Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde. Оскар Уайльд

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Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde - Оскар Уайльд

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Monaten ging ich mal zu einem der Massenempfänge bei Lady Brandon. Du weißt, wir armen Künstler müssen uns von Zeit zu Zeit in der Gesellschaft zeigen, um das Publikum daran zu erinnern, daß wir keine Wilden sind. Du sagtest mir einmal: in Frack und weißer Binde kann selbst ein Börsenmensch in den Verdacht von Bildung kommen. Nun also, ich war etwa zehn Minuten da und redete mit korpulenten, aufgeputzten, vornehmen Witwen und platten Akademikern, da merkte ich plötzlich, daß mich jemand anblickte. Ich drehte mich halb um und sah zum ersten Male Dorian Gray. Ich spürte, wie ich blaß wurde, als sich unsere Blicke begegneten. Ein seltsames Angstgefühl überkam mich. Ich wußte, ich stand einem Menschen Aug-in-Auge gegenüber, dessen bloße Erscheinung so bezaubernd auf mich wirkte, daß sie, wenn ich sie gewähren ließe, meine ganze Natur, meine ganze Seele, ja selbst meine Kunst an sich reißen müßte. Ich bedurfte nie in meinem Leben irgendwelcher Einwirkung von außen her. Du weißt ja selbst, Harry, wie unabhängig ich von Haus aus bin. Ich bin immer mein eigener Herr gewesen; war es wenigstens so lange, bis ich Dorian Gray traf. Dann – aber ich weiß nicht, wie ich dir das begreiflich machen soll. Irgend etwas schien mir im voraus zu sagen, daß ich an einem schrecklichen Wendepunkt in meinem Leben stand. Ich hatte die eigentümliche Empfindung, das Schicksal halte für mich die ausgesuchtesten Freuden und die ausgesuchtesten Schmerzen in Bereitschaft. Ich bekam Furcht, und ich wandte mich zum Gehen. Das Gewissen trieb mich nicht dazu: es war eine Art Feigheit. Ich bilde mir nichts darauf ein, daß ich diese Flucht versuchte.«

      »In Wirklichkeit sind Gewissen und Feigheit ein und dasselbe. Gewissen lautet nur die eingetragene Firma. Weiter gar nichts.«

      »Ich glaube das nicht, Harry, und ich glaube, du wohl auch nicht. Einerlei aber, aus welchem Grunde es geschah – es mag auch Stolz gewesen sein, denn ich war schon immer sehr stolz – jedenfalls eilte ich der Türe zu. Natürlich prallte ich dabei mit Lady Brandon zusammen. ›Sie wollen doch nicht etwa schon davonlaufen, Herr Hallward?‹ kreischte sie auf. Du kennst ja ihre schrille Stimme.«

      »Ja, sie ist ein Pfau in allem, bis auf die Schönheit«, sagte Lord Henry und zerrupfte das Gänseblümchen zwischen seinen langen nervösen Fingern.

      »Ich konnte sie nicht loswerden. Sie zerrte mich zu den königlichen Hoheiten hin, zu den Leuten mit Orden und Sternen und zu den ältlichen Damen mit riesenhaften Diademen und Papageiennasen. Sie nannte mich dabei ihren besten Freund. Ich hatte sie nur ein einziges Mal vorher gesehen, aber sie setzte es sich in den Kopf, aus mir den Löwen des Tages zu machen. Ich glaube, damals hatte gerade ein Bild von mir großen Erfolg gehabt, wenigstens hatten die Zeitungen allerhand Geschwätz darüber gebracht, und das ist ja im neunzehnten Jahrhundert das Eichungsmaß der Unsterblichkeit. Plötzlich stand ich dem jungen Manne gegenüber, dessen Äußeres mich vorhin so merkwürdig erschüttert hatte. Wir standen ganz nahe beieinander und berührten uns beinah. Unsere Blicke trafen sich wiederum. Es war leichtsinnig von mir, aber ich bat Lady Brandon, mich ihm vorzustellen. Vielleicht war es aber doch alles in allem nicht so leichtsinnig. Es war einfach nicht zu umgehen. Wir hätten auch ohne Vorstellung miteinander gesprochen. Ich bin dessen gewiß. Dorian sagte es mir nachher. Auch er fühlte, daß unsere Bekanntschaft Schicksalsfügung war.«

      »Und wie hat Lady Brandon den wunderbaren Jüngling beschrieben?« fragte sein Gefährte. »Ich weiß, es ist ihre Manier, von jedem ihrer Gäste eine kleine Skizze zu geben. Ich erinnere mich, wie sie mich mal einem schrecklichen, alten Herrn mit puterrotem Gesicht vorstellte, dessen Brust mit Orden und Bändern beklext war, und mir in einem tragischen Flüsterton, der für jedermann im Zimmer hörbar war, die erstaunlichsten Einzelheiten über ihn ins Ohr zischelte. Ich mußte einfach davonlaufen. Ich entdecke die Leute gerne von mir selbst aus. Aber Lady Brandon behandelt ihre Gäste genau so, wie ein Auktionator seine Waren. Sie erklärt sie einem entweder so lange, bis nichts mehr davon übrigbleibt, oder sie sagt alles, gerade mit Ausnahme dessen, was man wissen will.«

      »Die arme Lady Brandon! Du bist hart gegen sie«, sagte Hallward zerstreut.

