Schöne Tage 1914. Gerhard Jelinek

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Schöne Tage 1914 - Gerhard Jelinek страница 2

Schöne Tage 1914 - Gerhard  Jelinek

Скачать книгу

Rom. Die Gespräche in den Wiener Salons kreisten um die eskalierenden Streitereien zwischen Tschechen und Deutsch-Böhmen. Die politische Klasse antichambrierte und intrigierte und raunzte über den Stillstand und die Obstruktion. Die Krankheit Seiner Majestät im Frühjahr 1914 hatte Befürchtungen und bei einigen Hoffnungen auf sein Hinscheiden geweckt. Insgeheim begann sich die politische Klasse mit dem Abschied des alten Kaisers Franz Joseph I. zu arrangieren. Generäle und Hofräte schwankten zwischen einer Neuorientierung hin zum wenig geliebten Thronfolger Franz Ferdinand, der im Bahnhof Beneschau nächst seinem Landschloss im böhmischen Konopischt die Dampflokomotive des Hofzuges befeuern ließ, um, wie man berichtete, im Fall des Falles schnell in Wien die Macht vom alten Kaiser übernehmen zu können.

      Der österreichisch-ungarische Vielvölkerstaat mit seinem Dutzend Sprachen und fast zwei Dutzend Völkern war in seinen Grundfesten durch den Nationalismus, besonders den slawischen Nationalismus, bedroht. Seit der De-facto-Teilung der Habsburgermonarchie in einen westlichen und einen östlichen Landesteil im Zuge des sogenannten »Ausgleichs« mit Ungarn 1867 drängten die slawischen Völker unter der Habsburgerkrone auf eine vergleichbare Lösung. Doch die Konzentration der Machtverteilung auf die zwei Zentren Wien und Budapest blockierte jede Einigung mit den Tschechen, den Polen und den Südslawen, die immer öfter die Arbeit des Reichsrates in der »cisleithanischen« Reichshälfte torpedierten. Diese »Obstruktionspolitik« der tschechischen Parlamentarier, die nur allzu oft von ähnlich nationalistisch agierenden deutschnationalen Parteien provoziert wurden, lähmte über viele Jahre die Volksvertretung und verhinderte sinnvolle Reformen. Dabei schien in einem mühsamen Prozess langsam ein »Ausgleich« mit den »Nordslawen« (die eigentlich Westslawen waren) möglich zu werden. Im Austausch gegen eine weitgehende Autonomie der Deutschen in Böhmen hätten die Tschechen deutlich mehr Rechte vom Zentralstaat erhalten sollen. Inhaltlich lagen die Verhandler nicht weit auseinander. Immerhin konnten sich schon 1905 Deutsche und Tschechen im »mährischen Ausgleich« auf eine Wahl des Landtags nach nationalen Kurien verständigen. Auch in der Bukowina gelang eine vorläufige Befriedigung nationaler Interessen zwischen Polen und Ruthenen.

      Doch auf dem Balkan spitzte sich die Lage zu. Das russische Zarenreich unterstützte die Idee des »Panslawismus« und bediente sich dabei des Königreichs Serbien. 1903 war der auf einen friedlichen Ausgleich bedachte König Alexander von seinen eigenen Offizieren abgesetzt und brutal ermordet worden. Ein Mittäter des Königsmords bestieg den Thron. Infolge der 1908 von den europäischen Großmächten sanktionierten staatsrechtlichen Annexion Bosniens und der Herzegowina durch die Monarchie und der »Erfindung« Albaniens, um einen serbischen (und damit russischen) Zugang zur Adria zu verhindern, war die k. u. k. Monarchie noch stärker in die unübersichtlichen ethnischen und religiösen Konflikte des Balkans verstrickt.

      Otto von Bismarck hatte am Ende des Berliner Kongresses 1878 gemurmelt: »Europa ist heute ein Pulverfaß und unsere Führer verhalten sich wie Männer, die in einem Arsenal rauchen. Ein einziger Funke kann eine Explosion auslösen, die uns alle verschlingen wird. Ich weiß nicht, wann es zur Explosion kommen wird, aber ich kann sagen, wo es passieren wird. Irgendein verrücktes Ding am Balkan wird die Katastrophe starten.« Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman stellte dieses – nicht belegte – Bismarck-Zitat an den Beginn ihres Buches The Guns of August. Und ausgerechnet den Balkan hatte die Habsburgermonarchie als Zentrum ihrer territorialen Begehrlichkeiten definiert. Hätte sich doch Franz Joseph I. an den – diesmal überlieferten – Ausspruch des deutschen Reichskanzlers gehalten: »Der ganze Balkan ist nicht die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert.«

      Kaiser Franz Joseph I. sedierte die Monarchie durch seine ferne Anwesenheit. Nach dem von ihm mitverursachten Scheitern und dem tragischen Tod seines Sohnes Rudolf war Erzherzog Franz Ferdinand von Habsburg-Este als Nachfolger des Kaisers aufgerückt. Franz Ferdinand entwickelte auf seinem böhmischen Landsitz Konopischt unweit von Prag weitreichende Pläne zur Umgestaltung der Habsburgermonarchie. Nach dem Muster des »Ausgleichs« mit Ungarn sollten auch die slawischen Untertanen eine weitgehende staatliche Selbstverwaltung erhalten. Die Idee des »Trialismus« wurde freilich von den Deutschnationalen sowie den ungarischen Magnaten und auch von Kaiser Franz Joseph heftig bekämpft. Jede Reform, jede staatsrechtliche Umgestaltung der Habsburgermonarchie in einen moderneren Bundesstaat, gar Staatenbund, wurde vom alten Monarchen als Gefahr für die Herrschaft des Hauses Habsburg abgelehnt.

