Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit. Norbert Wolf

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Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit - Norbert Wolf marixwissen

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auf das Höchste zu spannen«, liest man 1820 in dem in Tübingen herausgegebenen »Kunstblatt«. Und weiter: »›Ja‹ – sagen seine blinden Anhänger – ›man kann sich doch sehr viel dabey denken!‹ Dieß will sehr wenig sagen; stellt eine leere Tafel hin, und man kann sich noch mehr dabey denken.«5

      Solche Aussagen bekunden, dass die Umwelt dem norddeutschen Maler nach der positiven Rezeption seines Frühwerks bald kaum noch mit Anerkennung begegnete. Strahlender Ruhm, gar internationaler, wurde ihm zu Lebzeiten nicht zuteil, sieht man einmal davon ab, dass der russische Zarenhof Friedrich gelegentlich Bilder abkaufte. Erst das 20. Jahrhundert hat seine Bedeutung wieder erkannt und ihn dann Zug um Zug zur Kultfigur promoviert. Man hat gesehen, dass Friedrich nicht nur der größte Maler der deutschen Romantik war, sondern dass er Strukturen entwickelte, die Künftiges vorwegnahmen.6

      Man denke nur an das 1810 vollende Gemälde Der Mönch am Meer, das zweifellos kühnste Bild der deutschen Romantik, und eines der innovativsten des europäischen 19. Jahrhunderts. Die Komposition bricht mit allen Traditionen. Es gibt keine perspektivische Tiefe mehr. Am unteren Bildrand steigt das schmale Dünenufer als weißlicher Streifen im stumpfen Winkel nach links an, im Scheitelpunkt die winzige Gestalt eines schwarz gekleideten Mannes als Rücken-, somit als Identifikationsfigur: die einzige Vertikale im Bild. Rund fünf Sechstel der Bildfläche sind der diffusen Struktur des Wolkenhimmels reserviert. Ziel dieses Darstellungsmodus ist ein unbegrenztes Raumerlebnis. Bis zum Horizont findet man sich noch einigermaßen zurecht in den Größenverhältnissen. Der Hintergrund jedoch lässt sich nicht mehr messend erfassen. Weil alle Linien aus dem Bild fließen, wird Unendlichkeit zum eigentlichen Bildinhalt. Der Mönch sinnt im Gefühl seiner Kleinheit über die Gewalt des Universums nach.

      1810 veröffentlichte Heinrich von Kleist seine bekannte Rezension über den Mönch am Meer, in der von apokalyptischer Einförmigkeit und Uferlosigkeit die Rede ist; das Bild habe nichts als den Rahmen zum Vordergrund, »als wenn einem die Augenlider weggeschnitten wären«. Kleist definiert die Modernität des Gemäldes, das die künstlerisch-kreativen Prozesse in einen intermediären Imaginationsbereich verlegt: »[…] das, was ich im Bilde selbst finden wollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde […]«. Das Bild ist demnach kein illusionistischer Naturersatz mehr, es ist ein System, das erst vollständig wird, wenn die Subjektivität und Emotionalität des Betrachters hinzutritt.7

      Warum haben die Zeitgenossen all das so wenig goutiert?

      In den Jahren, in denen die napoleonische Besatzungsmacht in Dresden eine rigide Zensur ausübte, war Friedrich zu Verklausulierungen seiner Themen gezwungen, um seine patriotische Haltung nur Eingeweihten offenkundig werden zu lassen. Patriotismus hieß für ihn Solidarität mit den Zielen der Freiheitskämpfer, hieß damit aber auch Parteinahme für einen bürgerlich-republikanischen Nationalstaat. Ein Maler, der sich weigerte – wie er es später ausdrückte – »Fürstenknecht« zu sein, konnte nach dem Wiener Kongress 1815 und der Metternichschen Restauration im offiziellen Kunstleben nicht mehr reüssieren. Das Eismeer beispielsweise (um 1823/24; Hamburger Kunsthalle) mit dem Motiv des von den Eisschollen erdrückten Segelschiffs in menschenleerer Polarlandschaft, dieser Protest gegen den deutschen politischen »Winter«, konnte an höchster Stelle keine Freunde finden.

      Doch nicht nur seiner politischen Aussage wegen, auch hinsichtlich seiner kompositorischen Radikalität wurde besagtes Gemälde dem Publikum zum Ärgernis. War es doch erneuter Beweis, dass Friedrich die im Akademiebetrieb geringgeschätzte Landschaftsmalerei semantisch aufwertete und sämtliche akademisch-klassizistischen Regeln negierte, vor allem die der perspektivischen Raumdisposition. Und er setzte an die Stelle literarisch vorgegebener Inhalte – die die Historienmalerei damals unermüdlich rekapitulierte – die Novität subjektiven Erlebens: Dem leiblichen (äußeren) Auge sei das geistige (innere) Auge – kurz: die Phantasie vorzuziehen, selbst dann, wenn man deswegen mit formalen Normen brechen müsse.