      »Mein guter Junge, sie wollte einen Salon gründen und hat es nur bis zu einem Restaurant gebracht. Wie soll ich sie da bewundern? Aber sage nun endlich, was sie über Herrn Dorian Gray erzählt hat?«

      »Oh, so irgend was wie ›Entzückender junger Mensch – seine arme Mutter und ich ganz unzertrennlich – vergaß ganz was er treibt – fürchte fast – gar nichts – ach ja, spielt Klavier – oder war es die Geige, lieber Herr Gray?‹ Wir mußten beide lachen und wurden sofort Freunde.«

      »Lachen ist wohl lange nicht der schlechteste Anfang für eine Freundschaft, und gewiß ihr schönstes Ende«, sagte der junge Lord und pflückte sich noch ein Gänseblümchen.

      Hallward schüttelte den Kopf. »Du hast ja keine Ahnung, was Freundschaft ist, Harry,« murmelte er, »und ebensowenig, was Feindschaft ist. Du hast alle Welt gern; mit anderen Worten: dir sind alle gleichgültig.«

      »Wie grausam ungerecht von dir!« rief Lord Henry, stieß seinen Hut in den Nacken und sah zu den Lämmerwolken empor, die gleich verwirrten Knäueln glänzendweißer Seide über das türkisfarbene Gewölbe des Himmels dahinschifften. »Ja, grausam ungerecht von dir. Ich unterscheide die Leute sehr scharf. Ich wählte meine Freunde nach ihrem guten Aussehen, meine Bekannten nach ihrem guten Charakter und meine Feinde nach ihrem guten Verstande. Der Mensch kann nicht vorsichtig genug sein in der Wahl seiner Feinde. Ich habe keinen einzigen, der ein Narr ist. Es sind sämtlich Leute von einer gewissen geistigen Höhe, und daher schätzen sie mich auch alle. Bin ich sehr eitel? Ich glaube, es ist ein bißchen eitel.«

      »Ich glaube auch, Harry. Aber nach deiner Einteilung zählte ich nur unter deine Bekanntschaften.«

      »Mein lieber, alter Basil, du bist weit, weit mehr als ein Bekannter.«

      »Und weit weniger als ein Freund! Wohl so eine Art Bruder?«

      »Pah, Bruder! Bleibe mir mit Brüdern vom Halse. Mein ältester will nicht sterben, und meine jüngeren tun scheinbar nichts anderes.«

      »Harry!« rief Basil mit gerunzelter Stirne.

      »Mein lieber Junge, ich meine es nicht so ernst. Aber ich kann mir nicht helfen, ich verabscheue meine Verwandten. Ich vermute, das schreibt sich daher, daß kein Mensch bei einem anderen seine eigenen Fehler vertragen kann. Ich verstehe durchaus die Wut der englischen Demokraten auf die sogenannten Laster der oberen Stände. Die Massen fühlen, daß Trunkenheit, Dummheit und Unsittlichkeit zu ihren Vorrechten gehören sollten, und daß jeder von uns, der sich darin bloßstellt, gewissermaßen auf ihrem Gebiete wildert. Als damals der Scheidungsprozeß des armen Southwark spielte, war ihre Entrüstung wirklich prachtvoll. Und trotzdem lebt meiner Überzeugung nach nicht der zehnte Teil des Proletariats der Sitte gemäß.«

      »Ich stimme keinem einzigen deiner Worte bei, und, was mehr ist, Harry, du selbst glaubst ja auch nicht im mindesten daran.«

      Lord Henry strich seinen braunen Spitzbart und stieß mit dem zierlichen Spazierstock aus Ebenholz gegen die Kappe seines eleganten Lackstiefels. »Wie englisch du bist, Basil! Du machst heute zum zweitenmal diesen Einwurf. Wenn man einem richtigen Engländer eine Idee mitteilt – an sich schon immer eine Unüberlegtheit –, so fällt es ihm nicht im Traum ein, zu erwägen, ob die Idee richtig oder falsch ist. Das einzige, was ihm von Belang scheint, ist das, ob der Sprecher selbst daran glaubt. Aber der Wert einer Idee hat nicht das geringste mit der Aufrichtigkeit dessen zu schaffen, der sie ausspricht. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Idee um so geistreicher sein, je unaufrichtiger der Mann ist, weil sie in diesem Fall weder die Färbung seiner Bedürfnisse noch seiner Wünsche noch seiner Vorurteile annehmen wird. Indes habe ich nicht die Absicht, politische, soziale oder metaphysische Diskussionen mit dir zu führen. Mir sind Menschen lieber als Grundsätze und grundsatzlose Menschen überhaupt das Liebste auf Erden. Erzähle mir mehr von Dorian Gray. Wie oft siehst du ihn?«

      »Jeden

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