Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen Der Landdoktor Staffel

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      »Ich wette, du hast immer noch zu niedrigen Blutdruck«, sagte Matthias, nachdem er Nicoles kalte Hand losgelassen hatte.

      »Wahrscheinlich. »Sie lächelte ihn schief an. »Ich kann ja auch keinen Ausdauersport machen wegen meiner blöden Füße.«

      »So blöd sind deine Füße gar nicht. Sie wissen, dass ihnen der Tanz schadet, und sprechen es offen aus.« Er bedachte Nicole mit einem langen Blick, unter dem die junge Frau den Kopf senkte.

      »Ich weiß es ja auch«, sagte sie leise. Dann sah sie ihn wieder an. »Da ist noch etwas, Herr Doktor. Seit ich Schinken, Käse und Brot esse, spricht auch mein Magen mit mir. Magendruck, Übelkeit, Aufstoßen …« Sie seufzte.

      Matthias nickte. »Das wundert mich nicht. Er ist ja jahrelang nur an leichte Kost gewöhnt. Du darfst ihn jetzt nicht überfordern. Gewöhn ihn ganz langsam an die Ernährungsumstellung. Gegen das Aufstoßen verschreibe ich dir ein pflanzliches Mittel, das verschafft dir Erleichterung und nimmt das Druckgefühl.«

      Nicole sah ihn entsetzt an. »Ich habe nicht vor, mich an eine andere Ernährung zu gewöhnen. Ich habe bereits zwei Pfund zugenommen. Das kann ich mir nicht leisten.«

      Eine solche Reaktion hatte er schon befürchtet.

      Er lehnte sich zurück, ließ den Füllfederhalter langsam durch die Finger gleiten.

      »Willst du wirklich weitertanzen, Nicole?«, fragte er dann. Dabei hielt er ihren Blick fest. »Wie soll dein Körper sich noch ausdrücken, um dir zu sagen, dass du ihn seit Jahren überforderst? Was muss noch passieren? Dass man dir kündigt, weil du dem Stress nicht mehr gewachsen bist? Der Sieger sollte freiwillig abtreten. Dann, wenn er auf dem Höhepunkt steht.«

      Er bemerkte, wie sich Nicoles Gesicht verfärbte. Natürlich hatte er sie mit seinen Worten getroffen. Er wollte sie keinesfalls verletzen, sondern ihr vielmehr helfen. Und das ging nur mit schonungsloser Offenheit. Als Mediziner wusste er, dass sie niemals in knapp drei Wochen ihre alte Form zurückbekommen würde. Er wollte sie vor dem steilen Fall von der international bekannten Primaballerina zur gescheiterten Tänzerin bewahren.

      Ihre Mundwinkel zitterten, was sein Herz berührte und ihn schon fast seine Worte bereuen ließ. Doch dann trat eine Verwandlung bei ihr ein. Sie reckte das Kinn. In ihre grauen Augen trat der Ausdruck von Entschlossenheit. Schließlich erschien ein stolzes Lächeln auf ihren weich geschwungenen Lippen, die gerade noch gebebt hatten.

      »Nein, das will ich ganz bestimmt nicht. Ich denke hier viel nach. Und ich habe einiges gelernt, was ich jedoch noch nicht umsetzen kann. Ich bin noch unschlüssig und brauche ein bisschen Zeit.« Sie nagte an ihrer Unterlippe. »Wie Sie und Ihre Frau ja gesehen haben, habe ich Daniel Geißle kennengelernt. Er weiß, wie es im Hochleistungssport zugeht, und hat mich schon vieles gelehrt. Nur …« Ihr Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. »Ich kenne mich in dem Leben, das er gewählt hat, noch nicht aus. Ich weiß nicht, ob ich es führen kann.«

      Ihre Offenheit ermutigte ihn zu der folgenden Bemerkung. »Meine Frau und ich hatten den Eindruck, dass euch mehr verbindet als nur eine nette Bekanntschaft.«

      Da begann Nicole zu strahlen. »Wir haben uns ineinander verliebt. Es ist …« Sie senkte den Kopf und als sie ihn wieder ansah, glänzten ihre Augen verdächtig. »Wenn sich so die Liebe anfühlt, dann ist es von meiner Seite Liebe. Und ich glaube, von Daniels auch.«

