Schöne Tage 1914. Gerhard Jelinek

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Schöne Tage 1914 - Gerhard  Jelinek

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galt als beleidigende Bezeichnung für einen Elsässer. Der Gebrauch des diskriminierenden Wortes war per Armeebefehl in der seit 1871 annektierten Provinz Elsass-Lothringen verboten. Die deutschen Soldaten wurden von einer Mehrheit als Besatzung empfunden und so benahmen sich auch viele Offiziere. Die dumme Beschimpfung der Bevölkerung wurde von den lokalen Zeitungen publik gemacht. Der junge Leutnant erhielt Rückendeckung seiner Vorgesetzten, er wurde nicht strafversetzt, obwohl er gegen das Militär-Reglement verstoßen hatte. Die »Ehre des Militärs« kam ins Spiel. Der Leutnant wurde zum Hassobjekt der lokalen Bevölkerung und zur Zielscheibe des Spottes. Rückten deutsche Soldaten aus der Kaserne aus, wurden sie beschimpft und der junge Leutnant als »Bettnässer« verhöhnt. Die Wellen der lokalen Affäre schwappten bis nach Berlin und wurden von den politischen Parteien im bürgerlichen und linken Spektrum – je nach ideologischer Befindlichkeit – gehörig aufgeschaukelt.

      Das deutsche Militär bewies in Zabern ähnliches Feingefühl wie Kronprinz Wilhelm. Der Hohenzollern-Spross kommentierte die Eskalation in der annektierten Provinz telegrafisch mit dem Satz: »Immer feste druff!« Der örtliche Regimentskommandeur Oberst Adolf von Reuter nahm die Order des Kronprinzen wörtlich. Er ließ friedlich protestierende Elsässer festnehmen und überschritt damit seine Kompetenzen – für die Aufrechterhaltung des inneren Friedens war die örtliche Zivilverwaltung, nicht aber das Heer zuständig. Der preußische Oberst griff gar zum Säbel und schlug damit einen Schustergesellen nieder, der ihn verspottet hatte.

      Adolf von Reuter rechtfertigte sich mit »Notwehr«, Pech allerdings, dass der heldenhaft niedergestreckte Schuster einen Klumpfuß hatte und kaum gehen konnte. Die klaffende Fleischwunde schwärte und eiterte zu einer Staatsaffäre aus. Im Kern ging es um die Frage: Wer regiert im Deutschen Reich? Gewählte Volksvertreter oder die militärische Elite?

      Die Mehrheit der Parteien im Berliner Reichstag spitzte die Kritik am Vorgehen des Militärs zu: Misstrauensantrag gegen den Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg. Er verlor die Vertrauensabstimmung. Fast alle Parteien, vom Zentrum über die Nationalliberalen bis zu den Sozialdemokraten, stimmten für einen Rücktritt des Reichskanzlers, der die Affäre beschönigt und die Offiziere verteidigt hatte. Bethmann Hollweg wurde nur von Kaiser Wilhelm im Amt gehalten. Das Vertrauen einer großen Parlamentsmehrheit hatte er verspielt.

      In Paris tobte die Presse. Die Zeitungen sahen die französische Ehre von den Preußen in den Schmutz getreten. Über Monate beherrschte die »Zabern-Affäre« die öffentliche Debatte. Der Hass gegen die deutschen Besatzer von Elsass-Lothringen wurde in Blei gegossen, millionenfach gedruckt. Die Proteste im Deutschen Reich gegen das Vorgehen der Militärs, die sich über das Gesetz gestellt wähnten, hielten bis ins Jahr 1914 an. Beim Prozess vom 5. bis zum 10. Januar durften im Strassburger Militärgericht in den ersten drei Reihen keine Zivilisten sitzen. Die Armeerichter hoben die strafrechtliche Verurteilung des Regimentskommandeurs Adolf von Reuter, der wegen Körperverletzung und unrechtmäßigen Waffengebrauchs angeklagt war, wieder auf, aber sie konnten sich in ihrem Urteilsspruch nur auf eine preußische Order aus dem Jahr 1820 berufen.

      Das provokante Militärgerichtsurteil schaukelte die nationalistischen Emotionen in Frankreich weiter auf und vertiefte die Kluft zwischen der Militärführung und den demokratischen Parteien im Berliner Reichsrat. In Wien polemisierte die beinahe-offizielle Danzer’s Armee-Zeitung gegen die Haltung der deutschen Parteien: »Dieser Sturm der Entrüstung, dieses provokante Brüllen unverantwortlicher Hetzer, dies läppisch-großartige Misstrauensvotum hat dem Glanz des Deutschen Reichs fressenden Rost angesetzt. Kein Kaiserwort hat ihn bisher blank geschmiedet.« Die Zeitungen in Österreich berichteten auf vielen Spalten über die »Zabern-Affäre«. Die Grazer Tagespost zitiert den sozialdemokratischen Abgeordneten Peirotes aus der Sitzung des Berliner Reichstages mit einer revolutionären Forderung: »Die Forderung nach Abschaffung der Militärgerichte muß mit allem Nachdruck erhoben und die Kommandogewalt des Kaisers eingeschränkt werden.«

