Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen
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Es waren die letzten Worte, die sie mit halbwegs fester Stimme auszusprechen vermochte. Dann überwältigten sie die Tränen.
*
Heiko Wieland stimmte schließlich zu, mit zwiespältigen Gefühlen. Er wollte Nicole helfen, wusste jedoch auch, dass er ihr mit dieser Zusage gleichzeitig schaden würde. Vielleicht sogar sich selbst und seiner Agentur, wenn sie erneut einen Zusammenbruch erleiden würde, was er sich jedoch lieber gar nicht erst vorstellen wollte. Er wusste um ihr einzigartiges Talent, um ihre beispiellose Disziplin, ihren eisernen Willen und ihre Bereitschaft, über ihre Grenzen hinweg zu gehen. Selbst in ihrem gegenwärtigen körperlichen Zustand würde sie immer noch besser sein als jede andere Primaballerina.
Während Heiko Wieland nach dem Telefonat diese Gedanken beschäftigen, fühlte sich Nicole schon etwas besser. Hilfe war in Aussicht, Hilfe gegen diesen Schmerz im Herzen, der jeden anderen körperlichen, den sie bisher empfunden hatte, noch bei Weitem übertraf.
*
Nicole war sich dessen bewusst, als ein anderer Mensch nach Zürich zurückgekommen zu sein. Am Abend ihrer Rückkehr ließ sie die Erinnerungen an ihre Zeit in Ruhweiler noch einmal zu. Die Erinnerungen an Daniels einzigartiges Lächeln, den intensiven Blick seiner braunen Augen, an die Berührung seiner Lippen, die ihre liebkost hatten, das flüchtige und doch deutliche Gefühl seines Atems auf ihrem Gesicht, wenn sie neben ihm gelegen hatte, seine Hände, die so zärtlich sein konnten. Sie steigerte sich in all diese Erinnerungen hinein, immer wieder und wieder, als würde sie sich trainieren wollen. Sie hoffte, wenn sie all diese aushalten würde, dann würde sie auch die kommende Zeit überstehen können, in der sie wieder allein war. So furchtbar allein.
In dieser Nacht erlaubte sie sich noch einmal, ins Paradies zurückzureisen. Am nächsten Morgen wusch sie sich die Augen mit eiskaltem Wasser, nahm ihren Koffer und fuhr nach München.
*
Die Arbeit tat Nicole gut, zumindest ihrer geschundenen Seele. Mit ihren körperlichen Schmerzen konnte sie besser umgehen als mit denen ihres Herzens. Nicht weil es gegen sie Tabletten gab, sondern auch, weil sie sie kannte und als Profitänzerin eine höhere körperliche Schmerzgrenze besaß als andere Menschen.
Von frühmorgens bis spätabends stürzte sie sich in die Arbeit. Erst wenn sie in dem kleinen Hotelzimmer ins Bett fiel, zerrissen die Erinnerungen an den geliebten Mann wieder ihr Herz. Jeden Tag rief Daniel mehrmals auf ihrem Handy an. Sie hatte sich inzwischen ein neues Funktelefon gekauft, konnte sich jedoch nicht beherrschen, auf dem alten täglich die Anrufe zu kontrollieren. Sie fand auch mehrmals die Nummer der Brunners in der Anruferliste und bekam immer ein schlechtes Gewissen, dass sie sich bei dem Arztehepaar nicht meldete. Sie hatte Angst, die Leitung zu den beiden zu öffnen, Angst davor, zusammenzubrechen. Sie musste jetzt auf ihrer Linie bleiben, bis die Wunden, die Daniel ihr geschlagen hatte, ein bisschen verheilt waren.
So rückte die Premiere immer näher, und Nicole spürte, wie ihre Kraft trotz Vitamine und Aufbaumittel immer mehr dahinschwand. Jeden Tag kämpfte sie gegen dieses Wissen erneut an. Das Lob des Ballettdirektors spornte sie ebenso an wie die Bewunderung ihrer Kolleginnen. Aber all diese Ehren konnten die Leere in ihrem Innern, die der Verlust Daniels hinterlassen hatte, nicht ausgleichen. Genauso wenig die Freude und der Zuspruch ihrer Mutter, die glücklich war, dass ihre Tochter wieder auf den richtigen Weg zurückgefunden hatte. Nicole verschwieg ihr, wie es dazu gekommen war. Oft dachte sie an Marianne Geißle, Daniels Mutter. Wie gut sie sich mit ihr verstanden hatte. Sie hatten sich nur wenige Male gesehen, aber von Anfang an hatte auch zwischen ihnen diese Seelenverwandtschaft bestanden wie zu Daniel. Vorbei. Alles vorbei. Nie gewesen.
