Schöne Tage 1914. Gerhard Jelinek
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Die Olympischen Spiele in Berlin begannen mit einer 20-jährigen Verzögerung. Adolf Hitler beauftragte die beiden Söhne des Stadionplaners mit dem Bau einer wesentlich größeren Arena für die Olympischen Spiele 1936. Ein zuerst überlegter Umbau der ursprünglichen Sportstätte war von Hitler abgelehnt worden. Für »seine« olympischen Weihespiele wollte der NS-Reichskanzler einen pompösen Neubau.
Am 27. und 28. Juni 1914 fanden im »Deutschen Stadion« die vorbereitenden Spiele für Olympia statt. Sie endeten am selben Tag, an dem in Sarajewo ein serbischer Gymnasiast den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie tötete.
Es waren die »Startschüsse«, denen kein friedlicher Wettstreit der Besten folgte.
15. Jänner 1914 »Panzerkreuzer Goeben im Hafen von Syrakus«
Mitte Jänner geht der deutsche Panzerkreuzer Goeben im Hafenbecken der südsizilianischen Stadt Syrakus vor Anker. Das in Hamburg für 42 Millionen Mark gebaute Schiff ist Teil des ehrgeizigen deutschen Flottenbau-Programms. Die Goeben gehört zur sogenannten Moltke-Klasse, gilt als hochmodern und »unsinkbar«. Italien und das Deutsche Reich wollen mit diesem Flottenbesuch demonstrativ ihre militärische Verbundenheit betonen.
Der Panzerkreuzer schreibt einige Monate später Kriegsgeschichte. Wenige Stunden nach der deutsch-französischen Kriegserklärung am 3. August legt die Besatzung des deutschen Schiffs den Hafen Philippeville an der algerischen Küste mit seinen Bordkanonen in Schutt und Asche. Der deutsche Konteradmiral Wilhelm Souchon kommandiert auf der Goeben eine Husarenaktion und liefert sich ein Wettrennen mit zwei britischen Kampfschiffen. Die Kessel werden dermaßen befeuert, dass vier deutsche Heizer an Hitze und Erschöpfung sterben. Souchon düpiert die englische und französische Mittelmeer-Flotte, entkommt mit der Goeben und rettet sich in den »neutralen« sizilianischen Hafen Messina. Die Gewässer der Mittelmeerinsel waren den deutschen Seeleuten ja gut bekannt. Die Jagd nach der Goeben wird zur Prestigesache. Die überlegene Marine der Entente will dem Panzerkreuzer jeden Fluchtweg abschneiden. Die englische Flotte riegelt die Meerenge von Messina im Westen ab, doch das deutsche Schiff entschlüpft durch das engmaschige Netz, dampft nach Osten, schmuggelt sich durch die verminte Meerenge der Dardanellen und kann sich nach Konstantinopel retten. Dort tauscht Wilhelm Souchon die deutsche Kriegsflagge mit der türkischen. Als »türkisches« Schiff, unter dem Namen Yavuz Sultan Selim, trägt die Goeben den Krieg ins Schwarze Meer und vernichtet praktisch die gesamte Kriegsflotte des Zarenreichs im Alleingang.
Der deutsche Panzerkreuzer Goeben beim Flottenbesuch in italienischen Gewässern
Russland war durch diese Husarenaktion der Zugang zum Mittelmeer blockiert. Ein Panzerkreuzer schrieb Weltgeschichte: Die Alliierten, vor allem australische und neuseeländische Soldaten, versuchten im Verlauf des zweiten Kriegsjahres bei Gallipoli (Dardanellen) zu landen und die deutsch-türkische Sperre der Meerenge zu beseitigen. Bei diesem schlecht vorbereiteten militärischen Abenteuer starben rund 250 000 Engländer und Franzosen.