      12. Jänner 1914 »Auf Wiedersehen in Schleswig!«

      Der Magistrat der Stadt Schleswig lädt »Schleswig-Holstein-Kämpfer des Jahres 1864« zu den Festveranstaltungen in die norddeutsche Stadt. Per Inserat wird in österreichischen Tageszeitungen für die Fünfzigjahrfeiern am 5. und 6. Februar in Schleswig geworben. »In diesem Jahr ist ein halbes Jahrhundert verflossen, seit Ihr bereit waret, Euer Leben für die deutschen Brüder im hohen Norden Deutschlands zu opfern. Glänzende Siege habt Ihr 1864 bei Schleswig unter Eurem genialen Führer von Gablenz errungen und so Schleswig-Holsteins Hauptstadt, die sagenreiche, meerumspülte Stadt Schleswig, von dänischer Herrschaft befreit. Von unendlichem Jubel begrüßt, seid Ihr am Morgen des 6. Februar 1864 in unsere fahnengeschmückte Stadt eingezogen. Mit jubelnder Begeisterung werdet Ihr wiederum bei uns empfangen werden, wenn Ihr kommt, um mit uns und unserer Provinz die Befreiung unserer Stadt zu feiern.« Wie viele Veteranen den weiten Weg nach Schleswig gefunden haben? Einige wenige nur werden die schwarz-gelbe Fahne in Erinnerung an den letzten Sieg eines Habsburger-Heeres im Umzug mitgetragen haben.9

      14. Jänner 1914 »Eine äußerliche Kultur soll in solchen Fällen nicht allein triumphieren«

      Am Mittwoch, 14. Jänner 1914, hebt sich endlich auch in der Wiener Hofoper der Vorhang für Richard Wagners Parsifal. Wien hinkt im Aufführungs-Wettrennen zwei Wochen hinterher. Franz Schalk dirigiert die Premiere vor einem Bühnenbild von Alfred Roller. Die Vorstellung im k. u. k. Hofoperntheater beginnt bereits um vier Uhr nachmittags und stellt die Damen, mehr noch die Herren vor ein gravierendes Problem: Was zieht die bessere Wiener Gesellschaft zur Premiere an? In den Wiener Zeitungen wird die »Toilettenfrage« ausführlich erörtert und die Grazer Tagespost ist tags darauf ihr spöttisches Echo. »Ebenso ernsthaft wurde die Lösung der Frage gegeben: im Zwischenakt Jackett mit dem Frack zu vertauschen; die Nachmittags- mit der Abendtoilette. Man kann sich die weihevolle Seelenstimmung des nach Hause jagenden Umziehers vorstellen, auch seinen Stolz, wenn er richtig angezogen wieder zurückkommt. Es ist erreicht.« Das steirische Blatt schickt freilich mahnende Worte nach Wien. »Gewiß kann man gesellschaftliche Fragen anerkennen, aber eine äußerliche Kultur soll in solchen Fällen nicht allein triumphieren.«

       Richard Wagners Oper Parsifal eröffnet das Jahr 1914 musikalisch. 30 Jahre nach dem Tod des Komponisten darf das Werk erstmals außerhalb von Bayreuth aufgeführt werden.

      Besucher der ersten Parsifal-Aufführung in der Hofoper mussten tief ins Portemonnaie greifen. Die Preise wurden von der Direktion zugunsten des »Pensions-Institutes« der Hofoper exorbitant erhöht. Das Wiener Publikum erwies sich freilich als wenig spendabel. Schon die zweite Vorstellung war nicht ausverkauft, ganze Logen blieben leer. Dafür warteten Triestiner Parsifal-Fans bis zur Sperrstunde im Café Specchi und harrten danach im schweren Bora-Sturm vor dem Theater aus, bis die Kasse am Morgen geöffnet wurde. Die Strapazen blieben unbelohnt. Nur wenige erhielten Karten, »da fast das ganze Theater durch Abonnements vergeben ist«. Die Wagnermania ebbte bald ab. In Wien fand der zweite Parsifal-Zyklus Ende Jänner dann wieder zu normalen Preisen statt. Und auch die Bekleidungsfrage spielte keine dominante Rolle mehr. Der Frack konnte im Kasten bleiben, lange Kleider trugen die Damen sowieso.10

      14. Jänner 1914 »Mitterndorf und die katholischen Sittengebote«

      Mitterndorf gibt die Geburtenstatistik für das abgelaufene Jahr 1913 bekannt. In der etwas mehr als 2000 Seelen zählenden Pfarre kamen im Vorjahr 59 Kinder zur Welt. Davon waren 36 Jungbürger ehelicher Herkunft, aber immerhin 23 Mitterndorfer wurden unehelich geboren. Das belegt: Mit den katholischen Sittengeboten nahmen es die Bewohner der steirischen Salzkammergut-Gemeinde anno 1913 nicht allzu ernst. Der Anteil unehelicher Kinder war damit vor dem Ersten Weltkrieg – zumindest in Mitterndorf – mit etwa 40 Prozent so hoch wie heute. Der Pfarrer in der steirischen Gemeinde segnete im ganzen Jahr nur neun Ehepaare – keine

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