Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde. Оскар Уайльд
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Die Szene stellte die Halle in Capulets Hause dar, und Romeo war in seinem Pilgerkleid mit Mercutio und seinen anderen Freunden aufgetreten. Die Musik präludierte, so gut sie konnte, mit ein paar Akkorden, und der Tanz fing an. Mitten in dem Gewimmel von ungeschickten, schäbig gekleideten Schauspielern bewegte sich Sibyl Vane wie ein Geschöpf aus einer höheren Welt. Ihr Körper schwebte im Tanze wie eine Blume auf dem Wasser. Die Linien ihres Halses glichen denen einer weißen Lilie. Ihre Hände schienen aus kühlem Elfenbein zu sein.
Und doch schien sie von seltsamer Abwesenheit. Sie zeigte kein Zeichen der Freude, während ihr Auge auf Romeo ruhte. Die wenigen Worte, die sie zu sprechen hatte –
Nein, Pilger, lege nichts der Hand zuschulden
Für ihren sittsam-andachtsvollen Gruß;
Der Heiligen Rechte darf Berührung dulden,
Und Hand in Hand ist frommer Waller Kuß –
mit dem kurzen Dialog, der folgt, sprach sie in einem ganz gekünstelten Tone. Die Stimme klang wundervoll, aber der Ton ganz verfehlt. Er traf die Stimmungsfarbe nicht. Er nahm den Versen alles Leben. Er machte die Leidenschaft unwahr.
Dorian Gray erbleichte, als er es hörte. Er war verlegen und erschreckt. Seine beiden Freunde wagten nicht, ihm etwas zu sagen. Sie schien ja ganz talentlos zu sein. Sie waren furchtbar enttäuscht.
Aber sie wußten, daß der wahre Prüfstein für jede Julia die Balkonszene im zweiten Akt sei. Darauf warteten sie. Wenn sie hier versagte, war nichts an ihr.
Sie sah reizend aus, als sie im Mondschein auftrat. Das konnte niemand leugnen. Aber das Theatralische ihres Spiels war unerträglich und wurde im Verlauf immer ärger. Ihre Gesten waren lächerlich gekünstelt. Sie übertrieb das Pathos von allem, was sie zu sagen hatte. Die wundervollen Verse –
Du weißt, die Nacht verschleiert mein Gesicht,
Sonst färbte Mädchenröte meine Wangen
Um das, was du vorhin mich sagen hörtest –
deklamierte sie mit der peinlichen Genauigkeit eines Schulmädchens, das einen mittelmäßigen Vortragslehrer in der Schule gehabt hat. Als sie sich über den Balkon lehnte und zu den herrlichen Versen kam –
Obwohl ich dein mich freue,
Freu' ich mich nicht des Bundes dieser Nacht:
Er ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich,
Gleicht allzusehr dem Blitz, der schon vorbei,
Noch eh' man sagen kann: es blitzt. – Schlaf süß!
Mag warmer Sommerhauch die Liebesknospe
Zur Blume bis zum Wiedersehn entfalten –
sprach sie die Worte, als enthielten sie keinerlei Sinn für sie. Es war nicht Aufregung. Nein, weit entfernt davon, erregt zu sein, schien sie ganz mit sich zufrieden. Es war einfach schlechte Kunst. Es war ein richtiger Abfall.
Selbst das gewöhnliche, ungebildete Publikum auf Stehplatz und Galerie verlor sein Interesse am Stück. Man wurde unruhig und begann laut zu sprechen und zu zischen. Der jüdische Direktor, der im Hintergründe des ersten Ranges stand, stampfte mit den Füßen und fluchte vor Wut. Einzig und allein unbewegt war das Mädchen selbst.
