Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen
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Sie sah Daniel an. Sie wusste, was er mit diesem Bild sagen wollte: Es kann immer wieder und überall Neues entstehen.
*
Die beiden merkten gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Erst als Wind aufkam, ruderte Daniel zum Ufer zurück und machte das Boot fest. Nicole packte alle Sachen zusammen. Sie reichte sie ihm an und stieg aus.
Nun standen sie voreinander, so nah, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Sie wich seinem Blick nicht aus, der ihr mehr sagte, als Worte hätten ausdrücken können. Sie las in ihm, wie schön er das Zusammensein mit ihr empfand, dass er sie als Frau sah, als die Frau, die er begehrte. Und noch mehr. Seine Augen verrieten ihr mehr als nur Begehren. Da war ein Leuchten in ihnen, das Licht der Liebe. In diesem Moment empfand sie Daniels Nähe so stark, so überwältigend und bereits so vertraut, als würden sie sich schon viel länger kennen. Diese Nähe machte sie widerstandslos, und sie wünschte sich jetzt nichts so sehr, wie von ihm in die Arme genommen zu werden. Immer noch berührten sich nur ihre Blicke. In ihren Augen musste jedoch ihr inniger Wunsch gestanden haben, denn Daniel zog sie nun an den Schultern zu sich heran. So sanft und behutsam, als wäre sie zerbrechlich. Dann umschlossen seine Hände ihr Gesicht. Seine Finger liebkosten es, und schließlich, als sie wie unter einem Zauber die Augen schloss, spürte sie endlich seinen Mund auf ihrem. Da schlang sie die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich an ihn. Während ihre Lippen miteinander verschmolzen, fühlte sie sich wie auf einem Flug in die Weite des Himmels, dem sie hier inmitten dieser Naturidylle viel näher war als sonst irgendwo.
*
»Schau mal, da kommt uns Daniel Geißle entgegen!«, rief Ulrike Brunner überrascht aus.
Auch das Arztehepaar hatte an diesem sonnigen Sonntag einen Ausflug gemacht.
Matthias hupte, Daniel tat es ihm gleich und winkte zurück.
»Habe ich mich gerade getäuscht oder saß da wirklich Nicole auf dem Beifahrersitz?«, fragte die Landarztfrau mit großen Augen, nachdem die beiden Wagen aneinander vorbeigefahren waren.
»Du hast dich nicht getäuscht, mein Schatz«, antwortete Matthias ebenso verblüfft.
Sie waren dem Geländewagen genau in dem Moment begegnet, als Nicole ihren Kopf an Daniels Schulter geschmiegt hatte.
»Das sah doch aus, als würden die beiden sich bereits näher kennen.«
Der Landarzt nickte. »Ja, so sah es aus.«
»Das ist ja ein Ding«, staunte Ulrike. »Wo mögen sie sich kennengelernt haben?«
Er seufzte. »Ich befürchte, in Daniels Sportgeschäft.«
»Nicole soll doch wegen ihrer Füße zurzeit keinen Sport machen«, erwiderte Ulrike besorgt.
»Eben darum.«
Sie lachte. »Wie es aussieht, schont sie ihre Füße ja, indem sie sich von Daniel spazieren fahren lässt.«
»Stimmt.« Matthias musste auch lachen. »Man könnte sogar sagen, dass Daniel in diesem Fall der besserer Arzt sein könnte als ich. Er tut auch zusätzlich noch etwas für Nicoles kranke Seele.«
»Wie sagst du immer so schön?« Ulrike gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Liebe ist die beste Medizin«, gab er die Antwort, die sie erwartete.
»Nicole macht auf mich gar nicht den Eindruck, als würde sie einen Urlaubsflirt beginnen«, murmelte die Arztfrau kurze Zeit später in nachdenklichem Ton.
»Vielleicht ist es ja mehr zwischen den beiden.«
»Kannst du dir vorstellen, dass sie ihre Tanzkarriere aufgibt?« Deutliche Skepsis klang aus ihrer Stimme heraus.
»Wenn Nicole die Sprache ihres Körpers richtig deuten würde, müsste sie es. Und wenn ihr dann auch noch die große Liebe über den Weg läuft …« Matthias warf seiner Frau ein zärtliches Lächeln zu.
»Ich würde es Nicole von Herzen gönnen.«
»Und Daniel Geißle auch«, stimmte Matthias ihr zu. »Er ist ein feiner Kerl.«
»Obwohl …?« Ulrike sah ihn mit gefalteter Stirn von der Seite an.
»Was obwohl?«
»Na ja, die Sache mit Katja. Weißt du noch?«
»Entschuldige bitte, aber die ist doch schon lange her. Da waren die beiden fast noch Kinder.«
»Für Katja ist sie noch nicht vorbei, wie ich kürzlich beim Friseur hörte.«
*
Nachdem Daniel sie nach Hause gebracht hatte, blieb er noch ganz selbstverständlich bei Nicole. Die beiden saßen vor dem kleinen Schwarzwaldhaus und beobachteten, wie sich der Abend über das Ruhweiler Tal legte.
Die Sonne war mittlerweile untergegangen. In einigen hundert Metern Entfernung begann der Wald, den die beiden nur noch als schwarzen Schatten wahrnahmen. Der Himmel im Westen war in ein dunkles Rosa getaucht und versprach für den nächsten Tag wieder schönes Wetter.
Hand in Hand saßen die Verliebten da, dämpften ihre Stimmen, wenn sie sich unterhielten, um nicht den Frieden, die Harmonie, die sie umgab, zu stören. Lange Zeit schwiegen sie immer wieder und ließen ihre Körper nur miteinander sprechen. Ihre Finger verschlangen sich ineinander, ihre Lippen küssten sich, mal zärtlich, mal voller Leidenschaft. Sie schmiegten die Wangen aneinander, hielten sich fest. Nicole genoss die Kraft, die Energie, die von Daniel ausging, und fühlte sich so geborgen wie nie zuvor in ihrem jungen Leben. Hier gehörte sie hin, hier in Daniels Arme, an diese breite Brust, die sie wie einen Schutzwall gegen die Welt dort draußen, außerhalb dieses Wiesengrundes, empfand. Die Welt, in der sie bisher nur hatte kämpfen müssen. Zwar erfolgreich, aber dennoch war ihr Leben ein einziger Kampf um beruflichen Erfolg, gegen Konkurrentinnen und gegen sich selbst gewesen.
Daniel weckte sie aus ihrer Gedankenwelt auf, indem er sich sacht von ihr löste. Mit verlegenem Lächeln sagte er: »Du, ich habe Hunger.«
Er klang so, als hätte er deswegen ein schlechtes Gewissen.
Sie lachte herzerfrischend. »Ich glaube, das ist ganz normal. Leider bin ich diejenige, die in dieser Hinsicht verkorkst ist.« Sie lächelte ihn verschmitzt an. »Aber soll ich dir etwas verraten? Ich auch.«
Da leuchtete sein Gesicht auf. »Hast du Eier im Haus?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was isst du denn normalerweise so?«
»Obst, Gemüse, Vitamine.«
»Gemüse? Hast du Gemüse da?«
Sie nickte.
»Das ist doch schon mal was. Ich mache uns Gemüse mit Schwarzwälder Schinken aus dem Picknickkorb. Das Ganze überbacken wir dann mit dem Rest Käse. Und Brot haben wir auch noch«
Während Nicole dem geliebten Mann zusah, wie er mit geschickten Händen das Essen zubereitete, sagte sie nach einem tiefen Seufzer: