Gesammelte Erzählungen von Anatole France. Anatole France
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Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen von Anatole France - Anatole France страница 16
Herr Bergeret stieg auf die Leiter und befestigte eine Aussicht vom Vesuv, ein Ausbruch bei Nacht, ein Aquarell, das er von einem Vorfahren väterlicherseits geerbt hatte.
»Aber von dem Unrecht, was ich Herrn Malorey angetan habe, erzählte ich dir noch nicht, Zoë.« »Du, Lucien, da du gerade die Leiter hast, befestige doch auch bitte gleich die Gardinenstangen an den Fenstern.«
»Gern,« erwiderte Herr Bergeret. »Wir wohnten damals in einem kleinen Häuschen in der Vorstadt von St. Omer.«
»Die Halter für die Stangen liegen im Nagelkasten.«
»Ja, ich sehe sie schon, das Häuschen lag in einem Garten.«
»Ein reizender Garten,« fiel Zoë ein, »voll Flieder, und auf dem Rasen stand ein kleiner Gärtner aus Terrakotta, im Hintergrund war ein Labyrinth und eine Felsengrotte, und auf der Mauer standen zwei große blaue Töpfe.«
»Ja, Zoë, zwei große blaue Töpfe. Also eines Morgens, es war ein Sommermorgen, kam Herr Malorey, um etwas nachzuschlagen in Büchern, die in seiner und auch in der Stadtbibliothek fehlten. Unser Vater hatte Herrn Malorey sein Arbeitszimmer zur Verfügung gestellt, der das Anerbieten dankbar annahm. Es war abgemacht, daß er, nachdem er die gewünschten Texte gefunden hatte, zum Essen bei uns bleiben sollte.«
»Ach, Lucien, sieh bitte mal nach, ob die Vorhänge nicht zu lang sind.«
»Gern. Es war erstickend heiß an jenem Morgen. Die Vögel saßen schweigend in den unbeweglichen Zweigen. Ich hockte unter einem Baum im Garten und sah im Schatten des Arbeitszimmers vom Rücken aus Herrn Malorey mit seinen langen weißen Haaren, die über den Kragen seines Rockes fielen. Er rührte sich nicht, nur seine Hand bewegte sich ein wenig über einem Blatt Papier. Darin lag nichts besonderes, denn er schrieb, aber was mir sehr merkwürdig vorkam …
»Nun, sind sie lang genug?«
»Nein, es fehlen etwa vier Finger breit daran, liebe Zoë.«
»Was, vier Finger breit? laß sehen, Lucien.«
»Ja, sieh nur. Was mir sehr merkwürdig vorkam, war, daß die Krawatte von Herr Malorey über die Fensterbrüstung hing. Der Rektor hatte, von der Sonne überwältigt, seinen Hals von der schwarzen Seide befreit, die ihn sonst dreimal umwickelte, und die lange Krawatte hing zu beiden Seiten des Fensters hernieder. Mich kam eine unwiderstehliche Lust an, die Krawatte zu packen. Leise schlich ich an der Hausmauer entlang und zog vorsichtig an der Krawatte. Im Zimmer rührte sich nichts, schnell zog ich sie ganz herab, rollte sie auf und versteckte sie in einem der großen blauen Töpfe auf der Gartenmauer.«
»Na, ein sehr geistreicher Streich war das nun gerade nicht.«
»Nein, das wohl nicht, ich versteckte sie in einem der großen blauen Töpfe und bedeckte sie noch sorgfältig mit Laub und Moos. Herr Malorey arbeitete noch lange, ich sah immer seinen gebeugten Rücken und die langen weißen Haare auf dem schwarzen Rock. Dann rief mich das Mädchen zum Essen. Als ich ins Zimmer trat, war ich ganz über alle Maßen überrascht. Da saß Herr Malorey zwischen meinem Vater und meiner Mutter sehr ernst und ruhig ohne seine Krawatte. Vornehm wie immer, ja fast feierlich, aber ohne seine Krawatte. Und das war es, was mich so sehr überraschte. Ich wußte wohl, er konnte sie nicht haben, weil sie in dem blauen Topf steckte, aber ich war dennoch erstaunt, daß er sie nicht hatte.