Als der zweite Akt vorüber war, brach ein Sturm von Zischen los, und Lord Henry stand von seinem Stuhl auf und zog seinen Rock an. »Sie ist wunderschön, Dorian,« sagte er, »aber sie kann nicht spielen. Wir wollen gehen.«
»Ich will das Stück zu Ende sehen«, antwortete der junge Mann mit harter, bitterer Stimme. »Es tut mir äußerst leid, daß ich dich veranlaßt habe, einen Abend zu vergeuden, Harry. Ich muß mich bei euch beiden entschuldigen.«
»Mein lieber Dorian, ich glaube, Miß Vane war krank«, unterbrach ihn Hallward. »Wir wollen an einem anderen Abend wiederkommen.«
»Ich wünschte, sie wäre krank«, erwiderte er. »Aber ich glaube, sie hat nur kein Gefühl und ist kalt. Sie ist völlig verändert. Gestern abend war sie eine große Künstlerin. Heute abend ist sie nur eine gewöhnliche, mittelmäßige Schauspielerin.«
»Sprich nicht so über jemand, den du liebst, Dorian. Liebe ist etwas viel Wunderbareres als Kunst.«
»Es sind beides nur Formen der Nachahmung«, bemerkte Lord Henry. »Aber wir wollen gehen. Dorian, du darfst nicht länger hier bleiben. Es schadet der Moral, schlechte Schauspielkunst zu sehen. Ich glaube übrigens nicht, daß du deine Frau auftreten lassen wirst. Was liegt also daran, ob sie die Julia wie eine Holzpuppe spielt! Sie ist wirklich bezaubernd, und wenn sie so wenig vom Leben weiß wie vom Theaterspielen, wird sie dir eine köstliche Erfahrung sein. Es gibt nur zwei Arten fesselnder Menschen – solche, die alles wissen, und solche, die gar nichts wissen. Großer Gott, mein lieber Junge, mach' kein so tragisches Gesicht! Das Rezept, jung zu bleiben, besteht einfach darin, nie eine Erregung haben, die unzuträglich ist. Komm mit Basil und mir in den Klub! Wir wollen Zigaretten rauchen und auf Sibyl Vanes Schönheit trinken. Sie ist schön. Was willst du noch mehr?«
»Geh, Harry!« rief der Jüngling. »Ich will allein sein. Basil, geh! Ach, könnt ihr nicht sehen, daß mir das Herz bricht?« Heiße Tränen traten ihm in die Augen. Seine Lippen bebten, er drückte sich in die dunkelste Ecke der Loge, lehnte sich an die Wand und verbarg sein Gesicht in den Händen.
»Komm, Basil«, sagte Lord Henry mit seltsam zärtlicher Stimme; und die beiden jungen Männer gingen zusammen hinaus.
Ein paar Augenblicke später flammte die Rampe wieder auf, und der Vorhang rauschte zum dritten Akt in die Höhe. Dorian Gray ging auf seinen Platz zurück. Er sah bleich, abwesend, gleichgültig aus. Das Spiel schleppte sich weiter und schien endlos zu sein. Die Hälfte des Publikums ging weg, auf schweren Stiefeln trampelnd und lachend. Das Ganze war ein richtiges Fiasko. Der letzte Akt wurde beinah vor leeren Bänken gespielt. Der Vorhang fiel unter Zischen und höhnischem Gegrunze.
Sobald es aus war, stürzte Dorian Gray hinter die Kulissen in die Garderobe. Das Mädchen stand allein da, mit einem triumphierenden Zuge im Antlitz. Die Augen leuchteten in einem merkwürdigen Feuer. Eine Art Glanz umschwebte sie. Ihre halbgeöffneten Lippen lächelten wie ein Geheimnis, das ihnen allein bewußt war.
Als er eintrat, blickte sie ihn an und ein Ausdruck unsäglichen Glückes kam über sie. »Wie schlecht ich heute gespielt habe, Dorian!« rief sie.
»Schrecklich«, antwortete er und sah sie voll Staunen an – »schrecklich. Es war geradezu fürchterlich. Bist du krank? Du hast keine Ahnung, wie es war. Keine Ahnung, was ich durchgemacht habe.«
Das Mädchen lächelte. »Dorian«, antwortete sie und zog seinen Namen mit einem musikalischen Klang in die Länge, als wäre er den roten Blüten ihres Mundes süßer als Honig – »Dorian, du hättest begreifen sollen. Aber jetzt begreifst du, nicht wahr?«