      Beharrung und Bewahrung des Status quo wurde zur Staatsdoktrin, während sich Technik, Wirtschaft und Gesellschaft in rasendem Tempo veränderten.

      Der Kaiser setzte zur Überwindung des politischen Stillstands und der Parteienquerelen auf wechselnde »Beamtenregierungen«, die aber oft trotz guter Absichten im politischen Alltag kläglich scheiterten. So trat 1910/11 die Regierung des Grafen Bienerth-Schmerling wegen der massiven Obstruktionspolitik der Tschechen im Reichsrat zurück. Neue Regierungen kamen und gingen, ohne den zweitgrößten Flächenstaat Europas an die sich rasant verändernden Zeiten anzupassen. Auch das Spannungsverhältnis zwischen einer in die Moderne eilenden Gesellschaft und den staatlichen Strukturen aus der Zeit des Feudalismus spürten immer mehr Menschen. Auswege aus der permanenten Krise, in der die Lage zwar als hoffnungslos, aber nie besonders ernst erlebt wurde, trieben die Bürger in extreme ideologische Lager, die Lösungen verhießen.

      Die »nationale Frage« war nur eines der schier unlösbaren Probleme, die das Fundament der Monarchie unterhöhlten. Hinter den national geprägten Aufregungen versteckten sich sehr oft soziale Spannungen, die sich in Streiks und lokalen Unruhen entluden. Arbeiter protestierten gegen die Teuerung. In Galizien und anderen armen Provinzen (heute würde man »strukturschwache« Regionen sagen) war die Arbeitslosigkeit ein wachsendes Problem. Auch die vielen kleinen Handwerker spürten die zunehmende Konkurrenz der Fabriken und lebten in steter Furcht vor dem sozialen Abstieg aus der Mittelschicht ins Proletariat. Diese existenzielle Bedrohung machte die traditionelle Wählerschaft der Christlichsozialen anfällig für nationalistische Ideen und antisemitische Hetze.

      Auf der Zuschauergalerie des von Architekt Theophil Hansen errichteten Parlaments verfolgte ein 23-jähriger Kunstmaler aus Linz regelmäßig die Schreiduelle im Plenum. In ihm wuchs Abneigung gegen diese Form der repräsentativen Parteiendemokratie, und aus der Verachtung wurde Hass. In seinem programmatischen Machwerk Mein Kampf beschrieb Adolf Hitler seine Erlebnisse im Wiener Haus am Ring, ehe er aus der schillernden Kaiserstadt Wien ins damals doch eher beschauliche München flüchtete.

      Auf dieser Probebühne für den Weltuntergang tummelten sich einige durchaus zwielichtige Existenzen, die Jahre später das Schicksal ihrer Völker entscheiden sollten. Adolf Hitler hätte seinem späteren Todfeind Josef Stalin ohne Weiteres beim Spaziergang im Schönbrunner Schlossgarten über den Weg laufen können. Im Jänner des Jahres 1913 war Stalin aus Krakau kommend im eisesstarren Wien eingetroffen und wohnte bei der adeligen Familie Trojanowski in einem großen, bequemen Appartement in der Schönbrunner Schlossstraße 30. Auch der später in Stalins Auftrag ermordete Leo Trotzki genoss die Annehmlichkeiten der Donaumetropole. Was für eine Vorstellung: Hitler, Stalin, Trotzki – gemeinsam im Café Central, voreinander den Hut ziehend beim Spaziergang im Schloss Schönbrunn, unter den Fenstern, aus denen der alte Habsburg-Kaiser auf die Gloriette blickt.

      Die Parteien der deutschsprachigen Bevölkerung (kaum jemand hätte sich im Wien des Jahres 1914 schlicht als »Österreicher« bezeichnet, das Land hieß auch nicht so) waren sich nur in der gegenseitigen Abneigung einig. Die Christlichsozialen und die Deutschnationalen wetteiferten in der Ablehnung der Juden und der Sozialdemokraten, die in der politischen Propaganda mit den »Liberalen« in einen Topf geworfen und gemeinsam geprügelt wurden. Der offen geschürte Antisemitismus stieß auf eine kulturelle Dominanz jüdischer Wissenschafter, Komponisten und Schriftsteller, die das Wien der Jahrhundertwende prägten, und auf die wirtschaftliche Dominanz jüdischer Bankiers und Unternehmer, die, religiös meist assimiliert, um gesellschaftliche Anerkennung kämpften. Aus den trostlos verarmten ostgalizischen Weiten strömten wiederum Zehntausende jüdische Familien in die Kaiserstadt,

Скачать книгу