Gesammelte Erzählungen von Anatole France. Anatole France
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15.
Eines Tages machte eine undichte Wasserkanne, die durch den Salon kam, das gewachste Parkett naß. Ich denke mir, diese unsaubere Wasserkanne hat eine tüchtige Tracht Prügel bekommen.
16.
Die Menschen besitzen die göttliche Macht, alle Türen zu öffnen. Ich kann allein nur eine ganz kleine Zahl öffnen. Die Türen sind große Fetische, die uns Hunden ungern gehorchen.
17.
Das Leben eines Hundes ist voll von Gefahren. Um Unfälle zu vermeiden, muß man stets auf der Hut sein, selbst beim Essen und sogar während des Schlafes.
18.
Man weiß nie, ob man es den Menschen recht macht. Man soll sie verehren, ohne zu versuchen, sie verstehen zu wollen. Ihre Weisheit ist geheimnisvoll.
19.
Beschwörung. O Furcht, erhabene mütterliche Furcht, heilige, heilsame Furcht, erfülle mich ganz in dem Augenblick der Gefahr, damit ich vermeide, was mir Schaden bringen kann, auf daß ich mich nicht auf den Feind stürze und meine Unklugheit bereuen muß.
20.
Es gibt Wagen, die von Pferden durch die Straßen gezogen werden. Sie sind schrecklich. Es gibt aber auch Wagen, die ganz allein laufen und dabei laut schnaufen. Sie meinen es ebenfalls böse mit uns. Zerlumpte Menschen soll man hassen und solche, die Körbe auf dem Kopf tragen und Fässer vor sich herrollen. Ich kann die Kinder nicht leiden, die unter großem Geschrei auf der Straße Kriegen und Verstecken spielen. Die Welt ist voll schädlicher, furchtbarer Dinge.
Die Krawatte
Herr Bergeret war dabei, in seiner neuen Wohnung Nägel in die Wände zu schlagen. Als er sich bewußt wurde, daß ihm das Vergnügen machte, sann er darüber nach, aus welchem Grunde ihm das Vergnügen machen könne und als er den Grund dafür gefunden hatte, machte es ihm kein Vergnügen mehr. Denn das Vergnügen hatte eben darin bestanden, daß man Nägel einschlug, ohne den Dingen auf den Grund zu gehen. Und während Herr Bergeret über die Widerwärtigkeiten allen philosophischen Geistes nachsann, hing er das Bild seines Vaters an den Platz, der ihm als der ehrenvollste erschien.
»Es hängt zu weit nach vorne über,« bemerkte Zoë.
»Meinst du?«
»Ja sicher, es sieht aus, als ob es herunterfallen wollte.« Herr Bergeret verkürzte die Schnüre, an welchen das Bild aufgehängt war.
»Jetzt hängt es schief.«
»Meinst du?«
»Das sieht man doch. Es neigt sich ganz nach links hinüber.« Herr Bergeret bemühte sich, es gerade zu hängen.
»Und jetzt?«
»Nun hängt es etwas zu weit nach rechts.«
Herr Bergeret tat sein möglichstes, um den Rand des Rahmens mit der Linie des Horizontes in Einklang zu bringen, dann trat er drei Schritte zurück, um sein Werk zu prüfen.
»Mir scheint, so ist es gut, sagte er.«
»Ja, nun geht es,« stimmte Zoë bei. »Wenn ein Bild schief hängt, so empfinde ich das als höchst unangenehm.«
»Das geht nicht allein dir so, Zoë. Vielen Leuten verursacht das sogar ein direktes Unbehagen. Unregelmäßigkeiten fallen uns am stärksten auf bei den einfachsten Dingen, weil man da sogleich sieht, wie es ist und wie es eigentlich sein sollte. Es gibt Menschen, die entschieden darunter leiden, wenn ein Tapetenmuster nicht genau aufeinander paßt. Ist es nicht fürchterlich zu denken, daß wir Menschen uns über ein schief hängendes Bild aufregen?«
»Was ist denn dabei so erstaunlich, Lucien? Die kleinen Dinge spielen im menschlichen Leben eine große Rolle. Du selbst interessierst dich jeden Augenblick für eine Menge Kleinigkeiten.«
»Nun sehe ich doch das Porträt unseres Vaters schon so viele Jahre, Zoë, und doch habe ich vorher nie bemerkt, was mir jetzt eben daran auffällt! Ich entdecke eben erst, daß es ja das Porträt eines noch jungen Mannes ist.«
»Aber Lucien, als der Maler Goselin nach seiner Rückkehr von Rom das Bild malte, war unser Vater nicht mehr als dreißig Jahre alt.«
»Du hast recht, aber als ich klein war, hatte ich von dem Bilde den Eindruck, daß es ein älterer Mann sei, und diese Auffassung ist bei mir haften geblieben. Plötzlich sehe ich es ganz anders. Die Malerei von Goselin ist stark nachgedunkelt, die Hautfarbe hat durch den Firnis einen bernsteinfarbenen Ton bekommen, und die grünlichen Schatten verwischen die Umrisse. Das Gesicht unseres Vaters scheint sich ganz in der Ferne zu verlieren. Aber diese glatte Stirn, die großen, leuchtenden Augen, die straffen, mageren Wangen, das schwarze, volle, glänzende Haar, das alles gehört zu einem Menschen, der in der Blüte seines Lebens steht.«
»Ja, so ist es,« stimmte Zoë bei.
»Frisur und Tracht sind aus der alten Zeit, wo unser Vater noch jung war. Er trägt das Haar ganz ungekünstelt, hat einen hohen flaschengrünen Kragen an seinem Rock, eine Nankingweste, und die schwarze Krawatte ist dreimal um den Hals geschlungen.«
»Vor zehn Jahren sah man noch manchen alten Herrn mit solcher Krawatte.«
»Ja, das mag sein, aber Herr Malorey trug stets solche Krawatten.«
»Ach, du meinst den Rektor von der Fakultät der Wissenschaften in St. Omer. Der ist ja schon seit dreißig Jahren tot, oder noch länger.«
»Ja, er war über sechzig Jahre alt, als ich noch nicht zwölf Jahre alt war, Zoë, und ich verübte damals ein unerhört kühnes Attentat auf seine Krawatte.«
»Ich glaube, ich kann mich noch an diesen nicht gerade sehr geistreichen Streich erinnern.«
»Sag das nicht, Zoë,« denn wenn du dich noch auf dies Attentat besinnen könntest, so würdest du nicht so reden. »Du weißt doch, daß Herr Malorey ein starkes Selbstbewußtsein hatte und daß er sich in allen Situationen stets sehr würdevoll benahm.« Er beachtete peinlichst alles, was sich schickte. Er hatte eine so köstliche, altmodische Ausdrucksweise. Einmal, als er unsere Eltern zum Essen eingeladen hatte, reichte er selbst unserer Mutter die Schüssel mit Artischoken und sagte verbindlich: ›Noch einen kleinern Hintern, gnädige Frau.‹
Das war sehr zierlich und höflich gesprochen, denn unsere Urahnen sagten nicht: ›das Herz, oder der Boden der Artischoke.‹ Aber schon damals war der Ausdruck veraltet, und unsere Mutter verbiß sich nur mit Mühe das Lachen. Ich weiß nicht, Zoë, wie wir von der Geschichte erfahren haben.«
»Wie erfuhren sie,« sagte Zoë, die dabei war, Vorhänge umzusäumen, »weil unser Vater sie eines Tages erzählte und nicht bemerkte, daß wir zugegen waren.«
»Ja, Zoë, und seitdem konntest du Herrn Malorey nicht sehen,