Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit. Norbert Wolf
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Die früher so heftig geführte Debatte um die Postmoderne scheint gegenwärtig mehr oder weniger abgeklungen. Es gab und gibt eine Kunst und eine Kunstgeschichte nach der Postmoderne, Abstraktion und Figuration setzten an der früheren Moderne an, als ob es die Irritation der Postmoderne gar nicht gegeben hätte. Das totgesagte künstlerische Subjekt und die Vorstellung vom autonomen Werk sind – wenn auch noch gelegentlich durch »postmoderne« Befindlichkeit gebrochen – in die kulturelle Szene zurückgekehrt.
Vielfach kommt dies der Anerkennung gleich, dass sich die seit Beginn des 20. Jahrhunderts von der Avantgarde geforderte Identität von Kunst und Leben, die Grenzaufhebung zwischen den einschlägigen Realitätsbereichen, als vermessene geschichtliche Utopie erwiesen hat. Weil »die Institution Kunst die kreativen Potentiale nur um den Preis ihrer Abtrennung vom Leben rettet« (Peter Bürger), steht sie freilich vor der permanenten Notwendigkeit, diese Abtrennung und ihre Notwendigkeit zu reflektieren, und dies nicht zuletzt angesichts der hitzigen Diskussion um den Bildbegriff, der sich aus dem Vergleich der bildenden Kunst mit der Bilderflut der Massenmedien, mit dem digitalisierten Bild und den »virtuellen Welten« im Cyberspace ergibt. Häufig fechten die Kombattanten einen – ihren – Kampf, man muss es so sagen, lediglich um intellektuelle Machtpositionen aus. Der Kampf wird dann nicht länger auf der Ebene der Werke ausgetragen, sondern auf der der Institution Kunst, des Kunstbetriebs, der Selbstvermarktungsstrategien des jeweiligen Künstlers. Deshalb sind das »Werk« und seine Vermarktung (durch wen auch immer) spätestens seit der Pop-Art, eigentlich aber schon seit dem Dadaismus (der 1960 im »Neodadaismus« des Nouveau Réalisme, bei Yves Klein, Arman, Jean Tinguely, Martial Raysse, Daniel Spoerri, Mimmo Rotella, Christo, Niki de Saint Phalle und anderen eine variierte Neuauflage erlebte) kaum noch voneinander zu trennen. Ob sich Künstler wie Anselm Kiefer, Gerhard Richter, Cy Twombly und eine ganze Reihe verwandter Geister wieder, an die klassischen Kunstauffassungen heranrückend, auf die (archetypische?) Tradition des stimmigen Schöpfungsaktes – und auf die bewusste Abgrenzung zur »Unterhaltungskunst« – besinnen?
FRANCISCO DE GOYA Y LUCIENTES
(* FUENDETODOS BEI SARAGOSSA 30. 3. 1746,
† BORDEAUX 16. 4. 1828)
Francisco José de Goya y Lucientes ist eine jener überragenden Gestalten der europäischen Kunstgeschichte, ohne die man die Wege in die Moderne kaum verstehen kann. Er entzieht sich jeder klaren stilgeschichtlichen Einordnung, weil er von allen zu seiner Zeit vorhandenen Strömungen profitierte und sie in einen provokativ-unerwarteten Zusammenhang einbrachte. Inhalte und Ausdruck seiner Malerei, seiner nicht minder grandiosen Handzeichnungen und Grafiken haben, nochmals sei es betont, zahlreiche markante Entwicklungslinien ins 20. Jahrhundert hinein vorgegeben.1
Goya profitierte von Traditionen, weil er, so paradox es klingt, Normen des Stils, Usancen der Motive unterlief, ehe er sie revolutionierte: Indem er nämlich die realen Albträume und, in der Montagetechnik sowie dem szenischen Ausschnitt seiner Kompositionen, die filmischen Sequenzen der Moderne vorwegnimmt. Historische Strömungen bekommen durch ihn ihre bald traumtiefe und psychologisch sondierende, bald unerbittlich realistische Auslegung: individuelles Psychogramm, visuelle Erkundungen in den verkrusteten Schichten des Sozialen, Hinschauen auf die Fratze des Aberglaubens, der Volksverdummung durch die spanische Kirche, von obrigkeitlich verordneter Scheinmoral.
Goya ist gleichrangig als Maler wie Grafiker, als Historienmaler wie als Porträtist, als Schilderer der Sitten wie der Fantasien. Er legt in der Ordnung das Chaos, in der Hierarchie die Unterdrückung, im scheinbaren Sinn den auflodernden Wahnsinn frei. Goya repräsentiert folglich wie kein anderer Künstler vor ihm die »Dialektik der Aufklärung«.