      Das 20. Jahrhundert hat in einer Phase, als die Dominanz der Abstraktion in der Kunst gebrochen, als Avantgarde nicht mehr automatisch mit reinen Formexperimenten gleichgesetzt wurde, als die Suche nach neuen Mythen in der Kunst begann, dies mit Begeisterung affirmiert, immer wieder freilich auch einer »typisch« deutschen Innerlichkeit zugeschrieben.8 An letzterem mag Wahres sein. Doch die Hauptleistung Friedrichs ist universeller. Er gehört zu jenen genialen Antizipatoren der Moderne, die bewusst »Leerstellen« in ihre Bilder einbauen, damit diese von der Phantasie der Rezipienten gefüllt werden. Nicht zuletzt deshalb sind seine Kirchenruinen und Seestücke, seine Fensterbilder und Riesengebirgslandschaften, seine Felsen auf Rügen und seine Mondscheinlandschaften inzwischen zu unverrückbaren Elementen des kollektiven Bildbewusstseins geworden.

      5 Zitiert nach Wolf, Norbert: Caspar David Friedrich 1774–1840. Der Maler der Stille. Köln usw. 2003, S. 9f.

      6 Aus den Publikationen zu Friedrich greife ich den jüngsten Ausstellungskatalog heraus (»Caspar David Friedrich. Die Erfindung der Romantik«, Essen-Hamburg 2006–2007, München 2006), der einen guten Überblick über die wichtigste Literatur gibt.

      7 Über dieses Gemälde ist naturgemäß viel geschrieben worden. Eine instruktive Eingliederung seiner Struktur in avantgardistische Strömungen findet sich bei Wagner, Monika: Das Problem der Moderne. In: Dies. (Hrsg.): Moderne Kunst. Das Funkkolleg zum Verständnis der Gegenwartskunst. Reinbek bei Hamburg 1991, Bd. I, S. 15–29, S. 20ff.

      8 Wie das der wichtige Ausstellungskatalog »Ernste Spiele. Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790–1990«. Haus der Kunst München 1995, tut.

      JOSEPH MALLORD WILLIAM TURNER

      (* LONDON 23. 4. 1775, † EBENDA 19. 12. 1851)

      Turner malte die Natur wie vor ihm noch kein Künstler. Vor seinen Bildern gewinnt man den Eindruck, die Dinge ein erstes Mal zu sehen, als einen Kosmos der Farbe und des Lichts. John Ruskin (1819–1900), der prägende Kunsttheoretiker der Romantik in England und der leidenschaftliche Verteidiger von Turners Malerei gegen Spötter, formulierte 1843 in seinem Buch »Modern Painters«, dass es diesem Genie um ein modernes und zukunftsweisendes Sehen ging, das jenen Zustand zurückgewinnen wollte, den man »die Unschuld des Auges nennen könnte.«9

      Über 60 Jahre hat Turner unermüdlich gearbeitet. Der Bogen seines Stils spannt sich vom ausgehenden Rokoko bis zu den kühnen, fast schon abstrakt wirkenden Farbgeweben der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Ein einschneidendes Ereignis brachte das Jahr 1794. Turner lernte im Winter Dr. Thomas Monro (1759–1833) kennen. Eine Leidenschaft des schwerreichen Arztes galt der Förderung junger Künstler. Deshalb lud er Turner ein, nach Aquarellen seiner riesigen Kunstsammlung zu kopieren. In der Zusammenarbeit von Turner und anderen Talenten, die bei Monro verkehrten, bildete sich damals ein Aquarellstil aus, der seiner Anonymität wegen als »Dr. Monro School« in die Forschung einging. Nicht zuletzt in diesem mäzenatischen Umfeld wurden die Weichen gestellt, die Turners künftiges Schaffen in die Bahn einer licht- und farbdominanten Gestaltung lenkten und auch seine Ölbilder um revolutionäre Klangfarben bereicherten.

      Orientierungshilfe boten zunächst die Landschaftsmalerei Claude Lorrains (zu diesem wie zu den meisten der in vorliegendem Buch erwähnten älteren Maler ausführlich in Band I) sowie die Reflexionen des Philosophen Edmund Burke (1729–1797) über das »Schöne und Erhabene«. In der Sammlung John Julius Angerstein, die später, 1824, den Grundstock der National Gallery in London bilden wird, stand Turner 1799 vor einer Lorrainschen Hafenansicht. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen: So war Licht zu malen! Lorrains duftige Abstufungen, der Blick auf die Sonne, schienen ihm derart unübertrefflich, dass er, seinen eigenen Worten zufolge, zu Tränen gerührt war. Niemals, so glaubte er, würde er diese Meisterschaft erreichen. Darin täuschte er sich. Von nun an experimentierte er mit der Verteilung der Farben, dem Einsatz von Helldunkel, einem ständig freieren

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