten du ein Ausfluss bist, dass für dich die Zeit bereits zugemessen ist und dass, wenn du sie nicht zur Aufheiterung deines Gemütes benutzt, dieselbe dahingeht und du auch dahingehst und sie nicht wiederkehrt.

      Jederzeit sei ernstlich darauf bedacht, als Mann die dir obliegenden Geschäfte mit gewissenhaftem und ungekünsteltem Ernst, mit warmer Menschenliebe, Freimut und Gerechtigkeit zu vollziehen und alle anderen Einbildungen von dir fern zu halten. Und dahin wirst du es bringen, wenn du jede Handlung als die letzte deines Lebens verrichtest, frei von aller Unbesonnenheit und leidenschaftlichen Abneigung gegen die Vorschriften der Vernunft; frei von Heuchelei, Eigenliebe und Unzufriedenheit mit dem dir bestimmten Schicksal. Du siehst, wie wenig dessen ist, was man sich anzueignen hat, um ein glückliches, ja göttliches Leben führen zu können; denn die Götter selbst werden nichts weiter von dem fordern, der dies beachtet.

      Nur fort und fort dich herabgewürdigt, meine Seele! Hingegen dir Ehre zu erwerben, dazu wirst du keine Zeit mehr haben. Das Leben ist so flüchtig; auch das deinige ist beinahe schon zu Ende, und du hast vor dir selbst keine Achtung, sondern suchst dein Glück bei den Seelen anderer.

      Zerstreuen dich etwa die Äußerlichkeiten? Gönne dir vielmehr Muße, deine Kenntnisse auf nützliche Weise zu erweitern, und gib das Umherschweifen auf. Nimm dich indes auch vor der anderen Verirrung in acht. Es gibt nämlich auch Toren, die sich mit vieler Geschäftigkeit ihr ganzes Leben hindurch abmühen, dabei aber kein Ziel vor Augen haben, worauf all ihr Dichten und Trachten ganz und gar gerichtet wäre.

      Nicht leicht hat man gesehen, dass jemand unglücklich ist, weil er nicht auf das achtet, was in der Seele eines anderen vorgeht; dagegen müssen diejenigen notwendig unglücklich werden, welche den Bewegungen ihrer eigenen Seele nicht mit ihren Gedanken folgen.

      Du musst stets daran denken, was die Natur des Ganzen und was die deinige sei, wie diese sich zu jener verhalte, welch ein Teil und von welchem Ganzen sie ein Teil sei, und dass niemand dich hindern könne, in steter Übereinstimmung mit der Natur, von welcher du ein Teil bist, zu handeln und zu reden.

      Theophrast erklärt in seiner Vergleichung der menschlichen Fehler, insofern man nach den gewöhnlichen Begriffen eine solche anstellen kann, mit philosophischem Geist, dass die Übertretungen aus Begierde schwerer seien als die aus Zorn; denn der Zürnende scheine doch noch mit einer gewissen Missstimmung und einer geheimen Beklommenheit sich von der Vernunft abzuwenden; wer aber aus Begierde sündige und von der Lust sich überwältigen lasse, der erscheine zügelloser und weibischer in seinen Sünden. Daher hat er den richtigen und eines Philosophen würdigen Ausspruch getan: der mit Lust begangene Fehltritt sei strafbarer als der mit Missstimmung verbundene. Auch sieht im Ganzen der Zürnende mehr wie ein Mensch aus, der vorher gekränkt und aus Missstimmung zum Unwillen hingedrängt wurde; der andere dagegen entschließt sich aus eigener Bewegung zum Unrecht tun, indem er durch seine Begierde zu irgendeiner Tat hingerissen wird.

      All dein Tun und Denken sei so beschaffen, als ob du möglicherweise im Augenblick aus diesem Leben scheiden solltest. Von Menschen aber sich trennen müssen, kann ja, sofern es Götter gibt, nichts Schreckliches sein; denn diese werden dich doch wohl nicht dem Elend zur Beute geben; gibt es aber keine oder kümmern sie sich nicht um die menschlichen Angelegenheiten, was soll mir dann noch das Leben in einer Welt ohne Götter und ohne Vorsehung? Doch es gibt Götter, und sie kümmern sich um die menschlichen Angelegenheiten und haben es ganz in die Hand des Menschen gelegt, dass er nicht in wirkliche Übel gerate. Gäbe es aber außerdem noch andere Übel, so hätten sie auch in der Hinsicht dafür gesorgt, dass es nur bei ihm stünde, davon nicht betroffen zu werden. Was aber den Menschen selbst nicht verschlimmert, wie sollte das sein Leben verschlimmern können? Die Allnatur hätte weder unwissentlich noch wissentlich, indem sie nämlich unfähig gewesen wäre, so etwas zu verhüten oder wieder gut zu machen, einer solchen Nachlässigkeit sich schuldig gemacht, und ebensowenig aus Unvermögen oder Ungeschicklichkeit ein so großes Versehen begangen, guten und bösen Menschen Güter und Übel in gleichem Maße ohne Unterschied zukommen zu lassen. Tod aber und Leben, Ehre und Unehre, Unlust und Lust, Reichtum und Armut, dies alles wird Guten und Bösen

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