Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit. Norbert Wolf

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Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit - Norbert Wolf marixwissen

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der Natur einzufangen und dazu die Gegenstandsgrenzen partiell schon in Licht und Farbe aufzulösen, feinste Tonabstufungen mit unerhörter Sensibilität vorzutragen und die Komposition dem Betrachter wie einen Zufallsausschnitt zu unterbreiten, dann stellt er sich künstlerische Aufgaben, und dann bietet er bereits Resultate, die in der Tat eine »Versuchsanordnung« initiieren, der sich die Impressionisten wieder konfrontieren und zu noch experimentelleren Formergebnissen fortführen werden.

      12 Venning, Barry: Constable. Sein Leben und seine Meisterwerke. New York 2004

      13 Zitiert nach: Badt, Kurt: Eugène Delacroix. Werke und Ideale. Drei Abhandlungen. Köln 1965, S. 73

      JEAN-AUGUSTE-DOMINIQUE INGRES

      (* MONTAUBAN 29. 8. 1780, † PARIS 14. 1. 1867)

      Mit der italienischen Renaissance und einem von ihr ausgelösten künstlerischen Selbstbewusstsein sondergleichen gingen auch viele kunsttheoretische Diskurse parallel. Ihr Grundanliegen bestand darin, im Rahmen einer normativen Ästhetik die Überlegenheit der einen Gattung über die andere, beziehungsweise innerhalb der Malerei den Vorrang eines bestimmten Gestaltungsmittels, gemessen an seinem Kontrapart, zu »beweisen«. Repräsentanten der toskanischen oder stadtrömischen Malerei wurden im 16. Jahrhundert entsprechend gegen den größten Meister der venezianischen Malerei, gegen Tizian, ausgespielt – und umgekehrt. Tizians aus der orchestralen Fülle der Farbmaterie lebende Manier, so sahen es die Kunstkritiker, war gegen die Florentiner disegno-Lehre gerichtet. Die predigte nämlich die Prädominanz der »wahrhaften« Linie und des zeichnerischen Entwurfs im Vergleich zur vorgeblich »ungeistig-sinnlichen« und »lügnerischen« Farbe (colore), sie verfocht damit die Überlegenheit der eigenen Kunstrichtung über die in Venedig gepflegte.

      Die intellektuelle und praktische Auseinandersetzung zwischen Linie und Farbe als dem jeweils vornehmsten Darstellungsmittel setzte sich in der Folgezeit ungebrochen fort. Im 17. Jahrhundert kulminierte der »Konflikt« exemplarisch in den Namen des Peter Paul Rubens, des großen Farbvirtuosen, und des Nicolas Poussin, des seine Bilder aus dem Primat der Linie und des Konturs her aufbauenden Barockklassizisten. Und auch das 19. Jahrhundert trug einen gleichgearteten Diskurs aus, der erneut zwei Protagonisten der Kunstgeschichte für sich beanspruchte: den Koloristen Eugène Delacroix und den linienseligen Klassizisten Jean-Auguste-Dominique Ingres!

      Je nach dem Standpunkt, den seine Kritiker innerhalb dieser konträren Ausgangslage einnahmen, schwankte das Urteil über Ingres zwischen rückhaltloser Bewunderung und verächtlicher Ablehnung. Auch in sich war ein derartiges Urteil in der Regel zwiespältig. Während nämlich Ingres’ Zeichenkunst praktisch auf ungeteilte Zustimmung stieß – und dies bis heute –, fand seine Malerei zunächst recht wenige Anhänger.

      Auch das gegenwärtige Kunsturteil tut sich oft schwer angesichts seiner mythologischen oder religiösen Großkompositionen und seiner lasziv und doch so emailhaft »glatt« hingelagerten Odalisken, diesem idealisierten und zugleich so voyeuristischen Harems-Orientalismus. Nicht von ungefähr hat Ingres’ bekanntes Türkisches Bad von 1859–1863 (Paris, Musée du Louvre) Tondo-Format bekommen: Das Bild, »dessen Auftraggeber der Prinz Napoleon war, wurde aus seiner ursprünglich quadratischen Form zu einem Rundbild beschnitten: Die Ursache war […] die schamlose Pose der Tänzerin rechts, die sich auf einer Skizze […] so wolllüstig räkelt, dass der Künstler die unteren Partien ihres Körpers wegschneiden musste […].«14