Im Jänner 1914 ahnten die Offiziere und Matrosen an Bord der Goeben im malerischen Syrakus an der sizilianischen Küste noch nichts von ihrer historischen Bedeutung. Der Panzerkreuzer überstand den gesamten Seekrieg und wurde erst ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende in der Türkei versteigert, zum Schrottwert.13
15. Jänner 1914 »Kaufmännischer Ehrgeiz«
Mitte Jänner 1914 erscheint Die Fackel von Karl Kraus in einer Doppelnummer um 60 Heller. Der Journalist, Moralist und Satiriker ahnt noch nicht, dass er gerade die »letzten Tage der Menschheit« durchlebt, und reibt sich an Schriftstellerkollegen. In der ersten Fackel des kommenden Kriegsjahres echauffiert sich Herr Kraus über die filmischen Ambitionen Hugo von Hofmannsthals unter dem Titel »Ein Verlorener«: »Der Dichter des Jedermann hat seine Kunst in den Dienst des Films gestellt. Bedarf es noch eines stärkeren Beweises, daß das Kino literarischen Ehrgeiz hat und daß es Autoren findet, die es braucht, um seinem Ehrgeiz gerecht zu werden? O ja, es bedarf noch eines stärkeren Beweises. Denn daß Herr v. Hofmannsthal seine Kunst in einen Dienst gestellt hat, und zwar in den des Films, beweist nicht, daß das Kino literarischen, sondern daß Herr v. Hofmannsthal kaufmännischen Ehrgeiz hat. Da das Werk von Herrn von Hofmannsthal tief unter dem literarischen Niveau des Kinos steht, dürfte auch dieser Ehrgeiz nicht befriedigt werden.«
Karl Kraus urteilt gnadenlos. Der konservative, durch und durch monarchistisch gesinnte Dichter Hugo von Hofmannsthal bietet dem Zyniker Kraus viele Angriffsflächen. Die alte, übernationale Habsburgermonarchie scheint Hofmannsthal als Erfüllung einer gesellschaftlichen Utopie. Hofmannsthals literarische Anknüpfungen an mittelalterliche Traditionen beflügeln Karl Kraus in seinem Spott.
Doch im Gegensatz zur damaligen Einschätzung in der Fackel überlebte das 1911 geschriebene Mysterienspiel vom »reichen Mann« zwei Weltkriege und wird noch heute Jahr für Jahr in Salzburg aufgeführt. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Richard Strauss (Elektra) schrieb Hugo von Hofmannsthal auch Musikgeschichte.
Karl Kraus scheint das neue Medium Film ein wenig unterschätzt zu haben. Denn der Kritiker verspottet in der gleichen Fackel-Ausgabe den Schriftsteller Arthur Schnitzler. Dieser hatte die Verfilmung seines dreiaktigen Theaterstücks Liebelei an die Bedingung geknüpft, es dürfe keine Untertitel geben und es dürften im Film keine Briefe vorkommen. Schnitzlers Motive hatten freilich kaum etwas mit »reiner Kunst« zu tun – wie dies Kraus spöttisch unterstellt –, sondern mit dem simplen Faktum, dass die erste Verfilmung der Liebelei als dänischer Stummfilm mit dem Titel Elskovsleg in die Wiener Lichtspieltheater kommen sollte. Mit dänischen Untertiteln hätten die Wiener wohl nichts anfangen können.14
16. Jänner 1914 »In überaus animierter Weise«
Die Neue Freie Presse berichtet: »Der Chef des Generalstabs Freiherr Conrad v. Hötzendorf wurde heute vormittags von ½ 11 bis ½ 12 Uhr vom Kaiser in Privataudienz empfangen.«
Worüber die beiden Herren am Beginn des Jahres sprachen, das berichtet die Zeitung nicht. Wohl aber erfährt der interessierte Leser, dass der »Eisenbahnball« in den Wiener Konzerthaussälen sein vierzigstes Jubiläum feierte und dies in »überaus animierter Weise«. Zahlreiche Minister waren erschienen. Um halb zehn Uhr traf Erzherzog Leopold Salvator im Vestibül ein und wurde unter den Klängen der Volkshymne auf die Estrade geführt. Von seiner erhöhten Position aus bot sich dem Habsburger ein charmantes Bild. Die weiß und rosa gekleideten Damen des Eröffnungskomitees »konstruierten« eine Vierzig, ehe der Ball mit dem Eröffnungswalzer seinen animierten Verlauf nahm.15
17. Jänner 1914 »Ein schwimmender Hort des Friedens«
»Gleite in dein Element und der Allmächtige soll dich auf all deinen Wegen beschützen.« An einem kalten, regnerischen Sonntag drückte Erzherzogin Maria Theresia in der Danubia-Werft bei Fiume eine elektrische Taste und startete damit die hydraulische Maschine, die den Stapellauf des größten österreichisch-ungarischen Schlachtschiffs Szent Istvan in Gang setzte. Marinekommandant Anton Haus schrieb in sein Tagebuch: »Es dauert vier bis fünf Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, endlich setzt sich das Schiff unter dem Jubel der Zuschauer in Bewegung und gleitet in Rauch gehüllt