Anfänglich suchte ja die Aufklärung die menschliche Fantasie als den Tummelplatz des Irrationalen zu unterdrücken. Nur wenn sich die Kunst lehrhaft gab (die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts verzeichnet eine immense Zunahme von Kunstakademien), wenn sie sich rationaler Erkenntnis und moralischem Anspruch unterordnete, galt sie als gesellschaftlich legitimiert. Doch paradoxerweise öffnete das rationale und wissenschaftliche Interesse der Aufklärung wieder einer irrationalen Komponente den Weg, da sie Gefühl und Einbildungskraft als Erkenntnisquellen gelten ließ. Radikal hat Goya diese Überzeugung der Moderne von der unlösbaren Spannung von Welt und Individuum, von Rationalität und Triebhaftigkeit, von objektivem Anspruch und subjektiver Realität ausgedrückt.
Seine künstlerische Lehrzeit verbrachte Goya 1760–64 in Saragossa. 1766 trat er in der spanischen Hauptstadt in das Atelier Francisco Bayeus ein, seines späteren Schwagers, der unter dem Klassizisten Anton Raphael Mengs am Hofe Karls III. arbeitete. Nach einer Italienreise 1770/71 wurde Goya als Entwerfer in die Königliche Teppichmanufaktur zu Madrid berufen. Von da an begann sein Aufstieg in die höchsten Ämter. So ernannte man ihn 1780 zum Mitglied der Real Academia de San Fernando, 1785 zu ihrem zweiten, 1795 zu ihrem ersten Direktor für Malerei. Nachdem Goya seit 1781 königliche Aufträge erhielt, erfolgte 1786 seine Ernennung zum Hofmaler, 1789 zum Maler der königlichen Kammer und 1799 zum ersten Maler des Hofes.
Andererseits brechen kurz nach 1790 gravierende Krisen aus, schwere Erkrankungen, die ihn (ab 1792) mehr und mehr ertauben lassen. Goya reagiert darauf mit Rückzug ins Privatleben, vor allem aber mit Introvertierungen der Bildsprache. Jetzt mehren sich die bedrohlichen und gespenstischen Untertöne. Gleichzeitig konzipiert Goya die Folge von 80 Radierungen unter dem Titel Caprichos, in denen er unerbittlich menschliche Laster und Irrtümer anprangert.
Trotz dieser »Nachtseiten« in seiner Kunst fungierte Goya als der begehrteste Porträtist am Hofe und erhielt auch eine Reihe kirchlicher Aufträge: Als zu faszinierend empfand man offensichtlich die Intensität seines Kolorits, die Kühnheit und kompositorische Ausgefallenheit seiner Bildanlage, die Psychologie seiner Menschenstudien. Im Übrigen erwies sich seine Fähigkeit, Abgründiges zu visualisieren, als das geeignete Mittel, dem Unabhängigkeitskampf des spanischen Volkes gegen die napoleonische Herrschaft in Bildern und Graphiken erschütternden Ausdruck zu verleihen.
Doch nach der Thronbesteigung Ferdinands VII. geriet der Maler, bedingt durch seine Opposition gegen Inquisition und Folter, zunehmend ins Abseits. Ab 1820 entstanden in seinem Landhaus »Quinta del Sordo« (»Haus des Tauben«) in Madrid die »schwarzen Malereien«, welche die Nachtseite, das Dämonische und Irrationale menschlicher Existenz in bislang unbekannter Eindringlichkeit und mit vollkommen neuartiger, »präsurrealistischer« Verfremdung behandelten. Ab 1823 verstärkten sich die restaurativen Tendenzen in der spanischen Politik, die Verfolgungen liberaler Geister – Goya sah sich deshalb 1824 zur Emigration nach Frankreich, nach Bordeaux veranlasst.
Nur in den Rokoko-Anfängen (den Gobelin-Entwürfen) ist Goyas Werk überhaupt stilgeschichtlich festzumachen, ansonsten zeichnet es sich durch souveräne Eigenständigkeit aus. Und keinesfalls ist Goya, da es zeitlich gerade »passt«, als Klassizist oder Romantiker zu klassifizieren. Dennoch: Die Art, mit der er in seinen Szenerien menschliche Dummheit, den Aberglauben und die klerikale Beschränktheit seiner Landsleute, das Degenerierte der spanischen Königsfamilie, die bestialischen Abgründe, die sich im Krieg gegen Napoleons Truppen in jedem Einzelnen und in den fanatisierten Massen auftaten, wiedergibt, die Visionen und Albträume, mit denen Goya um 1820 sein Wohnhaus in Madrid ausmalt, bewegen sich in