›Ich kann nicht begreifen,‹ gnädige Frau, sagte er mit sanfter Stimme zu meiner Mutter.
›Aber bitte,‹ unterbrach sie ihn, ›mein Mann wird Ihnen gern eine Krawatte leihen, verehrter Herr Rektor.‹
Und ich dachte bei mir, ich habe sie zum Spaß versteckt, und nun hat er sie allen Ernstes verloren. Und darüber war ich sehr erstaunt.«
Die großen Manöver von Montil
Das Gefecht war im vollsten Gange, alles ging vorzüglich. General Ducuir von der Südarmee, dessen Brigade eine starke Stellung im Gehölz von St. Colomban inne hatte, ließ um 10 Uhr morgens eine glänzende Rekognoszierung vornehmen, welche ergab, daß der Feind nirgends in Sicht sei.
Hierauf bekamen die Kavalleristen ihre Suppe, der General ließ seine Schwadron in St. Luchaire und stieg mit dem Hauptmann Varnot in das Automobil, das von Schloß Montil gekommen war, wo die Baronin Bonmot sie zum Frühstück erwartete. Das Dorf Montil war feierlich bekränzt. Der General fuhr durch den Triumphbogen, der ihm zu Ehren am Eingang des Parkes errichtet war, mit Fahnen, Waffentrophäen, Eichenlaub und Lorbeerzweigen.
Die Frau Baronin empfing den General auf der Terrasse des Schlosses und führte ihn in den riesigen Waffensaal, der von blitzendem Eisen wiederstrahlte.
»Welch ein wunderbarer Besitz, Frau Baronin, und welch herrliche Landschaft!« sagte der General. »Ich habe hier oft in der Gegend gejagt, und wenn ich nicht irre, habe ich Ihren Herrn Sohn bei gemeinsamen Bekannten getroffen, nämlich bei den Brekes.«
»Ja, ja, ganz recht, Herr General,« stimmte Ernst von Bonmot bei, der die Herren aus St. Luchaire abgeholt hatte, »es war bei Brekes, aber es ist zum Sterben langweilig bei denen.«
Das Frühstück fand im kleinsten Kreise statt. Außer dem General, dem Hauptmann, der Baronin und ihrem Sohn waren nur noch Frau Worms-Clavelin und Joseph Lacrisse zugegen.
» A la Guerre, comme à la guerre,« sagte die Baronin lächelnd und wies dem General den Platz zu ihrer Linken an der blumengeschmückten Tafel, auf welcher ein berittener Napoleon aus Sevres-Bisquit prangte.
Der General ließ seine Blicke über die lange Galerie schweifen, von der die kostbarsten alten Teppiche herabhingen.
»Wie groß ist der Saal!« sagte er bewundernd.
»Ja, Herr General hätten die ganze Brigade hier hereinführen können,« meinte der Hauptmann lachend.
»Sie wäre mir willkommen gewesen,« sagte die Baronin heiter.
Die Unterhaltung war einfach, ruhig und herzlich. Man war taktvoll genug, nicht von Politik zureden. Der General war Monarchist. Er äußerte sich nicht darüber, aber es war bekannt. Seine beiden Söhne hatten beim Regierungsantritt des Präsidenten Loubet »Panama« gerufen auf den Boulevards und waren verhaftet worden. Er selbst bewahrte stets eine große Zurückhaltung.
Heute sprach man von Pferden und Kanonen.
»Das neue 75er Geschütz ist ein Juwel,« sagte der General.
»Und es ist wirklich bewunderungswürdig, mit welcher Leichtigkeit es sich einstellen läßt,« bemerkte Hauptmann Varnot.
»Und während abgeschossen wird, bieten die Munitionswagen durch eine ingeniöse Vorrichtung den Mannschaften Schutz,« sagte Frau Worms-Clavelin.
Man bewunderte die militärischen