      Matthias fühlte sich von ihren Worten berührt. Nicole hatte mit so viel Gefühl gesprochen, dass er eine Gänsehaut bekommen hatte. Er musste sich erst kräftig räuspern, um sagen zu können: »Die große Liebe begegnet dir nur einmal im Leben. Manchen Menschen gar nicht. Wenn du sie gefunden hast, halte sie fest. Übrigens«, er zwinkerte ihr zu, »noch gestern habe ich in der Zeitung eine Statistik gelesen, nach der die jungen Leute in der heutigen Zeit im Durchschnitt zwei Berufsausbildungen machen. Wie viele hast du bisher?«

      Nicole zog die Brauen zusammen. »Natürlich nur eine.«

      Er lachte. »Wenn du und Daniel es ernst miteinander meint, könnte die zweite doch die zur Einzelhandelskauffrau in einem Sportgeschäft sein.«

      *

      Seite an Seite mit Daniel arbeiten, mit ihm zusammen durchs Leben gehen.

      Das war eine Vorstellung, die Nicoles Herz weit öffnete. Nie mehr auf der Bühne stehen müssen, nie mehr die schneidende Stimme des Ballettmeisters hören, nie mehr hungern müssen, keine Schmerzen mehr haben. Das würde das Paradies auf Erden sein.

      Durch die Injektion taten ihr die Füße nicht mehr weh, aber sie wusste, dass dieser Zustand nur begrenzt anhalten würde. Dr. Brunner hatte ihr offen mitgeteilt, dass sie an einer Operation wahrscheinlich nicht vorbeikam. Eine solche Operation würde zumindest ihr Engagement in der Schweiz beenden. Ob Heiko sie nach der Genesung an eine andere Bühne würde vermitteln können, stand noch in den Sternen. Eine ehemalige Primaballerina, die bereits ein Burnout und eine Fußoperation hinter sich hatte, garantierte einer anderen, in der Welt angesehenen Bühne nicht gerade stählerne Kraft und reibungsloses Funktionieren.

      Nicole hielt am Straßenrand an und schaute über die blühenden Wiesen hinweg hinüber zu den Schwarzwaldhöhen am Horizont.

      Wollte sie überhaupt noch tagtäglich funktionieren? Nein und nochmals nein. Seit sie Daniel kannte, sehnte sie sich nach einem anderen Leben. Er hatte den Absprung vom Erfolg doch auch geschafft und war heute mit sich und der Welt im Reinen. Das wollte sie auch von sich sagen können.

      Ihr Selbstgespräch fand ein jähes Ende durch den Anruf ihrer Mutter.

      »Schatz, wo bist du?«

      »Immer noch in Ruhweiler, Mama«, antwortete Nicole, wobei sie genervt die Augen verdrehte. Dann stockte ihr der Herzschlag. Sie hatte ihrer Mutter den Namen ihres Aufenthaltsortes verraten.

      »Wie geht es dir?«, erkundigte sich ihre Mutter, als hätte sie dies nicht mitbekommen. »Bist du wieder in Ordnung?«

      »So schnell geht das nun auch wieder nicht.«

      Auch ihre Mutter hatte sie immer mehr als Tanzmaschine als als Mensch gesehen.

      »Die Erholung tut dir bestimmt gut, mein Schatz«, ruderte ihre Mutter hastig zurück. »Hast du mal mit Heiko gesprochen?«

      »Er hat angerufen.«

      »Gönn dir Ruhe, aber du darfst nicht den Anschluss verpassen, Kind«, mahnte Franziska mit der zucker­süßen Stimme, die sie stets anschlug, wenn sie eigentlich harte Kritik anbringen wollte.

      »Ist klar.«

      Dann herrschte Schweigen in der Leitung, bis ihre Mutter spitz fragte: »Kann es sein, dass du deine Tanzkarriere an den Nagel hängen willst?«

      Nicole hielt den Atem an. Sie sah dem Schwalbenpärchen zu, das schwerelos und frei seine Runden über den Tannenwipfeln drehte. Schwalben blieben ein Leben lang zusammen.

      »Ja, das kann sein«, sagte sie mit einer Offenheit, die sie selbst erschreckte.

      Wieder Stille in der Leitung. Dann: »Bist du verrückt geworden?«

      »Nein, Mama, bin ich nicht. Inzwischen glaube ich eher, dass ich bis jetzt verrückt gewesen bin. Ich habe meinen Körper geschunden, habe Schmerzen gehabt, Tabletten genommen, um mich zur Primaballerina hochzutanzen.

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