Drei Tage vor der Premiere tat Nicole dann etwas, was ihr Leben erneut in andere Bahnen werfen sollte.
*
»Und? Wie war dein Nachmittag?«, fragte Ulrike ihren Mann, als Matthias den Hausflur betrat.
Lump sprang an ihm hoch. Er wusste, dass er gleich mit Frauchen und Herrchen spazieren gehen würde, wie jeden Tag nach der Sprechstunde.
»Viele Patienten.« Matthias küsste seine Frau auf die Nasenspitze. »Unter anderem auch Daniel.«
»Ist er krank?«
Er lächelte matt und seufzte. »Psychosomatisch. Daniel leidet unter der Trennung von Nicole. Die typischen Anzeichen. Appetitlosigkeit, Abgeschlagenheit, weil er nicht schlafen kann, Kopfschmerzen, Magenprobleme. Das ganze Programm.«
Betroffen sah seine Frau ihn an. »Was hast du ihm verschrieben?«
»Nichts, mein Schatz. Gegen Liebesleid gibt es keine Medizin. Wir haben eine Weile geredet, aber leider sind auch alle gut gemeinten Worte in einer solchen Situation kein Trost.«
Ulrike senkte den Kopf. »Er tut mir so leid.«
»Mir auch, das kannst du mir glauben.« Er legte den Arm um sie. »Ich habe übrigens mit Thorsten telefoniert.«
»Mit Thorsten?« Seine Frau machte große Augen. »Er ist doch zurzeit in Japan.«
»Na und? Sein Handy funktioniert auch dort.«
»Und? Wie geht es ihm?«
»Sehr gut, was ich sehr beruhigend finde.«
Ulrike schmiegte sich an ihn und schlang die Arme um seine Mitte.
»Ich auch«, sagte sie leise in dankbarem Ton. »Thorsten ist unter einem guten Stern geboren.« Dann ließ sie ihn wieder los und sah ihn an. »Warum hast du ihn denn angerufen?«
»Er hat mir den Namen von Nicoles Agenten gesagt. Vielleicht weiß der, wo sie steckt. Ich habe das Gefühl, noch einmal mit ihr reden zu müssen.«
Da lächelte sie. Das Glitzern in ihren Augen verriet ihm, dass sie ihm etwas Besonderes mitteilen wollte.
»Das kannst du dir sparen. Seit heute Nachmittag weiß ich es. Sie hat übermorgen Premiere im Münchner Opernhaus. Dafür hat sie uns zwei Karten geschickt.«
*
Daniel litt. Wie auch Nicole versuchte er, jede Erinnerung an die glücklichste Zeit seines Lebens auszuschalten. Manchmal gelang es ihm, meistens nicht. Besonders nachts, wenn die Träume kamen, die ihm vorgaukelten, sie wären immer noch zusammen, würden sich lieben, in denen sie sich die Treue schworen.
Alles nur Worte gewesen, im Rausch der Gefühle dahingesagt, dachte er dann morgens. Was sagten manche Menschen in solchen Situationen nicht alles! Seine vielen Anrufe, seine SMS ignorierte sie. Sie war wieder eingetaucht in ihr Leben, wo immer dies zurzeit auch stattfinden mochte. Heiko Wieland, dessen Nummer er im Internet ausfindig gemacht hatte, blieb verschwiegen. »Nicole hat mir verboten, Ihnen Auskunft zu erteilen«, bekam er als Antwort. Dann gab es wieder Tage, an denen Daniel gewillt war, sich in sein Schicksal zu fügen. Er wusste ja um die Sucht, die Ruhm und Ehre bei manchen Menschen auslösten.
An so manchen Sommerabenden fuhr er hinauf auf ›sein‹ Plateau, legte den Kopf in den Nacken und schaute gen Himmel, als würde er von dort ein Zeichen erwarten. Einen Wink, irgendeinen Hinweis. Etwas, was ihm ein bisschen Hoffnung versprach. Doch dort oben schwebte nur ein blasser Mond. Ab und zu setzte sich eine schwammige Wolke vor ihn. Sonst geschah nichts. Keine verheißungsvolle Sternschnuppe. Dann jedoch