      Einige wenige Autoren zeigen sich freilich auch hinsichtlich solcher Kompositionen von Ingres’ Wiedergabe des Stofflichen, seinen eigenartig tiefenlosen Bildräumen und der oft rätselhaften, der Intensität eines Stilllebens gleichenden Ruhe in eigentlich erzählerischen Kompositionen tief beeindruckt. Jetzt, da die Dominanz des Kolorits und die lebhafte Buntfarbigkeit des Impressionismus nicht länger als die »Entelechie« des 19. Jahrhunderts bewertet wird, schlägt das Pendel in die andere Richtung aus. Ingres gilt nicht nur als Erneuerer des klassischen Schönheitsideals und folglich als ein Hauptmeister des Klassizismus, sondern als ein, aus der Warte der Moderne gesehen, »progressiver« Gestalter komplexer Flächenwerte. Seine geniale Reduzierung des Repertoires auf das Wesentliche, die innere Logik seines Bildgefüges, seine kühle Schönlinigkeit und sensualistische Überzeugungskraft werden zu Recht vor allem an seinen zahlreichen Bildnissen vornehmer Damen und Herren hervorgehoben, die zum Wertvollsten europäischer Porträtkunst überhaupt zählen (die Ingres selbst allerdings nur als notwendiges Übel betrachtete, um den Lebensunterhalt zu verdienen).

      Ingres, der fanatische Verfechter des »disegno«, des Zeichnerischen, des Linienprimats (ein früherer Hauptmeister dieses Prinzips, Raffael, war Ingres’ bewundertes Vorbild), füllte seine Gemälde mit verblüffend vielen anatomischen Fehlern. Das ist bezeichnend – nicht für fehlendes Können, sondern für ein souveränes Verwalten der Wirklichkeit, das sich hinter der scheinbar so buchhalterischen Akuratesse und der geglätteten kühlen Farbhaut seiner Malweise verbirgt: Zugunsten angestrebter Idealität im Gesamteindruck ist dieser Künstler jederzeit bereit, Abstriche an der Realität im Detail zu machen. Das verbindende idealisierende »Band« bleibt ja stets existent: nämlich die biegsam-geschmeidige, zugleich feste und sensible Linie und die wohlkalkulierte Aufteilung der Bildfläche.

      Und genau diese Qualitäten waren es, die Ingres einen überraschend großen Einfluss auf mehrere der wichtigsten Exponenten der klassischen Moderne nehmen ließen: Ob das, noch im 19. Jahrhundert, Edgar Degas, Paul Cézanne beziehungsweise, in den 1880er-Jahren, Auguste Renoir waren, oder im 20. Jahrhundert Henri Matisse, Pablo Picasso, sogar mancher Surrealist, der sich von der gleichsam hypnotischen Stille in Ingres’ Bildern leiten ließ!

      Das ist das wahrscheinlich größte Faszinosum dieses langlebigen Klassizisten, dass er im Gefolge seiner konservativen Grundhaltung derart viele zukunftsweisende Impulse aussandte.15

      14 Das Zitat bei Lemaire, Gérard-Georges: Orientalismus. Das Bild des Morgenlandes in der Malerei. Köln 2005, S. 202

      15 Einen kurzen Überblick gibt Grimme, Karin H.: Jean-Auguste-Dominique Ingres 1780–1867. Köln usw. 2006; wesentlich umfangreicher und als Standardwerk zu taxieren ist: Vigne, Georges: Jean-Auguste-Dominique Ingres. München 1995

      THÉODORE GÉRICAULT

      (* ROUEN 26. [ODER 21.] 9. 1791,

      † PARIS 26. 1. 1824)

      Sein Schaffen dauerte nur zwölf Jahre. Und doch, welche Wirkungen! Welche Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Kunstgeschichte, nicht zuletzt für die Maler von Barbizon und die Impressionisten! Mit einem Reiterbild, der Darstellung eines Gardejäger-Offiziers, dem ersten vom jungen Géricault im »Salon« ausgestellten Gemälde, wurde er 1812 sofort bekannt (Paris, Musée du Louvre). Die Diagonalkomposition und das malerisch Aufgelöste des Hintergrunds verraten, dass Géricault seine klassizistischen Anfänge aufgegeben hatte und sich längst an Prinzipien der Renaissance- und vor allem der Barockmalerei orientierte – nicht ohne diese mit jenem neuem Pathos aufzuladen, das die Kunstwissenschaft dem Stilbegriff der Romantik subsumiert.16

      Wie sehr sich die französische von der deutschen oder englischen Romantik unterschied, belegt das Werk eines Antoine-Jean Gros oder des zwischen Klassizismus und Romantik angesiedelten Théodore Chassériau – und natürlich das ihrer beiden Hauptvertreter, eben Géricault s und Eugène Delacroix’. Die beiden Letzteren waren zutiefst malerische Temperamente, beide waren geniale Künstler, die wie alle Heroen der Kunstgeschichte freilich nur schwer einem bestimmten Stil zuzuordnen sind. Und beide ließen sie die in der sonstigen europäischen Romantik bevorzugte Gattung der Landschaft beiseite zugunsten des Historienbildes. Farbe und Licht bauen am Pathos dieser Kompositionen, die jedoch im Unterschied zur älteren

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